Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Februar 2017, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Deutschland in naher, schlimmer Zukunft, das, was man dystopisch nennt. Die Flüchtlingswelle und das staatliche Handeln war nur der Anfang, was inzwischen zu einem reservat für Flüchtlinge führte, Transitzone genannt, weil erst entschieden wird, wer nach Deutschland einreisen darf und wer zurückgeschickt wird.
Diese Transitzone ist von Tausenden bevölkert, die sich selbst überlassen bleiben und unter diesen Umständen sich wie wilde Tiere in Gefangenschaft aufführen: aggressiv und gefährlich. Die massenhafte Polizeikräfte sind genauso brutal wie der Teil der aufgebrachten Flüchtlinge. Wir erleben einen Aufstand des Nachts, der mit Polizeigewalt niedergeschlagen wird. Dabei tötet der Polizist Volt (Benno Führmann) im Streß den Flüchtling Hesham (Tony Harrisson Mpoudja). Obwohl keiner die Tat miterlebt hat und keiner den Toten nun Volt vorwirft, richten ihn seine inneren Stimmen. Das beginnt langsam, aber steigert sich zu einem uferlosen Schuldgefühl. Außerdem erregt der täterlose Mord die Flüchtlinge noch mehr. Eine Welle der Gewalt rollt über das Massenlager.
Der Mord, Hesham wurde erwürgt, wird untersucht. Und als klar ist, daß es Polizeigewalt war, die zum Tode des Flüchtlings führte, wird eine interne Ermittlung angesetzt. Aber das muß halt offiziell untersucht werden, aber die Polizei, weder die Führung noch Volts Kollegen, interessiert ein Mord an einem Flüchtling nicht. Und die Politik auch nicht. Wir lernen die abgebrühtesten Typen kennen und eine Mafia innerhalb der Polizei auch. Für Deutschland sind dies Verhältnisse bisher nicht zu konstatieren – der Film spielt ja auch in der Zukunft - , aber man denkt im Film immer wieder an Guantanamo und Polizeiterror in Diktaturen, aber auch in Amerika, dem von gestern, aber erst recht von dem von heute.
Volt verhält sich auffällig. Er sucht immer wieder den Tatort auf. Er fängt an, Lügen zu erzählen über diese Nacht, aber die Lügen sind nicht konsistent und er verstrickt sich in seinem eigenen Lügengebäude. Das Widersprüchlichste ist, daß er in der Transitzone Trost sucht bei LaBlanche (Ayo), die ausgerechnet die Schwester des von ihm Ermordeten ist. Er führt nun ein Doppelleben, ist tags Polizist und nachts auf der anderen Seite.
Wir sehen ständig Nacht, auch wenn es Tag ist. Es liegt über allem eine Düsternis und ein Schrecken, der alles durchdringt. Die gesellschaftliche Situation außerhalb der Lager ist furchterregend, weil es überhaupt keine Gesellschaft mehr gibt, sondern Interessengruppen sich am Staat bedienen. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer.
Und dann passiert es. Es tritt ein Zeuge auf, der den Mord gesehen hat. Volt, der seinem Namen alle Ehre macht reagiert auf die eingetretene Überspannung mit anschließendem Kurzschluß. Jetzt funkt es.
Das wurde auch Zeit, denn die Situation war eigentlich klar. Die gewissen Längen der Handlung werden aufgewogen durch das, was man die Atmosphäre eines Films nennt. Normalerweise nicht unbedingt ein Kennzeichen deutscher Filme. Das bezieht sich nicht nur auf die Bildführung und die Beleuchtung, sondern auch am Drehbuch, was die Sprache angeht. Die Polizei spricht von Kanaken und Transitgesinde, verhält sich absolut rassistisch, dieselbe verbale Abfälligkeit auf Seiten der kasernierten Flüchtlinge. Die Brutalität bezieht sich nicht nur auf die verbalen Äußerungen oder die Taten, auch die Menschen drücken in ihren Gesichtern, ihrer Mimik und ihren Gesten sowie der Gestalt das Erlebte und die Häßlichkeit dieser Welt aus.
Tarek Ehlail ist der Regisseur, der das alles zusammenhält. Ihm ist mit diesem Film wirklich eine eigene Handschrift gelungen. Und spannend ist dieser Thriller auch.
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Info:
PROTAGONISTEN
Benno Fürmann Volt
Sascha Alexander Geršak Torsun
Ayọ LaBlanche
Denis Moschitto Adama
Anna Bederke Bea
Kida Khodr Ramadan Hassan-Zedah
Stipe Erceg Drasko
Tony Harrisson Mpoudja Hesham
Surho Sugaipov Ulasch
André M. Hennicke Polizeichef