Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Februar, Teil 1

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Das Sanatorium liegt nicht in Davos, sondern am Schwarzen Meer und der junge Mann aus vornehmem Haus, der sich 1937 dort einfindet, erkrankt nicht an der Lunge, sondern an Knochentuberkulose.

Aber das ändert nichts daran, dass der  rumänische Regisseur Radu Jude für seinen in Locarno mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichneten Film eine literarische Vorlage gewählt hat, die mit ihrem weltentrückten Ort und einer exzentrischen Gesellschaft von Moribunden unwillkürlich an Thomas Manns „Zauberberg“ erinnert.


Sie beschert zugleich die verdienstreiche Wiederentdeckung eines vergessenen jüdisch-rumänischen Autors: M. Blecher (1909-1938) zeichnet in seinen „Vernarbten Herzen“ seinen eigenen Leidensweg bis zu seinem Tod nach.


Wiewohl in einem Gipskorsett ans Bett gefesselt und auf die Hilfe anderer angewiesen, erscheint der 20-jährige Emanuel (Lucian Rus) allerdings als ein Lebenssüchtiger, der den Galgenhumor seines Vaters teilt und hoffnungsvoll Pläne für die Zukunft schmiedet. Das unterscheidet ihn im Wesentlichen von Manns fiktiver Romanfigur Hans Castorp.


Auch die Mitpatienten haben sich mit den Einschränkungen ihrer Krankheit abgefunden. Sie treffen sich abends und feiern, diskutieren über Antisemitismus, Faschismus, Hitler, die politische Situation im Land, aber auch über Dichtung, Kunst und Sex.


Emanuel verliebt sich in die Serbin Solange (Ivana Mladenović), eine Frau mit einer Beinprothese, die nach erfolgreicher Behandlung das Sanatorium verlassen kann, ihm aber verbunden bleibt. So einfach könne man diesen Ort nicht aus seinem Leben streichen, klärt sie Emanuel auf. In einer tragikomischen, nahezu kafkaesken Szene schlafen die beiden miteinander im Krankenbett und versuchen zum Höhepunkt zu kommen.


An dem Respekt vor der Vorlage rütteln solche künstlerischen Freiheiten nicht. Im Gegenteil, Jude bedient sich Kunstgriffen und einer Ästhetik, mittels der sich auch die Gedanken des Autors vermitteln, die sich schwer in Dialoge übersetzen lassen.


So korrespondieren Emanuels Kontemplationen und die Statik seines Lebens mit langen, ruhigen, nahezu unbeweglichen Einstellungen. Eingeblendete Texttafeln mit rudimentären Zitaten aus dem Roman deuten Gefühle an und ziehen den Zuschauer in die Perspektive des Bettlägerigen hinein.
Zum Ende freilich weicht der Lebenshunger doch mehr und mehr der Melancholie, wenn alle Zweifel schwinden, dass der Schwindsüchtige keine Besserungen mehr zu erhoffen hat. Da denkt man dann unweigerlich wieder an den „Zauberberg“.


Foto: (c) Verleih