67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 20

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Viel zNachdenkliches bringt einem dieser Film aus Südkorea und für diejenigen, die die Sprache beherrschen, auch viel zum Zuhören. Denn die Untertitel auf Deutsch und Englisch fassen die vielen Worte nur zusammen. Ein Gesprächsfilm, den ein Kollege als Hörspiel disqualifizierte.

Nein. Zugegeben, Geduld braucht man für das Zuschauen und sich Einlassen auf die so quirlige wie forsche und dann auch wieder stumme Schauspielerin Younghee aus Südkorea schon. Sie ist in der Heimat erfolgreich, aber diese Heimat ist ihr verleidet, weil ihre Liebesgeschichte mit einem verheirateten Mann ihr über den Kopf gewachsen ist. Wir finden sie gerade aus Asien eingeflogen in Hamburg vor, wo sie sich mit einer Freundin, ebenfalls Südkoreanerin, erst einmal über das Leben und die Männer und die Frauen austauscht, aber auch über die Schönheit der Natur.

Das wirkt auf uns komisch, denn ein Park im Winter und eine etwas heruntergekommene und geschlossene Gaststätte als liebliches Knusperhäuschen in herrlichster Landschaft zu bezeichnen, ist sehr euphemistisch. Von daher aufgepaßt. Hier kann man sehr viel lernen über die Art und Weise, wie Südkoreaner miteinander das Gespräch aufnehmen, wie sie sich vorsichtig an schwierige Inhalte heranwagen, Dinge umschreiben, sehr höflich miteinander in Frageform umgehen, auch Inhalte und vor allem Gefühlszustände wiederholen, durchaus auch mehrmals – und wie in die höfliche Kommunikation dann Younghee so frank und frei ihre Gefühle und Meinungen ausdrückt, daß uns das schon unhöflich vorkommt. Aber so ist sie eben. Und dieser Film ist auch eine Charakterstudie über eine moderne junge Südkoreanerin.

Sie spricht auch über sich selbst und hat ständig eine andere Meinung von sich und ihrer Situation. Mal erwartet sie sehnsüchtig den Geliebten, denn er hatte versprochen nachzukommen. Mal weiß sie genau, daß er nicht kommen wird und findet das nicht weiter schlimm. Sie ist mit der Interpretation und Einordnung ihrer Gefühle beschäftigt, was ihr in der Fremde sehr viel besser gelingt als zu Hause. Ein Mittel zum Zweck ist dabei die Natur in Deutschland. Von Hamburg aus fährt sie mit anderen an die Nordsee, sie wandert durch die Dünen, sie wandert auch durch winterliche Park- und Flußlandschaften, so als ob sie die Grundsätze der deutschen Romantik verinnerlicht hat, daß die äußere Bewegung die Voraussetzung für innere Bewegung ist.

Während wir noch darüber räsonieren, ist Younghee schon wieder zu Hause in Südkorea in der Küstenstadt Gangneung, wo sie eine andere Rolle spielt als in Hamburg. In Südkorea wird sie viel schweigsamer, aber auch bissiger. Vielleicht, weil sie auf alte Freunde trifft. Mag sein, daß man da deutlicher miteinander spricht. Es kann aber auch am Alkohol liegen, denn dem koreanischen Nationalgetränk Soju wird kräftig zugesprochen und da Alkohol die Zunge löst, schlägt Younghee verbal zu. Sie beleidigt, provoziert und auf einmal sprechen auch die anderen eine deutliche Sprache. Das gefällt Younghee nicht unbedingt.

Auf einmal sind wir länger in einer ganz anderen Situation und während wir uns noch fragen, wie das nun alles miteinander zusammenhängt, wird sie geweckt. Sie liegt am Strand und hat geträumt. Eines zumindest weiß sie nun, die Natur tut ihr gut.

Ob sie im Ohr die Musik hatte, die ihr der Regisseur unterlegt, oder besser: der Handlung unterlegt? Wenn schwelgerisch die Streicher das Schubertsche Quintett intonieren, sehr laut, fast überwältigend, dann paßt die dürre Kommunikation, die folgt, irgendwie nicht ins Bild. Und die Gefühlsebene der jungen Protagonistin ist ja auch viel widersprüchlicher als die perlenden Töne. Was soll die Musik ausdrücken, außer, daß sie schön ist, aber hier irgendwie fremd am Platz und unterschiedslos eingesetzt, vom Anfang des Films bis zum Ende.

Foto:

Info:

Hong Sangsoo

Republik Korea 2017

Koreanisch, Englisch

101 Min · Farbe

mit

Kim Minhee (Younghee)
Seo Younghwa (Jeeyoung)
Jung Jaeyoung (Myungsoo)
Moon Sungkeun (Sangwon)
Kwon Haehyo (Chunwoo)
Song Seonmi (Junhee)
Ahn Jaehong (Seunghee)
Park Yeaju (Dohee)

Stab

Regie, Buch
Hong Sangsoo
Kamera
Kim Hyungkoo, Park Hongyeol
Schnitt
Hahm Sungwon
Licht
Yi Yuiheang
Ton
Kim Mir, Song Yeajin
Stills
Kim Jinyoung
Farbkorrektur
Cho Heedae
Regieassistenz
Lee Jeahan
Herstellungsleitung
Kang Taeu
Produzent
Hong Sangsoo
Biographie
Hong Sangsoo

Geboren 1960 in Seoul, Südkorea. Nach dem Studium an der Universität Chung-Ang, am California College of Arts and Crafts und am Art Institute of Chicago verbrachte er mehrere Monate an der Cinémathèque Française in Paris. Mit Night and Day war er 2008 Gast des Berlinale-Wettbewerbs. 2010 erhielt er für HaHaHa den Prix Certain Regard in Cannes und kehrte 2012 mit In Another Country mit Isabelle Huppert dorthin zurück. Zuletzt war er 2013 mit Nobody's Daughter Haewon im Wettbewerb der Berlinale vertreten. Right Now, Wrong Then wurde 2015 in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet.

 

Filmografie

1996 The Day a Pig Fell Into The Well 1998 The Power Of Kangwon Province 2000 Virgin Stripped Bare By Her Bachelors 2002 Turning Gate 2004 Woman Is The Future Of Man 2005 A Tale Of Cinema 2006 Woman On The Beach 2008 Night And Day 2009 Like You Know It All 2010 HAHAHA · Oki's Movie 2011 The Day He Arrives 2012 In Another Country 2013 Nugu-ui Ttal-do Anin Haewon (Nobody's Daughter Haewon) · Our Sunhi 2014 Hill Of Freedom 2015 Right Now, Wrong Then 2016 Yourself And Yours 2017 Bamui Haebyun-eoseo Honja (On the Beach at Night Alone)