67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 21
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Unser Wissen über brasilianische Nationalhelden ist gering. Das kann sich, was Joaquim José da Silva Xavier alias Tiradentes angeht, im nach ihm benannten Film ändern, der im Brasilien des 18. Jahrhunderts spielt, wo die Sucht nach Gold genauso wie die Ausbeutung und Unterdrückung der Einheimischen und aus Afrika entführten Sklaven am größten war.
Erst einmal erleben wir Joaquim (Julio Machado) als das selbe Stück imperialistischen Mann wie die anderen. Jeder, der aus Portugal stammt, ist so sehr viel mehr wert als alle anderen. Obwohl, so ganz stimmt das nicht. Man muß zusätzlich auch aus besseren Kreisen kommen, um über den Stand des Unterleutnants hinauszuwachsen, der für Joaquim das Ende der bmilitärischen Fahnenstange ist. Sowieso. Wieso er dann sogar seine Uniform nicht mehr achtet und auf die andere Seite der Krone, den Aufstand gegen sie und für die Unabhängigkeit überwechselt, ist Inhalt des Film.
Die Ausbeutung Brasiliens im Namen und zum Vorteil der Königin ist noch nicht gewinnbringend genug. Denn die Goldförderung geht zurück und vom Gewinn fließt zu viel in die Taschen der korrupten Kolonialoffiziere. Unterleutnant Joaquim bekommt das mit, ist aber nicht selbst beteiligt und wartet verbal fordernd, aber dennoch untertänig, auf seine Belohnung als besonders erfolgreicher Jäger von Goldschmugglern. Das Geld braucht er dringend, denn die schwarze Sklavin (Isabél Zuaa), die ihm durchaus zugetan ist, die muß dem ganzen männlichen Troß zu Willen sein. Er will sie kaufen. Und das ist ein guter Zug von ihm.
Plötzlich eröffnet sich ihm die Möglichkeit, an Geld zu kommen. Er soll auf einer durchaus gefährlichen Expedition weitere Orte von Goldfunden eruieren. Zu seinem Troß gehören ein portugiesischer Beamter, der sich dumm genug anstellt, seine persönlichen Gefolgsleute, darunter versklavte Afrikaner, einheimische Indianer und Mestizen.
Aber die Ausbeute ist mehr als dünn. Die Gefahren dagegen groß. Deshalb bleibt am Schluß nur noch Joaquim übrig, der immer noch nach Gold suchen will, weil er das persönlichste Motiv hat, seine Schwarze wiederzufinden und zu kaufen. Daß ausgerechnet die Liebe die sonstige Sucht nach Geld zum Zweck der Goldsuche macht, ist ein netter Zug des Films. Gleichzeitig hat Joaquim Gespräche mit ehemaligen Portugiesen und jetzigen brasilianischen Bauern über die Ungerechtigkeit der kolonialen Gesellschaft. Mit Kirchenvertretern, die ihm ihre Zweifel am politischen System offen sagen und ihm Schriften aus den USA über Menschenrechte und grundsätzlich über Freiheit und Selbstbestimmung in die Hand geben, erkennt Joaquim nach und nach den Unterdrückungsmechanismus, den die Alte Welt der Neuen aufzwingt.
Als er mit den anderen zurückgeht, ist klar, er wird wiederkommen, um allein das Gold zu suchen. Auf diesem Trip wird er aber gefangengenommen von einer Truppe entflohener Sklaven. Trotz Kopfverhüllung erkennt er die Stimme seiner Schwarzen, die ihm aber bedeutet, die Schnauze zu halten. Sie wird ihm dann aber heimlich im Morgengrauen die Fesseln durchschneiden, er entkommt, schließt sich den Aufständischen an, die schließlich die Revolte gegen Portugal wagen und irgendwann gewinnen. Deshalb ist dieser Joaquim zum brasilianischen Nationalhelden geworden.
Abgesehen davon, daß man gerne Filme über nichtportugiesische brasilianische Nationalhelden sehen möchten, sollte deutlich gesagt werden, daß der Film größtenteils fiktive Szenen zeigt, von denen einige Episoden überliefert sind.
Naturgemäß ist dies ein Film, in dem fast nur Männer eine Rolle spielen. Noch dazu in Uniformen. Das galt so manchem als notwendig, die tatsächlich meinen, dies sei eine Berlinale der schwachen Männer und starken Frauen. Und wenn auch nur eine Frau hier richtig mitspielt, bringt sie jedoch allein schon mehr Kraft und Entschlossenheit auf, als die Männer. Joaquim sucht sie auch deshalb, weil sie entflohen ist, nachdem sie den Verwalter ermordet hat.
Das Interessante am Film ist, daß auch der Anteil der aus Afrika entführten Sklaven im Unabhängigkeitskampf gewürdigt wird.
Sicher werden die Wege durch den Dschungel absichtsvoll mit einer wackelnden Kamera gedreht, um den unsicheren Weg, das Stolpern und potentielle Hinfallen zu charakterisieren. Beim Zuschauen im Sessel wird einem aber leider potentiell schlecht. Leider gab es ein Problem mit den Untertiteln. Der im brasilianischen Portugiesisch gedrehte Film hat sehr oft Dialoge, für die überhaupt keine Untertitel vorhanden sind. Insbesondere den Aussagen der richtig schön dominant auftretenden Sklavin hört man zwar einen entschiedenen und diesen Herrensöhnchen gegenüber ablehnenden Ton an, aber ohne Übersetzung weiß man den genauen Inhalt eben doch nicht. Dies Problem gab es bei anderen fremdsprachigen Filmen nicht.
Foto: (c) berlinale.de
Info:
Marcelo Gomes
Brasilien / Portugal 2017
Portugiesisch
97 Min · Farbe
mit Julio Machado, Isabél Zuaa, Rômulo Braga, Welket Bungué, Nuno Lopes