Am 27. Oktober 2016 in deutschen Kinos angelaufen und ab 28. April 2017 als DVD, Teil 1/2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dieser Dokumentarfilm ist schon im letzten Oktober angelaufen, bekommt aber durch die Würdigung von Philipp Schwartz in Frankfurt eine weitere Legitimation. Außerdem ist er unmittelbar käuflich zu erwerben und um Philipp Schwartz geht es in diesem Film nämlich auch!
Tatsächlich ist dieser Film von höchster Wichtigkeit und Aktualität. Unbegreiflicherweise ist nicht so bekannt, wie es sein müßte, wie segensreich zu den unseligen Zeiten des Dritten Reiches die Türkei unter Atatürk deutsche Juden aufnahm.
Das Segensreich bezieht sich nicht nur auf die Rettung der Leben vor der Vergasung in den deutschen Vernichtungslagern, sondern auch, in welchem Ausmaß das Exil gewinnbringend für beide war, für die Exilanten und das aufnehmende Land. HAYMATLOZ – Exil in der Türkei ist ein Dokumentarfilm in der Länge von einer Stunde und 35 Minuten. In Kurzfassung: Direkt nach der Machtergreifung durch die Nazis verloren rund ein Drittel der Professoren ihre Stellungen an deutschen Universitäten. Was die Wenigsten wissen: zahlreiche Intellektuelle, Juden und Antifaschisten, flüchteten in das unbekannte Exilland Türkei. Staatsgründer Atatürk hatte die Deutschen…
In der Tat ist es unglaublich, was man alles erfährt, von dem man nur andeutungsweise etwas wußte. Und wie wichtig wäre es, diesen Film gerade nach dem Referendum in der Türkei in den Kinos zu zeigen und im Fernsehen auch, denn er zeigt eine Türkei auf, in die sich diejenigen retten konnten, die berechtigt vor der Nazidiktatur dorthin geflohen waren. Heute haben wir die umgekehrte Situation: heute gibt es nicht wenige Türken, die in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag stellen, weil sie, ihre Arbeit, aber auch ihr Leben in der Türkei gefährdet sehen – und nicht nur sehen, denn die Gefängnisse sind voll und die Entlassungen aus staatlichen Stellen tausendfach. Das heißt also, daß man vor allem in türkischen Kreisen diesen Film zeigen sollte, der aufzeigt, wie stolz sie auf ihr Land sein können, daß zu Zeiten der Diktatur in Deutschland eine fortschrittliche Demokratie war. Und nun kann man ihn als DVD erwerben!
Filmemacherin Eren Önsöz hat sich in der Türkei gemeinsam mit Nachkommen bestimmter Emigranten auf den Weg gemacht, deren Spuren in der heutigen Türkei zu verfolgen, wobei insbesondere der wissenschaftliche Anteil, also auch die Entwicklung der Universitäten in Istanbul und Ankara im Mittelpunkt steht. An fünf Beispielen erleben wir dies paradigmatisch und jedes Beispiel macht einen glücklich, wie gut die Flucht für die Exilanten und ihr aufnehmendes Land ausging und wütend darüber, welchen kulturellen und wissenschaftlichen Kahlschlag die Nazis uns, den Deutschen, selbst zugefügt haben, in dem sie die Geisteseliten ins Feuer schickten, wenn diese sich nicht rechtzeitig retten konnten.
Darum hat dieser Film wirklich mindestens zwei Botschaften: für die Türken und türkischstämmigen Deutschen ihre Bewunderung für die damalige Türkei und für die Deutschen einen abgrundtiefen Haß gegenüber den Nazis, die im Namen Deutschlands deutsche Eliten vernichteten oder vertrieben. Damit kein Mißverständnis auftritt. Jeder Mensch ist wichtig und seine Rettung ebenso. Aber an diesem Film kann man wieder einmal so deutlich, wie wenn es um Exile in die USA oder nach Lateinamerika geht, sehen, daß die Nazis der deutschen Kultur ihre besten Köpfe abschlagen wollten und es z.T. auch konnten. Die jedoch, denen Atatürk Bleiberecht gab, eben nicht.
Der Film selbst spricht aber nicht von der großen Politik, sondern von den Menschen, die sich in die Türkei retten konnten, ihrem dortigen Leben und was mit den Nachkommen passierte….
Dabei können wir nicht alle fünf Porträtierten hier würdigen, obwohl es einen juckt, denn jeder der Vorgeführten samt ihrer Nachkommen repräsentiert eine besondere Seite, wie beispielsweise Edzard Reuter, der ehemaligen Daimler Chrylser Vorstandschef, Sohn des legendären Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter. Edzard, dessen für uns exzentrischer Vorname aber gar nichts Türkisches hat, wie wir immer dachten, sondern auf Ekkehard zurückgeht. Edzard, wie schon ostfriesische Grafen hießen, wurde noch 1928 in Berlin geboren, ging als Kind 1935 mit sieben Jahren ins Exil und kam 1946 als Jugendlicher mit den Eltern zurück nach Deutschland.
Fortsetzung folgt
Foto: (c) Filmverleih
Info I:
Film+DVD:
Erscheinungsdatum: 27. Oktober 2016 als Film und 28. April 2017 als DVD Marc Oliver Dreher (Darsteller), Erik Winker (Darsteller) Alterseinstufung: Freigegeben ohne Altersbeschränkung, mindjazz
Regisseurin: Eren Önsöz
Musik komponiert von: Jörg Follert
Drehbuch: Eren Önsöz
Produzent: Erik Winker
Kamera: Andreas Köhler
Info II: Die Philipp Schwartz Initiative wird finanziert durch das Auswärtige Amt, die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die Fritz Thyssen Stiftung, die Gerda Henkel Stiftung, die Klaus Tschira Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, den Stifterverband sowie die Stiftung Mercator.