Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Mai 2017, Teil 10
Helmut Krausser
Berlin (Weltexpresso) - EINSAMKEIT UND SEX UND MITLEID ist sicher die gelungenste Verfilmung eines meiner Bücher.
Ich schrieb eine erste Fassung, ohne Honorar, sozusagen auf Verdacht, schon um zu beweisen, dass das Buch filmisch ohne große Abstriche in 90 Minuten umzusetzen ist. Dabei habe ich versucht, alle 36 vorkommenden Charaktere zu „behalten“.
Die Figuren eines Romans sind für einen Schriftsteller ja so was wie seine Familie. Man glaubt, sie sehr gut zu kennen und will keinem wehtun. Ich glaube, dass diese erste Fassung des Drehbuchs sehr viel vom Witz des Buches transportiert hätte, es wäre eine skurrile dialoglastige Komödie daraus geworden. Aber schnell war mir auch klar, dass es so nicht gehen konnte. Folglich hat Lars etliches Personal entfernt, zum Beispiel die Punks. Darüber habe ich mich natürlich zuerst aufgeregt, zum Beispiel auch, dass Eckis schwarze Geliebte Minnie verschwinden musste und zwei der Figuren zu einer verschmolzen wurden, aber rein pragmatisch gesehen ging es wohl kaum anders.
Daraus folgerte aber auch, dass etliche Geschichten umgeschrieben werden mussten, und das habe ich dann lieber Lars überlassen. Er hat zu den diversen Hetero-Beziehungen noch eine schwule hinzugefügt, was mich anfangs irritiert hat, denn eine Rolle wie Ecki wurde dadurch ja komplett umgedeutet, aber inzwischen finde ich das sehr ok, das gehört bei einem Panorama sexueller urbaner Beziehungen einfach dazu. Andererseits wurde durch die filmische Komprimierung das rein sexuelle Element deutlich in den Vordergrund gestellt.
Ich sah mich plötzlich einem Film gegenüber, der viel drastischer, ja brachialer war als mein Buch. Von daher nahm ich mir die sechste Fassung des Drehbuchs und versuchte, ein wenig mäßigend einzuwirken, denn Sex ist, wie der Titel nahelegt, bei mir nur eine Komponente des Stoffes. Man musste auch stark aufpassen, dass die teils gewagten Dialoge, die im Buch viel milder sind, niemand in den falschen Hals bekommen würde.
Erst am Ende offenbart sich die Vision des Regisseurs. Jetzt ist der Film sozusagen in einem anderen Genre gelandet, aber in sich völlig flüssig und spannend.
Im Laufe der Arbeit hat Lars Montag die Schauplätze, die Locations, immer weiter radikalisiert, bis an die Grenze des Realen. Die meisten Zuseher zum Beispiel würden nicht glauben, dass „leise Diskotheken“, bei denen man mit Kopfhörern tanzt, oder sogenannte „Anger Rooms“, bei denen man mit dem Baseballschläger Mobiliar gegen den inneren Frust zerschlagen darf, wirklich existieren, aber es gibt sie.
Das Filmteam hat schier Unglaubliches geleistet.
Das Ensemble ist absolut stimmig, es hat mich durchweg begeistert. Beim Rohschnitt übrigens noch nicht, denn da war so viel vernuschelt und unverständlich, dass ich schlicht oft nicht kapiert habe, was da verhandelt wird. Ich hatte die Möglichkeiten der Nachbearbeitung komplett unterschätzt. Jetzt, finde ich, ist ein sehr aktueller Film entstanden, der sich angenehm vom üblichen deutschen Angebot abhebt, der etwas wagt und auf die Kacke haut, ohne über das Ziel hinauszuschießen.
Foto: Der Autor mit seinem Buch(c) umagazin.de