Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. Mai 2017, Teil 8

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir waren von den musiktheoretischen Aussagen im Einführungsvortrag des Frankfurter Historikers Alfons Maria Arns so angetan, daß wir ihn um seine Worte im Zitat baten.

Zur Wirkung der Musik OU‘LL NEVER WALK ALONE auf den Zuhörer sagte er: „Meiner Meinung nach ist es die ebenso einfache wie vielschichtig-wirkungsvolle Komposition selbst, die das Erfolgsgeheimnis dieser universell-humanen supranationalen Hymne ausmacht, die auch wie eine religionsübergreifende Predigt, ein Gebet oder ein Kirchenlied verstanden werden kann. In der einfachen Tonart C-Dur gesetzt ist es anfangs ein Durchgang durch klassische Harmonieverbindungen wie Tonika, Subdominante und Dominante, hier also C-Dur, F-Dur und G-Dur. Dann aber dreht der Komponist auf mit verschiedenen Modulationen und ihren parallelen Molltonarten, wodurch die positive Grundstimmung ins Bedrohliche kippt. Die sich anschließende dramatische Steigerung gelingt vor allem durch spannungsvolle wiederum klassisch nach Auflösung drängende Septakkorde, die schließlich in den langgezogenen Refrain münden.“

Und er präzisiert: „ Geführt wird dieser Durchgang durch eine in Sekundschritten aufsteigende Melodielinie mit fallenden Terzintervallen im pathetischen Schlussrefrain. Das im Text eindringlich beschworene Gehen und Voranschreiten trotz Sturm, Wind, Nacht und Regen setzt sich um in einer stets erneut ansetzenden, geradezu im wörtlichen Sinne aufstehend-ansteigenden Melodie, aber auch im geschickten Wechsel der Notenwerte, die ja die Dauer des Gesungenen markieren: vorwärtsdrängende Viertelnoten, zögernde halbe Noten und schließlich innehaltende, gewissermaßen zur Ruhe kommende, lang angehaltene ganze Noten.“ Deshalb kommt er zur Konsequenz: „Der ursprünglich tragische Schluss in Ferenc Molnars Theaterstück Liliom, der eigentlichen Grundlage des Musicals aus dem Jahre 1909, aber dazu gleich mehr im Film, verwandelt sich so in ein hoffnungsvolles Finale.“

Aber damit nicht genug. Als dann ein Eintracht Fan-Beauftragter – das sind die ehrenwerten Menschen, irgendwie immer männlich, die im Namen der Eintracht versuchen, die friedliche Verbindung der vielen Fangruppen mit dem Verein Eintracht Frankfurt sicher zu stellen. Konkret bedeutet das viel Kärrnerarbeit, wenn die Mannschaft durch miese Spiele ihre Anhänger aufbringt, die dann ihren Frust in üblen Aktionen auslassen, wie trotzige Kinder, die ihr Lieblingsspielzeug gegen die Wand schlagen, weil es nicht so reagierte, wie gewünscht. Das Abfackeln von Leuchtkörpern, die Bengalos.in Stadien, das Verbrennen von Fahnen, der mittelalterliche Kampf Mann gegen Mann bei Fanstreitigkeiten auf öffentlichen Plätzen oder direkt nach Fußballspielen, wobei aus der einstigen Waffe der Armbrust Bierflaschen, ja abgebrochene Hälse der Flaschen und sonstiges werde...nein, nein, das sind unsere, nicht die werten Worte des Fan-Beauftragten, dessen Name wir nicht behalten haben, der aber einen so guten und fachkundigen Eindruck machte, daß dem Verein Eintracht zu ihm nur zu gratulieren ist.

Er zeigte eine erstaunliche Kenntnis, auch eine genaue des Liedes, das für ihn eindeutig nur in Liverpool zu Hause, deshalb auch in Dortmund nichts zu suchen hat und schon gar nicht ins Waldstadion nach Frankfurt gehört. Da ist er sich sicher und kam dann doch überraschend zur Gewißheit, daß auch die Eintracht einst...Witzig war das, was wir auch aus eigener Erfahrung kennen. Man soll über etwas sprechen und holt das alte Material zusammen. Für den Fan-Beauftragten hieß das, seine alten Eintrachtsachen aus dem Karton im Keller zu holen, wo er dann – überrascht, ja geradezu vor den Kopf gestoßen - seine erste Eintrachtdevotionale entdeckte, die er vor 20 Jahren bei seinem ersten Mal im Waldstadion gekauft hatte, die er nun hervorzog. Eine Eintrachtfahne, auf der am unteren Rad eindeutig und gut lesbar steht: YOU‘LL NEVER WALK ALONE...Also, auch Du Eintracht…

Aber man wird halt weiser mit den Jahren. Daß diese Fußballhymne nach Liverpool gehört, bleibt richtig. Die Frankfurter brauchen auch kein weiteres Lied. Die Fangesänge zeigen dies. Erstaunlich, daß meine persönliche Eintrachthymne … gar nicht genannt wurde. Denn früher hieß es doch immer:
„Erbarmen - zu spät
die Hesse komme!
Erbarmen - zu spät
die Hesse komme!“

Aber es stimmt, was der junge Kollege ausführte, daß IM HERZEN VON EUROPA die Hymne der Eintracht geworden ist. Dramaturgisch völlig sinnvoll, wird dies Frankfurter Lied direkt vor dem Anpfiff des Spiels im Stadion gesungen. Entstanden ist es als Frankfurter Lied 1959 und dann auf Eintracht Frankfurt umgeschrieben, 1977 auf Schallplatte verewigt und beim Abstieg der Eintracht aus der Ersten Bundesliga Ende der 90er Jahre wiederaufgelebt und in eine CD gepreßt.

Im Herzen von Europa

Im Herzen von Europa liegt mein Frankfurt am Main
Die Bundesliga gibt sich hier gar oft ein Stell-dich-ein
Hier gibt es eine Eintracht, die spielt Fußball ganz famos
Man kennt sie nicht nur am Mainestrand ? nein auf der ganzen Welt
Und wenn sie gewinnt im Waldstadion, dann ist die Stimmung groß.
Eintracht vom Main, nur du sollst heute siegen!
Eintracht vom Main, weil wir dich alle lieben
Schieß noch ein Tor, dem Gegner in den Kasten rein!
Jeder wird sagen, ohne zu fragen
In dieser schönen Stadt am Main
Eintracht aus Frankfurt, du schaffst es wieder,
Deutscher Meister zu sein!

Eigene Lieder im Fußball, das gibt es auch anderswo. Inzwischen gehöre eigene Lieder längst dazu. Aber bei besonderen Gelegenheiten im internationalen Fußballeben, das hatte Alfons Maria Arns ausgeführt, wird überall dies im Kern melancholische Lied gesungen. Der Eintracht Fan-Beauftragte erinnerte an die Beerdigung des 2009 durch Selbstmord gestorbenen Hannoveraner Tormanns Robert Enke, wo ebenfalls YOU‘LL NEVER WALK ALONE gesungen wurde.

Insofern wurde die melodramatische Ballade aus Stück und Film berühmter als ihr inhaltlicher Hintergrund, wo es um ein Frauenschicksal geht. Die heute internationale Hymne, gekapert durch den Fußball, wurde – was man in den Stadien deutlich sieht – zur Männerhymne, wo doch eigentlich die Romanze Weibersache ist.

Wir sind längst in der Diskussion nach der Filmvorführung angekommen, wo uns Marcus Langer auffiel, der so fachkundig und engagiert über den gerade gesehen Film und dessen Uraufführung in Hamburg sprach, daß wir uns über seine Begeisterung fast wunderten. Seine Herkunft hatte er klar gelegt: die Firma EVONIK, wo er Leiter von Konzernmarketing und PR ist, wobei er auch gleich Beispiele anführte, wie deren Herstellung kleiner Substanzen Produkte verändern kann, was viel Geld bringt.

EVONIK ist also Hauptsponsor von Borussia Dortmund und wurde so auch ein kräftiger finanzieller Förderer des Films. Spätestens als er über weitere Förderungen seiner Firma sprach und den Namen Thomas Hengelbrock erwähnte, den charismatischen Chefdirigenten des NDR Elbphilharmonie Orchesters in Hamburg, der übrigens mit dem Rheingau Musikfestival fest verbandelt ist, spätestens da beschlossen wir, ein andermal mit Marcus Langer ein ausführliches Interview über seine Sponsorentätigkeit zu führen. Das wird interessant, da sind wir uns sicher.

Fortsetzung folgt also.


Foto: (c) Verleih

Info:
Premierenvorstellung von You’ll never walk alone – Die Geschichte eines Songs (D 2017, Regie: André Schäfer) in den E-Kinos in Frankfurt am 18. Mai 2017 um 19.00 Uhr, Filmabend mit Einführung und Gespräch
Eine Kooperation des Jüdischen Museums Frankfurt am Main mit Evonik AG, dem Eintracht Frankfurt Museum und den E-Kinos Hauptwache
Einführung zum Film von Alfons Maria Arns, Frankfurt am Main
Danach Diskussion. Ende gegen 24 Uhr

Da wir die Besprechung ausführlich gehalten hatten, haben wir die Filmrezension zusammen mit Einführung und Diskussion im Anschluß an den Pokalsieg 2017 von Borussia Dortmund veröffentlicht.