Die Preise von Cannes 2017

 

Romana Reich

 

Berlin (Weltexpresso) – Von Berlin aus hat man früher doch immer eher neidisch auf Cannes geblickt, auf die dortigen Filmfestspiele im Mai, wo es schon Sommer ist, während die Berlinale meist im Schmuddelwetter des Februars über den Roten Teppich eilen läßt oder bei bitterer Kälte im ausgeschnittenen Abendkleid.


Aber in der Hauptsache geht es ja um Filme und glaubt man der deutschen Filmkritik, so gab es dieses Jahr in Cannes Pech, Pleiten, Pannen. Was einen dann doch wundert, das ist, daß auf einmal ein Film das Rennen um die Goldene Palme machte, den keiner hierzulande auf dem Schirm hatte, über den die großen Herren und Damen Kritiker gar nicht gesprochen hatten. Aber, so erklärte dann Max Moor, Moderator in TTT der ARD in der Sonntagnacht, der Film THE SQUARE sei Spitze und die Preisverleihung absolut angemessen. Also hat zumindest einer ihn gesehen. Von uns kommt mehr, wenn dieser Film in die deutschen Kinos kommt, was nach der Preisverleihung doch sehr wahrscheinlich ist.

 

AUS DEM NICHTS kommt Fatih Akin wirklich nicht. So heißt nur sein neuester Film, der in Cannes Furore machte, aber eben den Preis nicht bekam, dafür aber Diane Kruger den Preis als beste Schauspielerin bescherte, für ihre Darstellung einer Witwe eines Mordopfers der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund), schlimmer, dieser rechtsradikale Mob hat nicht nur ihren Mann, auch ihr Kind umgebracht. Und die Witwe weiß, was sie daraufhin zu tun hat.

 

Warum man sich über den Preis freut, hat viele Gründe. Auch, weil er verdient ist. Aber eben auch, weil Diane Kruger in Deutschland nicht ein so bekanntes Gesicht  – ein schönes dazu – und kein so bekannter Name ist , wie es sein müßte. Wer außerhalb deutscher Lande sein Glück versucht, der hat es hierzulande schwerer als andere. Das ist immer noch der Marlene-Dietrich-Effekt, der ja einst auch Romy Schneider traf, als sie nach Frankreich und zu Alain Delon ging. Erst später, als sie weltbekannt war, verziehen ihr die Deutschen, daß sie in der Fremde berühmt wurden.

 

Spätestens seit Inglourious Basterds von Tarantino, wo Diane Kruger eine Spionin mit dem eigenartigen Namen Bridget von Hammersmark spielt, schlüssig und schön spielt, und trotzdem, oder gerade deshalb von den Filmnazis erschossen wird, hätte sie doch hierzulande viel bekannter sein müssen. Eigentlich ja schon seit TROJA, wo sie eine sehr dünne SCHÖNE HELENA war, was für Brad Pitt wichtig war, der ihretwegen als ACHILL in den Trojanischen Krieg zog, bzw. diesen angezettelt hatte.

 

Sozusagen eine Ironie der Geschichte ist, daß nun Diane Kruger in ihrer ersten Rolle in deutscher Sprache gleich als beste Schauspielerin in Cannes ausgezeichnet wurde. Immerhin spielte Nicole Kidman dort in vier Filmen mit. Deutsche Schauspieler, auch deutsche Schauspielerinnen haben es in der Regel schwer. 1986 war die letzte Auszeichnung für eine deutsche Schauspielerin in Cannes: Barbara Sukowa gewann sie für ihre Rolle als Rosa Luxemburg.

 

Daß Fatih Akin das dramatische Talent der Diane Kruger erkannte und ihr und sich die Chance gab, in diesem Politfilm zu brillieren und damit auch den Film, und damit erst recht den Gehalt des Films aufzuwerten, macht einen froh. Gleich zwei Merkwürdigkeiten fallen auf. Einen Film zu drehen, was ja heute in dieser Preisklasse ein schwieriges und zeitlich aufwendiges Unternehmen ist, setzt erst einmal das Erstellen eines Drehbuchs voraus, was dauert, aber einen Film zu drehen, geht dann doch immer noch schneller, als den NSU-Prozeß, der seit Jahren in München läuft, irgendwann mal zu beenden. Mit einem Urteil zu beenden. Irgendwie ist das ein Armutszeugnis für Deutschland, wobei es ja im Falle der NSU-Verbrechen, die zehn Jahre lang anderen in die Schuhe geschoben wurden, nämlich genau denen, die Opfer waren, nicht das erste ist. Denn es geht um eines der düstersten Kapitel des wiedervereinigten Deutschlands, gerne auch Anschluß genannt, der vom Osten an den Westen.

 

Bei diesem Thema kann man nicht eine heitere Komödie drehen und man kann auch nicht einen Thesenfilm machen. Es geht um Blut und darum, zu welchen Mitteln hierzulande Menschen greifen, die glauben, sie hätten die Welt für sich gepachtet. Nein, wir hören schon auf, die Filmbesprechung kommt ein andermal. Worüber man sich aber ein Grinsen nicht verkneifen kann, ist, daß mit Fatih Akin einer den Film konzipierte und möglich machte, der durch Erfahrung genau weiß, worum es in Deutschland geht und der dann mit der im Ausland tätigen deutschen Blondine das auch noch so gut macht, daß sich solche wie die AfD und noch Schlimmere nur darüber ärgern können, was das eigentlich für Deutsche sind, die jetzt für Deutschland Preise einheimsen, das ist irgendwie eine Genugtuung, die wir weitergeben wollten.

 

Bleibt, etwas zu den Preisen zu sagen, was schwierig ist, wenn man die Filme nicht kennt. Die Goldene Palme bekam der Film THE SQUARE von Ruben Östlund aus Schweden, auf den wir wie auf die anderen Preise noch eingehen.

 

Jury:

Jurypräsident war 2017 Pedro Almodóvar mit folgender Jurybesetzung:

Maren Ade, deutsche Regisseurin, Drehbuchautorin und Filmproduzentin (Teilnehmerin am Wettbewerb 2016)

Jessica Chastain, US-amerikanische Schauspielerin und Filmproduzentin

Fan Bingbing, chinesische Schauspielerin und Filmproduzentin

Agnès Jaoui, französische Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin (Drehbuchpreis 2004)

Park Chan-wook, südkoreanischer Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent (dreimaliger Wettbewerbsteilnehmer, Großer Preis der Jury 2004 und Preis der Jury 2009)

Will Smith, US-amerikanischer Schauspieler, Filmproduzent und Musiker

Paolo Sorrentino, italienischer Regisseur und Drehbuchautor (sechsmaliger Wettbewerbsteilnehmer, Preis der Jury 2008)

Gabriel Yared, französisch-libanesischer Komponist

 

 

Die Preise

 

Wettbewerb – Bester Spielfilm

Kategorie

Preisträger

Goldene Palme für den besten Film
(präsentiert von Juliette Binoche,
Bekanntgabe des Preisträgers durch Jurypräsident Pedro Almodóvar)

The Square – Regie: Ruben Östlund

Großer Preis der Jury
(präsentiert von Agnès Jaoui und Costa-Gavras,
Bekanntgabe durch Almodóvar)

120 battements par minute – Regie: Robin Campillo

Beste Regie
(präsentiert von Fan Bingbing und Gabriel Yared,
Bekanntgabe durch Almodóvar)

Sofia Coppola (The Beguiled)
(Preis stellvertretend von Maren Ade angenommen)

Bestes Drehbuch
(präsentiert von Marisa Paredes und Park Chan-wook,
Bekanntgabe durch Almodóvar)

Efthymis Filippou und Giorgos Lanthimos (The Killing of a Sacred Deer)
Lynne Ramsay (You Were Never Really Here)

Beste Darstellerin
(präsentiert von Irène Jacob und Paolo Sorrentino,
Bekanntgabe durch Almodóvar)

Diane Kruger (Aus dem Nichts)

Bester Darsteller
(präsentiert von Jessica Chastain,
Bekanntgabe durch Almodóvar)

Joaquin Phoenix (You Were Never Really Here)

Preis der Jury
(präsentiert von Maren Ade und Guillaume Gallienne,
Bekanntgabe durch Almodóvar)

Nelyubov – Regie: Andrei Swjaginzew

Spezialpreis der 70. Filmfestspiele
(präsentiert von Will Smith,
Bekanntgabe durch Almodóvar)

Nicole Kidman

 

 Foto: Regisseur Fatih Akin gratuliert seiner Hauptdarstellerin Diane Kruger (c) heute.de