Zum 125. Geburtstag des Hamburger Psychiaters, Dichters und liberalen Widerstandskämpfers Fritz Julius Buß
Alexander Martin Pfleger
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Seitdem es mir möglich war, seiner auf Weltexpresso mit einem Artikel anläßlich seines 50. Todestages zu gedenken (vgl. hierzu: https://weltexpresso.de/index.php/buecher/5861-und-neue-hoffnung-waechst-aus-heldengraebern ) sowie ihn und sein Werk im Rahmen eines Vortrags zu würdigen, den ich im November 2015 auf einer literarischen Abendveranstaltung der Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft, e. V., Berlin, in den Räumlichkeiten des Gerhart-Hauptmann-Museums in Erkner hielt, erreichten mich einige interessierte Anfragen nach Fritz Julius Buß.
Den damaligen Stand meines Wissens repräsentieren der damals erschienene Artikel und die entsprechenden Teile meines Vortrags. Allzu viel Neues läßt sich seither noch nicht berichten. Die Edition seiner drei großen Versdramen „Atlantis“, „Die Nibelungen“ und „Die Untermenschen“ schreitet langsam dem Ende entgegen. Ich hoffe auf eine Veröffentlichung im kommenden Jahr – genauer gesagt: Auf eine Wiederveröffentlichung von „Atlantis“ und der „Nibelungen“ sowie auf die Erstveröffentlichung der „Untermenschen“.
Nebenbei erfolgt die Erschließung der dramatischen Fragmente und der Gedichte. Die Vorbereitung der Veröffentlichung der „Psychopathologie“ wird noch manche Herausforderung mit sich bringen.
Besonders erfreulich war für mich die Reaktion des Dichters und Verlegers Uwe Lammla, der meinen Artikel in seinem Jahrbuch „Das Lindenblatt“ nachdruckte.
Auch freut es mich sehr, daß mein Artikel mittlerweile in einem Punkt überholt ist: Es ist nun doch ein Exemplar der „Nibelungen“ in einer Bibliothek aufgetaucht – in den Beständen der Bibliothek der University of Wisconsin, Madison.
Traurig hingegen stimmte mich die Nachricht vom Ableben von Frau Hilke Buß Anfang Oktober 2016. An meine Besuche bei ihr im Alten Forsthaus in den Wäldern bei Buchholz/Nordheide Anfang August 2014 und Ende September 2015 denke ich stets gerne zurück. Viele wichtige und wertvolle Dokumente aus dem Nachlaß ihres Vaters machte sie mir zugänglich bzw. stöberten wir gemeinsam in Schränken, Schubladen und Kommoden auf.
Buß war in des Wortes bestem Sinne ein Mann der Aufklärung. Fest verwurzelt im protestantischen Glauben, stellten für ihn Rationalität und Religiosität keine unvereinbaren Gegensätze dar. Resignation und Fatalismus verfiel er nicht, und ebensowenig war er ein Freund falscher Heilsversprechungen, die in den großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts kulminierten. Für ihn stand immer die fortwährende Verpflichtung eines jeden einzelnen Menschen zu ethischem Handeln im Vordergrund.
Wir ehren ihn an diesem Tag am besten, indem wir ihm selbst das Wort überlassen und seinem Vorwort zu seiner „Atlantis“-Tragödie mit dieser ONLINE-Veröffentlichung zu einer weiteren Verbreitung verhelfen.
Fritz Julius Buß
Vorwort zu: Atlantis. Die Tragödie eines Weltuntergangs
Unsere Zeit stellt uns täglich vor neue Probleme. In wenigen Jahrzehnten sind aus den Menschen denkende Maschinen geworden. Die darstellende Kunst ringt um einen neuen Ausdruck. Da erhebt sich die Frage, ob unser Zeitalter mit dem Alten endgültig gebrochen hat. Gibt es nur eine Kunst, gibt es nur eine Moral, nur eine Entwicklung, die in unendlichen Kreisen immer wieder zu sich selbst zurückkehrt? Ist der Weg, auf dem wir jetzt gehen, der richtige? Was ist das Ende?? Der Ausgangspunkt für unsere derzeitige Einstellung gegenüber der Welt ist die auf der Darwinschen Abstammungstheorie beruhende mechanistisch-monistische Weltanschauung Haeckels, welche in ihrem Erfolg auf die Massen beispiellos dasteht. Selbst die Akademie hat sich der Beweisführung Haeckels nicht verschließen können, ist ihrerseits Strömung geworden und hat so dazu beigetragen, den Verfallsprozeß, in dem wir uns befinden, zu beschleunigen. Das ist die große Tragödie unserer Zeit, die mit unfertigen Ideen wie mit festen Begriffen arbeitet, an denen nicht gerüttelt werden darf. Das Problem, um das es sich zuletzt handelt, ist die Auflösung der Kultur durch die Zivilisation, die Vernichtung der Individualität durch die Masse. Die treibende Kraft ist die Angst vor dem Tode.
Hier setzt die Tragödie Atlantis ein.
Wenn der Monismus Recht hat, gibt es dann eine Moral im Sinne der staatserhaltenden Menschheitsidee?
Dieser Frage wird der Mensch solange wie möglich auszuweichen bestrebt sein. Wenn er aber von dem sittlichen Ernst seiner Idee überzeugt ist und wenn nun die Welt morgen versinkt und er der Mechanist errechnet den Untergang, vielleicht nur erst eines Teiles der Erde, dann wird er gerade zu dieser Frage unbedingt Stellung nehmen müssen und wird diese Frage in seinem Sinne lösen. Diese Lösung fällt immer gleich aus. Beiläufig mag erwähnt sein, daß viele Geisteskrankheiten mit einer Halluzination des Weltuntergangs beginnen, welche zur Vereinsamkeitsidee führt, wie sie künstlerisch von Hölderlin und teilweise von Strindberg gestaltet worden ist. Den Weg heraus zeigt uns Dostojewsky in seinem Rodion Raskolnikoff, welcher in seinem gewaltigen Finale Anklänge an den Faust II gibt, der denselben Vorwurf zum Thema hat: "Durch Schuld über die Arbeit und das Leid zur Befreiung."
Dies ist denn auch in einer Variation das eigentliche Thema der Tragödie Atlantis. Sie stellt Kultur und Zivilisation als Kontraste nebeneinander und versucht in ihrer Art den großen Zukunftsfragen gerecht zu werden, an denen wir nicht vorbeigehen dürfen, wollen wir nicht dem Untergange geweiht sein.
Noch einiges zur Technik der Tragödie selbst.
Der Held, ein Astronom mit monistisch-mechanistischer Weltanschauung, hat einen Teil des Unterganges von Atlantis vorausberechnet. Er sieht darin eine Möglichkeit die Kriege auszurotten. So stellt er sich vor den Tempel des Kriegsgottes und beschwört in der Stunde des Untergangs das feindliche Land. Dadurch gewinnt er unheimlichen Einfluß. Auf sein Geheiß ist Frieden. Er ist in der Idee des Volkes mehr als ein Gott. Aber wesentliches hat er nicht erreicht. da auch der friedliche Konkurrenzkampf dauernde Menschenopfer durch Selbstmorde fordert. So löst er sich zwangsmäßig immer mehr aus dem Volkskörper heraus. Ihn ekelt der Mensch an. Er wird herrisch und unzufrieden. Da errechnet er den Untergang von ganz Atlantis. Eine Flucht ist nicht mehr möglich. Damit bricht seine Weltanschauung zusammen. Sein innerer Haß gegen alles bestehende bricht gewaltsam hervor. Er will es den Göttern gleichtun und wie sie vernichten. Hier setzt die Tragödie ein.
Sie ist technisch meines Wissens etwas Neues. Denn Menschen dieses Schlages können nur lebenswahr gezeichnet werden, indem die Gegensätze ihrer Stimmungen zum Ausdruck gebracht wurden. Erregungszustände, Wutausbrüche stehen scharf neben tiefer Niedergeschlagenheit und ratloser Traurigkeit. Dadurch ist es unmöglich, die Einheitlichkeit in der Stimmung eines Aktes, ja selbst einer Szene zu wahren.
Nur die Weltuntergangsstimmung, welche ja die Tragödie zum Thema hat, bleibt in allen Szenen gewahrt, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß diese Stimmung wiederum keine einheitliche sein kann, da sie von den verschiedensten Seiten beleuchtet wird.
Die Charaktere der Tragödie sind ausnahmslos aus dem Leben genommen. Es ist der Phantasie nur ein ganz geringer Spielraum gelassen. Die Helden leben fast alle noch. Wenn nun trotzdem die Tragödie phantastisch wirkt, so mag das seine Erklärung darin finden, daß in ihr eben etwas gesagt wird, über das man aus falscher Scham heute noch schweigt.
Der Gang der Handlung ist von sich aus verständlich und bedarf keines Vorwortes. Politisch ist das Werk in keiner Weise eingestellt. Da das Thema der Tragödie dem Altertum gehört ist das jambische Versmaß gewählt. Ich hoffe, daß ihr daraus nicht der Vorwurf erwächst, sie sei nicht aktuell, obgleich ich dafür bei der allgemeinen Aversion gegen alles Klassische, volles Verständnis aufbringen würde.
(Verlag Wilhelm Walther, Oldenburg i. O., 1928 oder 1929, S. 5 – 7)
Persönliche Anmerkung: Herr Alexander Martin Pfleger gelangte über seine Forschungen zum Atlantismotiv im Werk Gerhart Hauptmanns auf die Fährte von Fritz Julius Buß und möchte an dieser Stelle erneut den Menschen seinen Dank aussprechen, die ihn in seinem Bestreben, das Vermächtnis von Fritz Julius Buß zu bewahren und einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen, tatkräftig unterstützten. In erster Linie sind damit die Kinder von Fritz Julius Buß gemeint – die zu früh verstorbene Frau Hilke Buß, Frau Dr. Etta Buß und Herr Jan-Geerd-Buß. Ferner gilt besonderer Dank Herrn Dr. Horst R. Sassin und Herrn Dr. Volker Friedrich. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Staatsarchivs Hamburg sei für ihre Hilfe bei der Bereitstellung Fritz Julius Buß betreffender Datensätze gedankt, so etwa der Bußschen Wiedergutmachungsakte, der auch die obige Photographie entstammt, und anderer Dokumente. Nicht zuletzt sei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin gedankt, die ihm Gerhart Hauptmanns Leseexemplar der Atlantistragödie von Fritz Julius Buß zugänglich machten.
Foto:
Die Aufnahme von Fritz Julius Buß entstand 1945 nach seiner Befreiung aus dem KZ Sachsenhausen
© Staatsarchiv Hamburg.