wm Ein gewisser Charles Spencer ChaplinEIN GEWISSER CHARLES SPENCER CHAPLIN – SCHLOSSPARKTHEATER BERLIN, Teil 1/2

Wolfgang Mielke

Berlin (Weltexpresso) - "War Sonnabend/Sonntag in Berlin. Wie hat mich diese Stadt wieder erregt, ihre Abendstunde am Sonnabend zwischen 5 und 6, ihr monströser Genussapparat, ihre Sicherheit, ihr Mördergesicht, ihr kaltes Zerschmettern alles Provinziellen, kläglichen, kärglichen Nur-Wollens, hier heißt es: Form werden und vollbringen! Stadt meines Lebens, meines Schicksals, meiner schönsten Jahre! Immer werde ich Heimweh nach ihr haben."

Diese Zeilen schrieb Mitte September 1935 Gottfried Benn an seinen Freund F. W. Oelze, (einen Bremer Kaufmann).

Das Zerschmettern des Provinziellen und des kärglichen Nur-Wollens hat sich anlässlich der Premiere im Berliner Schlossparktheater bei "Ein gewisser Charles Spencer Chaplin" nicht ereignet. Vielleicht sind die Menschen durch jahrzehntelangen TV-Konsum schon zu sehr kritischem und höherem Niveau entwöhnt worden und können die Unterschiede gar nicht mehr wahrnehmen. Das heißt, um nicht einen falschen Eindruck vom Publikum zu erwecken: Wahrgenommen wird es schon, unbewusst, denn der Applaus war zwar freundlich, aber doch recht beschränkt. Von etwas wie Begeisterung kann keinerlei Rede sein; das würde auch Geist voraussetzen, der sich in dieser Aufführung, Inszenierung, Darstellung offenbart haben müsste. Begeistern ist ja ein Weitergeben von Energie. Wo sie fehlt, bleibt alles lau.

Charlie Chaplin war ein außergewöhnlicher Darsteller, unverwechselbar und unteilbar wie eine Primzahl. Einen solchen Prototyp – im wörtlichen Sinne: Hervorragenden durch einen anderen Schauspieler nachspielen zu lassen, ist ein fast unlösbares Unterfangen. Man kann ihn imitieren, etwa seinen watschelnden Gang, seine Kleidung auch und seine Gesten: Das gut zu machen, ist schon schwer genug – und bis dahin kam diese Aufführung noch nicht einmal; - vom wirklichen Nachspielen dieser Persönlichkeit ganz zu schweigen. Vielleicht hätte es Curt Bois gekonnt, - aber doch auch nur in Ansätzen. Sona MacDonald vielleicht, ebenso. - Man erreicht also höchstens eine Imitation.

Chaplin war ein ehrgeiziger, schwieriger Charakter. Und so breit seine künstlerische Begabung war, eines fehlte ihm wohl durchweg: Die Güte. Das ist einer der Gründe, weshalb Chaplin im Tonfilm keine annähernd so starken Leistungen vollbracht hat wie zuvor noch in dem ihm gemäßen Stummfilm. Billy Wilder berichtet, nicht ohne Genuss freilich, wie peinlich betreten die Zuschauer der Uraufführung des Chaplin-Films "Monsieur Verdoux" von 1947 in Hollywood waren, als sie sehen mussten, dass Chaplin – noch knapp vor Beginn der Vorführung - den Film zerkratzt hatte, nämlich den Namen "Orson Welles" aus dem Zelluloid mit seinen Fingernägeln herausgekratzt, der die Idee zu dem Spielfilm geliefert hatte, weil er es nicht ertragen konnte, seinen Ruhm mit einem anderen teilen zu müssen.

Was man im Schlossparktheater sah, war ein bemühtes Abziehbild von Charlie Chaplin, sehr beschränkt nur und schmal vom Original abgelöst. Eine gewisse Künstlichkeit zwar ist von seiner Figur, dem Tramp, nicht zu trennen. Aber sie hat doch eine dramatische, eine lyrische Tiefe. Was das Schlossparktheater bot, war allzu deutlich und misslich weit hinter dem bleibend, was Chaplin bedeutet.

Chaplin gilt als Komiker. Ich finde ihn überhaupt nicht komisch. Sein größeres Verdienst liegt im Poetischen. Das hat die Menschen vor einhundert Jahren fasziniert, dass da eine Figur tatsächlich erfolgreich war, die sich gegen die herrschenden Strömungen wehrte, sich ihnen entzog, gegen sie leben und sie teils sogar noch ad absurdum führen konnte. Die Zwänge der industrialisierten Arbeitswelt, denen sich das Filmpublikum ausgesetzt sah, - an Chaplins Tramp scheiterten sie. Die Faszination muss noch größer, aber ähnlich gewesen sein wie die der frühen Woody-Allen-Filme, in denen die von Allen gespielte Figur, ein alles andere als beeindruckender oder gar schöner, ja gar heroischer Mann, dem, ja nur dem der eigenen Vorstellung und Erwartung zufolge die weibliche Welt zu Füßen liegen müsste, - dass dieser wenn auch mickrige, unschöne, aber charmante und jedenfalls clevere Kerl die schönsten Frauen für sich erobern konnte, - das war für uns Heranwachsende eine Offenbarung, eine Hoffnung, eine Ermutigung.
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Foto: © Schlossparktheater Berlin