t georgDie erste Inszenierung des neuen Hausherrn des Schauspiels Frankfurt : Anselm Weber, Teil 1/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nun gut, man muß mit der Deutung von Zeichen nicht übertreiben, aber für uns – aufgewachsen im perfiden Antikommunismus der Adenauerzeit, die auch in Frankfurt voll durchschlug – knüpft die Aufführung der von Anselm Weber selbst vorgenommenen Dramatisierung des Romans DAS SIEBTE KREUZ von Anna Seghers direkt an Harry Buckwitzs „Verbrechen“ an, erstmals in der Bundesrepublik Bert Brecht auf die Bühne zu bringen und damit auch trotz der Hetzkampagnen nicht aufzuhören.

Seghers und Brecht haben vieles gemeinsam. Sie waren beide dem Sozialismus verbunden, mußten und konnten vor dem Naziterror fliehen, kamen beide zurück nach Deutschland, in die spätere DDR, wo der Aufbau Verlag, gleich 1945 gegründet, sich auf antifaschistische und Exilliteratur konzentrierte, was im Fall von Seghers und Brecht zusammenfiel.

Der größte Unterschiede zwischen damals und heute ist der, daß Anselm Weber mit dem Beifall des Publikums, der Presse, der Stadtoberen rechnen kann – und das ist positiv gemeint, es ist also zwar langsam, aber kontinuierlich etwas passiert in Deutschland. Daß es ein intelligenter und schlauer Verleger wie Siegfried Unseld später für Westdeutsche erscheinen lassen konnte, als sei Bertolt Brecht ein reiner Autor von Suhrkamp – bis heute gibt es die Kooperation zwischen Aufbau und Suhrkamp Verlag zur großen Brechtausgabe , siehe unten- , das zeigt um so deutlicher, daß Anna Seghers für die alte Bundesrepublik weithin unbekannt und vor allem ungelesen blieb, während sie für die DDR eine Staatsschriftstellerin wurde, viel gelesen und Schullektüre dazu.

Letzten Endes hat sich auch nach 1989 an ihrem Status als ungelesene Klassikerin nicht viel geändert, obwohl der Aufbau Verlag den original dort 1946 erschienen Roman 2015 in neuer Aufmachung und im selben Jahr die durch William Sharp gestaltete illustrierte Fassung von 1942 erstmals veröffentlichte.

Und nun treten im Jahr 2017 also folgende Koinzidenzen auf:

Der neue Theaterchef beschließt, als seine erste eigenhändige Premiere DAS SIEBTE KREUZ - für die Bühne adaptiert von Sabine Reich und ihm selber – aufzuführen Die Aktion FRANKFURT LIEST EIN BUCH wählt für die Leseaktion 2018 den Roman DAS SIEBTE KREUZ von Anna Seghers aus, was immerhin wieder mit bis zu 90 Veranstaltungen gefeiert wird.

Da beide Entscheidungen unabhängig voneinander, also ohne Wissen um die andere geschehen sind, nehmen wir das gerne erneut als Zeichen dafür, daß endlich der wunderbaren Schriftstellerin und Dichterin Anna Seghers auch im gesamten Deutschland Raum und Zeit gegeben wird. Denn der Widersinn ist ähnlich wie im Fall von Stefan Zweig der, daß beide im Ausland bekannter und auf jeden Fall viel gelesener sind als im deutschsprachigen Raum. Bis heute. DAS SIEBTE KREUZ, 1942 auf Englisch in den USA und Anfang 1943 auf Deutsch in Mexiko erschienen, wurde schon 1944 vom in die USA geflohenen Österreicher Fred Zinnemann, der später mit HIGH NOON weltberühmt wurde, mit Spencer Tracy in der Hauptrolle als Georg Heisler verfilmt. Stefan Zweig nun, der vor den Nazis der erfolgreichste deutschsprachige Literat war, was er nie wieder wurde, ist gerade heute ein Erfolgsautor in Frankreich, Italien, Spanien wie kein anderer in deutscher Sprache.

Im Programmheft zur Aufführung wird auf die Entstehungsgeschichte des Romans Bezug genommen. Obwohl man die Aufführung auch ohne jeden Kommentar versteht: Verfolgung, Terror, Todesangst, ist es sinnvoll, das Antizipierende der Geschichte um die sieben aus dem KZ Geflohenen, von denen einer überlebt, herauszustellen.

Denn Anna Seghers beginnt ihren Roman um die KZ Flüchtlinge 1938, da waren die KZs wirklich ‚nur‘ Konzentrationslager, in denen man unter schlimmsten Bedingungen vor allem politische Gefangene einsperrte – so wurde der später Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer sofort nach der Machtübernahme der Nazis 1933 als jüngster Amtsrichter Deutschlands als SPD Mann im KZ Heuberg inhaftiert, während Anna Seghers, die 1928 in die KPD eingetreten war, noch 1933 fliehen konnte – mit einem Wort, diese Konzentrationslager waren noch keine Vernichtungslager, keine Vergasungsstationen wie Auschwitz, das es noch gar nicht gab. Und trotzdem atmet der Text schon das Grauen, das noch kommen wird.

Als die 1900 in Mainz geborene Anna Seghers – ursprünglich nur Pseudonym, das aber zu ihrem Namen wurde, geboren als Netty Reiling, verheiratete Netty Radványi – die Erlebnisse der sieben Häftlinge, von denen nur Georg Heisler überlebt, in Frankreich niederschrieb, wollte sie das Geschehens auch lokalisieren, was übrigens dann wirklich zur Authentizität von Roman und Aufführung beiträgt: das KZ Westhofen ist dem KZ Osthofen bei Worms nachempfunden, das allerdings schon 1934 geschlossen worden war. Heisler hält sich bei seiner Flucht durch das Rhein-Main-Gebiet an vielen bekannten Stellen auf, die man im Internet unter einem Links, siehe unten, nachverfolgen kann: über den Mainzer Dom nach Frankfurt Höchst, nach Bockenheim, Niederrad, Eschenheimer Turm, Riederwald, dann über die rettende Wiesbadener Brücke Richtung Niederlande..., 143 Kilometer, die er in 29 Stunden über Stock und Stein und Mitfahrgelegenheiten bewältigt.

Und nicht nur die Örtlichkeiten sind authentisch, die verwendeten Namen der sieben Häftlinge auch: Heisler, Wallau, Beutler, Pelzer, Belloni, Adlinger und Füllgrabe. Bei FÜLLGRABE durchzuckt es einen, denn das war bis in die Achtzigerjahre die bekannteste und weitverbreiteste Lebensmittelkette in Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet: Schade & Füllgrabe. Der namengebende frankfurterische Füllgrabe, Unternehmer und Sozialdemokrat (!), mußte das damals preußische Frankfurt aufgrund der Bismarckschen Sozialistengesetze schon 1887 verlassen, verkaufte seine Läden an Juden, die daraus die erfolgreichste Kette machten und durch rechtzeitigen Verkauf der Arisierung zuvorkamen, persönlich sich in die USA retten konnten...hier deutet sich gleich eine nächste Geschichte an.

Der Roman wird noch ausführlich besprochen werden und dann in der Aktion FRANKFURT LIEST EIN BUCH vom 16. bis 29. April 2018 in allen Facetten reflektiert. Nähern wir uns der Aufführung von Anselm Weber und deren Premiere am 27. Oktober im Frankfurter Schauspielhaus.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:

Info:
1. DAS SIEBTE KREUZ im Schauspiel Frankfurt
Regie Anselm Weber
Bühne Raimund Bauer
Kostüme Irina Bartels
Musik Thomas Osterhoff
Dramaturgie Konstantin Küspert
mit Olivia Grigolli, Paula Hans, Thesele Kemane, Christoph Pütthoff, Michael Schütz, Max Simonischek, Wolfgang Vogler

2. Anna Seghers, Das siebte Kreuz. Roman aus Hitlerdeutschland, Aufbau Verlag 2015

3. Anna Seghers, William Sharp, Das siebte Kreuz, Aufbau Verlag 2015

4. Am 90. Geburtstag Brechts 1988 begonnen, an seinem 100. Geburtstag 1998 abgeschlossen und im Jahr 2000 mit dem Registerband vervollständigt,erschienen: Die Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe der Werke Bertolt Brechts ist eine Gemeinschaftsausgabe des Aufbau-Verlags und des Suhrkamp Verlags. Die Edition basiert auf den zu Lebzeiten Brechts publizierten Texten und auf dem Nachlaß im Bertolt-Brecht-Archiv der Akademie der Künste zu Berlin.

5. Die erfolgreiche Flucht des Georg Heisler unter https://goo.gl/maps/dh49FBspQMs

6. Erneute Aufführungen von DAS SIEBTE KREUZ des Schauspiel Frankfurt waren für April 2018 nicht vorgesehen, aber nach der inzwischen beschlossenen Leseaktion DAS SIEBTE KREUZ handelte das Schauspiel Frankfurt kontraproduktiv, wenn das Theater diese Vorlage nicht nutzte. Wir wissen, wie lange im voraus im Theater personell geplant werden muß. Wir gehen aber dennoch davon aus, daß das Schauspiel Frankfurt Aufführungen der Dramatisierung im April 2018 möglich macht.