t siebte2Die erste Inszenierung des neuen Hausherrn des Schauspiels Frankfurt : Anselm Weber, Teil 2/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der eiserne Vorhang bleibt unten und ist Endstation für die 1937 aus dem Nazi-KZ Geflüchteten. Diese können nur in unsere Richtung, den Zuschauerraum entkommen, indem in diesen eine Rampe (Raimund Bauer) gerammt wird, ein unmöblierter Fleck, auf dem das Geschehen so dicht wie es im Theater nur möglich ist, vor unseren Augen abläuft.

In den Fokus nehmen, nennt man das, man könnte auch von dieser neuen Theaterbühne als Brennglas sprechen.

Und gleichzeitig gilt auch hier die Brechtsche Antinomie: „Denn die einen sind im Dunkeln, Und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Denn neben den sieben Protagonisten – alles Männer, die hier aber zu fünf Männer und zwei Frauen werden - des Ausbruchs wirkt auch ein Chor mit, der unmittelbar an den Chor der griechischen Klassiker erinnert, allerdings eher die Handlung weitererzählt und auch eher kommentiert, denn moralisch-ethische Aussagen macht.

Wir wissen nicht, ob Bühnenbauer und Regisseur mit der Gestaltung dieser Fläche und dem Auftreten des Chores dasselbe Ziel verfolgten, aber auf jeden Fall wird nicht nur der Chor aus der griechischen Tragödie in die Handlung übernommen, sondern auch der ihm gebührende Platz im griechischen Theater nachgestaltet. Denn das griechische Theater bestand nicht nur aus Bühne (Proskenion) und Zuschauerraum (Theatron), sondern hatte als Bindeglied den Tanzplatz (Orchestra), der als Mittelpunkt des Theaters Standort des Chores war, von dem aus die Interpretation des Gesehenen für die Zuschauer erfolgte, womit auch Sinn und Emotion der Stücke gesteuert wurde.

Das ist hier nicht so. Die in die Publikumssitze vorgelagerte Rampe ist Spielstätte für beide: Schauspieler und Chor, hat aber die Funktion der griechischen Orchestra. Das Raffinierte ist nun, daß der Chor aus denselben sieben Personen besteht, die später zu den sieben Geflüchteten werden oder Assistenzfiguren spielen, so daß also, wenn der Chor in der üblichen Metrik monotonisch eindrucksvoll seine an Seghers Roman angelehnten Texte („Jetzt sind wir hier. Was jetzt geschieht, geschieht uns.“) dreimal spricht, alle im Vordergrund und im Licht der Bühne stehen, während dieselben Chormitglieder dann wieder zu den Rollenträgern des Stückes im dunklen Hintergrund mutieren, wenn die Geschichte nur von einzelnen – hauptsächlich Georg Heisler, der nur Georg heißt – auf der Bühne im Licht erzählt wird.

Doch, das hat was, dieser Chor, der nicht nur an Einar Schleef erinnert – Gotthard Lange hat ihn einstudiert, der auch Schleefs dafür Verantwortlicher war - , sondern dem Geschehen etwas Überzeitliches verleiht: Es geht um den einzelnen Menschen, aber doch gleichzeitig auch um die Menschheit als Ganzes. Und während wir das noch wohlmeinend für uns konstatieren, beschleicht einen das gegenteilige Gefühl: im gleichsprechenden Chor erkennen wir auch das gleichgeschaltete Denken und Handeln von oben, den angeblichen Volkswillen als „gesundes Volksempfinden“.

Eine weitere Besonderheit fällt einem später überhaupt nicht mehr als etwas Besonderes auf, so sehr geht das Konzept auf. Einer der Sieben – die außer Georg keinen Namen tragen, nur wie hier Sänger heißen, sonst Mann 1-3 sowie Frau 1 und 2 – betritt nämlich eher wie der Wanderer in Wagners SIEGFRIED aus dem Dunkeln ins Licht kommend singend die Bühne. Allerdings hören wir nicht Wagner, sondern der Situation und Thematik angemessen Schuberts WINTERREISE, die beginnt: „Fremd bin ich eingezogen, Fremd zieh' ich wieder aus.“ Und wenn Thesele Kemane, ein großgewachsener Baßbariton aus Südafrika, eindrucksvoll und passend singt: „Ich kann zu meiner Reisen/ Nicht wählen mit der Zeit/ Muß selbst den Weg mir weisen/ In dieser Dunkelheit“, mit der Fortsetzung: „Es zieht ein Mondenschatten/ Als mein Gefährte mit..“ befinden wir uns unmittelbar mitten in dieser Situation, wenn Georg (Max Simonischeck) vor unseren Augen erschöpft und mit blutender Hand auf den Bretterboden fällt und dort lange und immer wieder liegen bleibt. Deshalb sehen wir auch erst jetzt, daß er der eigentlich Großgewachsene ist, zu dem wir vorschnell den Sänger machten. Er ist ein Stück Mensch, hat etwas Ungeschlachtes, etwas Widerständiges aus Natur, strahlt aber auch Hilflosigkeit, totale Erschöpfung Hoffnungslosigkeit aus.

Im Nachhinein wissen wir gar nicht mehr, welche Teile der Winterreise wir hörten, so sehr beeindruckt erst einmal das Singen selbst, verstehen aber den formalen Zusammenhang sofort, der eintritt, wenn nun die Flucht in sieben Stationen: von MONTAG bis SONNTAG (als leuchtende Überschrift über dem Bühnengeschehen) szenisch gegliedert wird, wobei jeder Tag auch seine Nacht hat, die siebenfach auch eines der 24 Lieder – für Singstimme und Klavier - der WINTERREISE illustriert.

Wir wollen die siebentägigen Stationen der Flucht des Georg - der denkt sich im Roman: „Wallau und Füllgrabe und ich kommen durch. Wir drei sind die Besten. Beutler haben sie. Belloni kommt vielleicht auch durch. Aldinger ist zu alt. Pelzer ist zu weich.“ - jetzt nicht nacherzählen, die ja im Gegensatz zu den anderen sechs Flüchtigen, die entweder noch unter unseren Augen sterben oder gefangengenommen werden, ein glückliches Ende nimmt. Lieber wollen wir etwas zur Struktur der Aufführung sagen, die ernst und ernsthaft mit ernsten Dingen umgeht. Nur Simonischecks Georg bleibt in der Darstellung immer er selber, die anderen werden flugs zu Ärzten, Freunden, Geliebter, Dirne...

Wir sehen kein Rührstück, was das dramatische Geschehen um die Flucht der Sieben, von denen einer überlebt, im Grunde ist. Aber wie oft im Leben wirkt auch das auf der Bühne tiefer, was erst einmal nicht direkt an die Gefühle von Menschen appelliert, sondern verhalten und streng erzählt wird. Ja, der Begriff ‚streng‘ und ‚verhalten‘ fiel mir während des Schauens immer wieder ein. Und eben auch die Erinnerung an den Verfremdungseffekt, den Brecht hier sicher wohlwollend zur Kenntnis genommen hätte, denn sowohl das Singen wie auch der Chor sind auf einer anderen Ebene menschlichen Geistes angesiedelt als es die reine Emotion wäre.

Die bleibt dennoch nicht ausgeschlossen, verursachen aber in einem selbst eine gewisse Starre. Die sieben Mitspieler sind in sowohl zeitlosen wie typischen Kostümen (Irina Bartels) dunkel gewandet, je nach Rolle, während Georgs zerrissenes und dreckiges Hemd sowie seine Hose nur durch der Freunde Mantel, dann die braune Wildleder-Cord-Jacke, die er stiehlt und dann gegen einen Pullover eintauscht, herzeigbarer werden. Schon die Bezeichnung Männer und Frauen für die Darsteller weist aus, daß in der Konzentration auf den Menschen nichts Menschelndes gemeint ist, sondern Typen, die für Verhalten und Gesinnung stehen, typische Vertreter ihres Standes, ob auf der einen oder anderen Seite.

Zwar bleibt der Blick des Zuschauers durchgängig auf den flüchtenden Georg gerichtet, aber dessen Aktionen und auch seine Worte drücken nicht die Kraft des Subjekts aus, sondern zeigen ihn als einen, der nur durch die Hilfe der Wohlgesinnten, der Freunde und Schicksalsgenossen überleben kann. Die Art wie Max Simonischek ihn antiheldisch spielt, leicht somnambul und eingefroren, nicht ganz bei sich, unterstützt diese Lesart. Die eigentlichen Helden sind die, die sein Leben garantieren, ihn trotz Gefahr für das eigene Leben und das ihrer Liebsten nicht ausliefern, sondern ihm zur Flucht verhelfen. Und nur weil es diese gibt, erreicht er nach seiner Flucht aus dem KZ über Mainz nach Frankfurt, nach Eschersheim und den Riederwald zurück zum Rhein sein Schiff, das ihn in die Niederlande rettet. Es bleibt nicht aus, daß man sich fragen muß, wie man selber reagiert hätte, wenn der flüchtende Georg durch Frankfurt hastet und an der eigenen Haustür geklingelt hätte.

Eine Dramatisierung, so heißt es, habe der Roman nur einmal zuvor erlebt, wohl noch in der DDR 1883. Auf jeden Fall ist der Roman als Stück in der Stadt, in der er hauptsächlich spielt, angekommen, was dann im nächsten April vertieft wird, wenn die Aktion FRANKFURT LIEST EIN BUCH Anna Seghers DAS SIEBTE KREUZ zwei Wochen lang beim Wort nimmt.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto: ©

Info:
1. DAS SIEBTE KREUZ im Schauspiel Frankfurt
Regie Anselm Weber
Bühne Raimund Bauer
Kostüme Irina Bartels
Musik Thomas Osterhoff
Dramaturgie Konstantin Küspert
mit Olivia Grigolli, Paula Hans, Thesele Kemane, Christoph Pütthoff, Michael Schütz, Max Simonischek, Wolfgang Vogler

2. Anna Seghers, Das siebte Kreuz. Roman aus Hitlerdeutschland, Aufbau Verlag 2015

3. Anna Seghers, William Sharp, Das siebte Kreuz, Aufbau Verlag 2015

4. Am 90. Geburtstag Brechts 1988 begonnen, an seinem 100. Geburtstag 1998 abgeschlossen und im Jahr 2000 mit dem Registerband vervollständigt,erschienen: Die Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe der Werke Bertolt Brechts ist eine Gemeinschaftsausgabe des Aufbau-Verlags und des Suhrkamp Verlags. Die Edition basiert auf den zu Lebzeiten Brechts publizierten Texten und auf dem Nachlaß im Bertolt-Brecht-Archiv der Akademie der Künste zu Berlin.

5. Die erfolgreiche Flucht des Georg Heisler unter https://goo.gl/maps/dh49FBspQMs

6. Erneute Aufführungen von DAS SIEBTE KREUZ des Schauspiel Frankfurt waren für April 2018 nicht vorgesehen, aber nach der inzwischen beschlossenen Leseaktion DAS SIEBTE KREUZ handelte das Schauspiel Frankfurt kontraproduktiv, wenn das Theater diese Vorlage nicht nutzte. Wir wissen, wie lange im voraus im Theater personell geplant werden muß. Wir gehen aber dennoch davon aus, daß das Schauspiel Frankfurt Aufführungen der Dramatisierung im April 2018 möglich macht.