t siebte1Die erste Inszenierung des neuen Hausherrn des Schauspiels Frankfurt : Anselm Weber, Teil 3/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es gibt eine Überlegung nachzutragen, die über die Dramatisierung des Romans durch Regisseur Anselm Weber hinausgeht und ihr doch einen Platz zuweist: der Zeitgeist.

Wenn sich Anselm Weber nämlich entschließt, Ende Oktober 2017 eine Bühnenfassung von DAS SIEBTE KREUZ als erste eigene Inszenierung, seinEN Einstand, in Frankfurt vorzustellen, dann tut er es als Theaterleiter, der dies selbst bestimmt, nicht als jemand, der von anderen für diese Regiearbeit verpflichtet wird.

Sicher konnte er nicht ahnen, daß am Tag vor seiner Premiere im Frankfurter Kino CINEMA in einer Sondervorstellung eine andere Premiere des eine Woche zuvor angelaufenen Films DIE UNSICHTBAREN. WIR WOLLEN LEBEN stattfand. Dabei geht es um die Verfilmung des Schicksals von Berliner Juden, die sich ab 1941 ihrem Abtransport in die Konzentrationslager im Dickicht der Großstadt Berlin entzogen, was nur für immerhin rund 1600 von 7 000 Menschen gut ausging, weil andere Unsichtbare, nämlich die Helfer, dies Verstecken vor der Gestapo und vor der Wirklichkeit bis zum Kriegsende möglich machten.

Im Film sind es vier Überlebende, die von damals erzählen, im Seghersroman und der Bühnenfassung ist es der eine von sieben, der durchkommt, weil nur, wenn einer überlebt, auch von der Schande Deutschlands erzählt werden kann, aber auch zum Ruhm derer, die trotz Todesandrohung den Geflohenen geholfen haben, zur Flucht verholfen wie dem Georg Heisler oder zum Überleben im Nazi-Berlin.

Wir wollen hier den Vergleich wagen, daß es im Roman der Anna Seghers und dem Film von Claus Räffle letzten Endes um dasselbe geht, nämlich den Widerstand gegen die Nazis, gegen die Gewaltherrschaft einer Diktatur seitens ganz normaler Menschen zumindest zu wagen, weil nichts zu tun, den sicheren Tod bedeutete. Von heute her muß man das als seherische Kraft bezeichnen, mit der Anna Seghers ihren Roman versieht, der 1938/39 im von Deutschen besetzten Paris geschrieben wurde und bei seinem Erscheinen 1942 in den USA auf Englisch, im Januar 1943 in Mexiko auf Deutsch auf Anhieb ein Welterfolg wurde. Allein im ersten halben Jahr wurde DAS SIEBTE KREUZ in Amerika rund 500 000 Mal verkauft und daß 1944 sofort ein Film folgte, der mit Stars besetzt war, ist keinem anderen deutschen Roman je widerfahren. Dabei war die Autorin unbekannt und Kommunistin dazu, etwas Schändliches für die USA.

Uns geht es darum, daß Anna Seghers ihrem Roman folgende Widmung voranstellt: „Dieses Buch ist den toten und lebenden Antifaschisten Deutschlands gewidmet. Es verdankt sein Erscheinen in Mexiko der Freundschaft und gemeinsamen Arbeit deutscher und mexikanischer Schriftsteller, Künstler und Drucker. Anna Seghers“

Es geht also um den geleisteten Widerstand deutscher Reichsbürger gegen die als Mördermaschinerie erkannte Regierung mitsamt allen Handlangern, denen Anna Seghers ihren Roman widmet und dabei weiß, daß sie sein Erscheinen nur der Freundschaft und Hilfe von anderen verdankt, genauso wie die Berliner Juden sich nur durch Freundschaft und Mithilfe vieler guter Menschen vor den Nazis retten konnten. Von diesen gab es ja mehr als wir wissen und immer wieder sind deren Einzelschicksale bekannt geworden. Der Frankfurter Valentin Senger hat dies in seiner Überlebensgeschichte Kaiserhofstraße 12 auch erzählt, aber es ist nach 80 Jahren Zeit aus den Einzelgeschichten von damals ein Panorama des Widerstands – Möglichkeiten und Taten – zu machen.

Nachdem die Deutschen in Westdeutschland nach 1945 erst einmal wiederaufbauten und eine Entnazifizierung nur formal – und noch nicht einmal das – durchführten, weil sie den Antikommunismus für wichtiger hielten, ging es im ersten Kapitel deutscher Reflexion über das Dritte Reich vorrangig darum, daß man sich – der sogenannte kleine Mann – ja nur an Recht und Gesetz gehalten habe. Das war die Zeit, als die Witwen der Naziverbrecher ganz selbstverständlich Rente bezogen, die den Witwen der Männer des Widerstands vom 14. Juli 1944 verweigert wurden, waren das doch Witwen von Vaterlandsverrätern.

Mit diesem Unsinn, dieser Verblendung, ja mit diesem neuen Verbrechen, machte erst 1952 wieder einmal der sagenhafte FRITZ BAUER Schluß. Er war damals Generalstaatsanwalt in Braunschweig und führte die Anklage gegen einen SS-Schurken namens Remer selbst. Der nämlich konnte ungehindert noch Anfang der 50er Jahre die hingerichteten Widerstandskämpfer vom 14. Juli als Vaterlandsverräter beschimpfen. Remer wurde dann im Braunschweiger Prozeß zu einer eher geringfügigen Strafe wegen Verleumdung verurteilt, aber – und darum ging es – das Dritte Reich wurde im Urteil als Unrechtsstaat gebrandmarkt mit der Folge, daß gemäß dem antiken Tyrannenmord ein Anschlag auf dessen Leben nicht als Mord, sondern als legitime Tat des Volkes gilt, weshalb die Attentäter rechtmäßig handelten – und ihre Witwen ab dato Rente bezogen.

Damit war aber dieser Strang, nämlich die Frage, warum sich widerständige Deutsche nicht andauernder und ausdauernder gegen die Nazityrannei und Nazigreul gewehrt hatten, erst einmal wieder auf Eis gelegt. Es kamen Jahre der Aufarbeitung ihrer Verbrechen, von denen der - wiederum von Fritz Bauer, jetzt als Hessischer Generalstaatsanwalt initiierte - Auschwitzprozeß der Anfang war.

Mit der langsam öffentlich werdenden grausamen Wahrheit der KZs als Vernichtungslager von Millionen von Menschen, die von deutscher Bürokratie, deutschen Mördern fabrikmäßig industriell vergast oder sonstwie ermordet wurden, unter ihnen in der Mehrzahl Juden, war dann eine ganze Generation mehr als beschäftigt, was erst im Januar 1979 nach der Ausstrahlung der vierteiligen amerikanischen Fernsehserie HOLOCAUST – erst seit damals ist dieser Begriff als Synonym für die massenhafte Ermordung und Verbrennung von Juden in KZs in deutschen Sprachgebrauch übergegangen - über das Schicksal der Familie Weiss im deutschen Fernsehen tatsächlich eine spürbare Erschütterung der westdeutschen Bevölkerung brachte, so daß seit damals die Aufklärung über Judenverfolgung und Judenvernichtung, aber auch über das Aussondern anderer Bevölkerungsteile als glaubwürdige Scham angesichts deutscher Schande ins Bewußtsein eingedrungen ist, und so ins kulturelle Gedächtnis der Deutschen überging.

Zumindest in das einer breiten Mehrheit der deutschen Gesellschaft als Konsens über das Naziregime, die sich nun ernsthafter auch mit der furchtbaren, staatlich in Gang gesetzten Euthanasie befaßt, wo wir noch mittendrinnen sind, wie ebenfalls wieder Filme - als neue gesellschaftliche Seismographen - wie NEBEL IM AUGUST von Kai Wessel im Jahr 2016 zeigen oder die Aktion der GRAUEN BUSSE, die durch Deutschland tourt – einer ist derzeit als künstlerisches Denkmal auf dem Rathenauplatz in Frankfurt zu sehen. Mit den grau angestrichenen ehemaligen Postbussen wurden psychisch und geistig Kranke als ‚Lebensunwerte‘ aus ihren Familien in die angeblichen Heilstätten abgeholt, wo sie umgebracht wurden. In Frankfurt allein 1000 Menschen.

Das ist noch lange nicht abgeschlossen, kann es auch niemals sein, weil die Grundfrage nicht zu beantworten ist, wie es geschehen konnte, daß ein Volk, das auf sich als Kulturvolk sogar stolz war, einerseits industriellen Massenmord geschehen ließ, andererseits kranke und schwache Menschen von denen umbringen ließ, die eigentlich nach ihrem hypokratischen Eid zum Wohle der Menschen hätten wirken müssen: den Ärzten.

Mit Anna Seghers DAS SIEBTE KREUZ und mit dem Film DIE UNSICHTBAREN steht jetzt aber erneut die persönliche Haltung der einzelnen, die mit dem Unrecht der Nazis gegenüber diskriminierten Menschen konfrontiert waren, im Mittelpunkt. Was der unserer Meinung nach sehr gute Film ELSER – ER HÄTTE DIE WELT VERÄNDERT - über den Widerstandskämpfer Georg Elser, dessen Attentat auf Adolf Hitler im Bürgerbräukeller in München scheiterte, ein Film von Oliver Hirschbiegel 2015 auf der Berlinale eingebracht – nicht schaffte oder noch nicht schaffen konnte, nämlich in Deutschland eine breite Diskussion über das Verhalten der Normalbürger in der Nazidiktatur und über Widerstandsversuche in Gang zu bringen, wird nun vielleicht Stück für Stück in den nächsten Jahren doch möglich werden.

Solche Gleichzeitigkeiten wie die Auswahl des für eine solche Auseinandersetzung hervorragend geeigneten Romans von Anna Seghers als gemeinsame Grundlage für FRANKFURT LIEST EIN BUCH vom 16. bis 29. April 2018, die schon davor geplante und durchgeführte Dramatisierung des DAS SIEBTE KREUZ durch Anselm Weber am Frankfurter Schauspielhaus und seine Premiere am 27. Oktober 2017 und das parallele Anlaufen des Films DIE UNSICHTBAREN. WIR WOLLEN LEBEN lassen hoffen. Warum sollte der Zeitgeist nicht auch einmal in der richtigen Richtung unterwegs sein.

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Info:
1. DAS SIEBTE KREUZ im Schauspiel Frankfurt
Regie Anselm Weber
Bühne Raimund Bauer
Kostüme Irina Bartels
Musik Thomas Osterhoff
Dramaturgie Konstantin Küspert
mit Olivia Grigolli, Paula Hans, Thesele Kemane, Christoph Pütthoff, Michael Schütz, Max Simonischek, Wolfgang Vogler

2. Anna Seghers, Das siebte Kreuz. Roman aus Hitlerdeutschland, Aufbau Verlag 2015

3. Anna Seghers, William Sharp, Das siebte Kreuz, Aufbau Verlag 2015

4. Am 90. Geburtstag Brechts 1988 begonnen, an seinem 100. Geburtstag 1998 abgeschlossen und im Jahr 2000 mit dem Registerband vervollständigt,erschienen: Die Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe der Werke Bertolt Brechts ist eine Gemeinschaftsausgabe des Aufbau-Verlags und des Suhrkamp Verlags. Die Edition basiert auf den zu Lebzeiten Brechts publizierten Texten und auf dem Nachlaß im Bertolt-Brecht-Archiv der Akademie der Künste zu Berlin.

5. Die erfolgreiche Flucht des Georg Heisler unter https://goo.gl/maps/dh49FBspQMs

6. Erneute Aufführungen von DAS SIEBTE KREUZ des Schauspiel Frankfurt waren für April 2018 nicht vorgesehen, aber nach der inzwischen beschlossenen Leseaktion DAS SIEBTE KREUZ handelte das Schauspiel Frankfurt kontraproduktiv, wenn das Theater diese Vorlage nicht nutzte. Wir wissen, wie lange im voraus im Theater personell geplant werden muß. Wir gehen aber dennoch davon aus, daß das Schauspiel Frankfurt Aufführungen der Dramatisierung im April 2018 möglich macht.