wm michel04 DW Hamburg Hamburg jpgliest zum ADVENT im Hamburger MICHEL

Wolfgang Mielke

Hamburg (Weltexpresso) - Die St. Michaeliskirche in Hamburg, in der Stadt kurz der "Michel" genannt, gilt als die schönste Barockkirche Norddeutschlands. Nachdem der Michel im Sommer 1906 durch das Missgeschick von Handwerkern nicht nur in Brand geraten, sondern bis fast auf die Grundmauern niedergebrannt war, wurde er in seinen barocken Formen bis 1912 wieder aufgebaut.

Zusammen mit der 1908 eröffneten Musikhalle oder Laeiszhalle steht Hamburg mit dem Michel der schönste festliche Innenraum zu Verfügung. Ein Konzert in der Hamburger St. Michaeliskirche gehört zu den besonderen Ereignissen jedes Jahres. So verhält es sich auch mit der jährlich wm St. Michaelis Innenraumwiederkehrenden Veranstaltung "Texte und Musik zum Advent", die während der 1980er Jahre mit Heinz Rühmann so erfolgreich und immer wieder anrührend ins Leben gerufen wurden: Besinnliche und weihnachtliche Text verbunden mit Advents- und Weihnachtsliedern.

Dieses bewährte Konzept wird selbstverständlich bis heute beibehalten. Im einzelnen entfaltet sich das Programm während der Lesung vom Ernsten und Nachdenklichen bis zum Heiteren, Kindlichen, Lustigen hin; und schließt dann mit einem kurzen, eher philosophischen Text ab. Man kann das auf älteren Rühmann-CDs noch nachhören. Heinz Rühmann musste die Veranstaltung im Dezember 1993 absagen; 1994 starb er. Seitdem hat Christiane Hörbiger dieses Amt übernommen. Das konzeptionelle Prinzip ist gleich geblieben; die Auswahl im einzelnen hängt natürlich mit dem jeweiligen Schauspieler oder eben der jeweiligen Schauspielerin zusammen.

Die Beliebtheit dieser vorweihnachtlichen Unternehmung, die von Marc Fahning umsichtig und sorgsam betreut wird, ist groß! Die Karten sind schnell ausverkauft. Christiane Hörbiger hat sogar zwei Termine an zwei aufeinander folgenden Tagen, dem Sonnabend vor dem 2. Advent und dem 2. Adventssonntag selbst, dieses Programm zusammen mit dem St. Michaelis-Chor unter der Leitung von Christoph Schoener, der auch im späteren Verlauf der Veranstaltung zwei Orgel-Solo-Stücke spielt, gegeben. Die Textfolge von ernst zu heiter ist hier, im Gegensatz zu der Rühmann-Aufnahme von 1992 (von Ariola), die mir vorliegt, etwas verschoben worden, dergestalt, dass die heiteren, lustig-kindlichen Anteile bereits früher einsetzen, dafür der philosophisch-nachdenkliche Schluss verlängert wurde.

wm hamburg michelDas ist nicht ganz einfach für die Vortragende zu bewältigen, denn wenn man schon einmal gelacht oder zumindest geschmunzelt hat, ist es nicht so einfach, wieder für mehrere Abschnitte zum Ernsten zurückzukehren. Die Hamburger, als Publikum, wie ich beobachtet habe, möchten zuerst 'etwas leisten', bevor sie sich dann genießerisch zurücklehnen und erheitern lassen. Mit dem Zurücklehnen ist es in einer Kirchenbank selbstverständlich so leicht nicht, aber man kann sich doch innerlich entspannen und nach 'getaner Arbeit' angenehm verwöhnen lassen. Gut aufgebaut, kann sich das wie eine gelungene Kurve bis zum Ende steigern. Die Tatsache, dass der Michel zweimal nahezu ausverkauft war, - der immerhin 2.500 Besucher fasst -, beweist, dass es Christiane Hörbiger auch mit leicht veränderter Auswahl getroffen haben muss.

Die Einrichtung jedenfalls ist sehr beliebt, man hört weihnachtliche Musik und Chöre, es ist insgesamt eine schöne Einstimmung auf die Weihnachtszeit, und neue oder bekannte, aber leicht veränderte Texte – wie hier das Lukas-Evangelium, das durch kritische Anmerkungen zwar nicht bereichert, aber durch sie neu belebt wurde, - und Kritik ist immer eine Sache, die mit Jugend und Jungsein zu tun hat, und hier ist der Punkt, der Christiane Hörbiger jedenfalls in diesem Jahr wohl noch besonders am Herzen lag, denn ihr langjähriger Lebensgefährte Gerhard Tötschinger starb im August letzten Jahres. Sicherlich könnte man auch mit dem legendären Theaterkritiker Alfred Kerr sagen, 'sie habe noch nicht recht alt sein wollen', - aber wer will das schon? Schauspieler bilden da keine Ausnahme! Nun ja, Heinz Rühmann tat es, wie man in seinen letzten Interviews in Talkshows vernehmen konnte (und auch auf YouTube noch nach-sehen kann). Aber: er ist eine Ausnahme. Und so wird man feststellen können, dass es auch Schauspielerinnen so geht, dass sie sicherlich ebenso ungern alt werden möchten – wie andere Menschen auch. -

wm Christiane Horbiger ROMY 2009 aEine Geschichte, die Christiane Hörbiger besonderen Spaß zu bringen schien, war Gerhard Schneiders "Die Weihnachtskatze" – also die Weihnachtsgeschichte dargestellt aus der Sicht einer besonderen Katze. - Das Vortragpult steht genau in der Mitte der Stufen, die zum Altarraum führen. Rechts davon liegt die erhöhte Kanzel, links steht der traditionelle geschmückte und mit Kerzen versehene hohe Tannenbaum; links unterhalb von ihm eine Weihnachtskrippe, vielleicht im Maßstab 1:10. Auch Tiere gehören ja zum Weihnachtserlebnis, der Ochs und der Esel zumal; die Weihnachtskatze ist eine Hinzu-Erfindung des Autors. Die Tiere sind also auch Teil des Christentums, Teil des christlichen Glaubens – und sollten christlich-human behandelt werden. Der Umgang des Menschen mit der größten Zahl von Tieren bestätigt diesen Gedanken nicht. Die zahlreichen Nutztiere sind hier zu nennen; Land- und Seetiere, Vögel, Jagdbeute schlechthin; aber auch in Dänemark, wie gerade aktuell berichtet wurde, werden Zootiere umgebracht, weil sie sich – so die Begründung! – in ihren veralteten Käfigen und Gehegen "langweilen" Dänemark gehört zu den reichsten Ländern der Erde: Wäre es da nicht möglich!, diesen Tieren angemessene Behausungen zu errichten, statt sie totzuspritzen?! Es ist absurd. Der Mensch hat hier vieles gutzumachen! - Christiane Hörbiger bleibt hier so Jugendlichem, ja Humanem verbunden. ---

Gleichwohl, sonderbarerweise, hatte ich den Eindruck, dass sie diese Auftritte vielleicht nicht mehr lange durchführen wird; fast so!, als sei dieses Jahr ihr letzter Advents-Auftritt im Michel gewesen. Möglich, das ein intuitiver Eindruck hier schon mehr 'weiß' als alle tatsächlich wichtigen Beteiligten. - Es wäre in jedem Fall ein Verlust für Hamburg, denn Christiane Hörbiger ist schon eine besondere Künstlerin. Ihre Mutter, die berühmte Schauspielerin Paula Wessely, sagte ihr, als sie jung war und sich entschloss, Schauspielerin zu werden, sinngemäß: "Du bist nicht schön, - daher musst du doppelt gut sein!" - Ein hartes Wort! Aber Paula Wessely sprach hier auch aus eigener Erfahrung. - Ganz zweifellos hat sich Christiane Hörbiger diese Mahnung zu Herzen genommen: Sicherlich in mehrfacher Beziehung. Vor allem aber als Schauspielerin hat sie eine Technik entwickelt, die ihre Kolleginnen weit in den Schatten stellt. Deswegen ist es richtig gewesen, ihr das nach Heinz Rühmanns Tod verwaiste Amt anzutragen. Schönheit ist relativ. Und sei sie auch absolut: Sie ist veränderbar. Eine überlegene Technik und Präzision aber ist es, wie wir anteilnehmend gehört haben, ganz sicher nicht. - Und so fällt es schwer, sich gar eine andere Schauspielerin oder einen anderen Schauspieler an diesem Ort zu denken, der diese Aufgabe ebenso erfüllten könnte: Nur Bruno Ganz fiele mir da ein ...

Fotos:
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Christiane Hörbiger © ROMY