Die weltumspannende Geschichte eines aus dem Südosten, Teil 2/2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Und wie wurde aus dem Heiligen Nikolaus der Weihnachtsmann? Ganz einfach und dies gehört zu den historisch nachweisbaren Vorgängen. Daß es sich bei beiden um ein und dieselbe Person handelt, zeigt seine Karriere in der Neuen Welt, die von Holland, von Amsterdam ausging.
Dort nämlich war der Heilige Nikolaus der Stadtpatron – und schon das muß man Heutigen oft zusätzlich erzählen, weil es kein Allgemeingut mehr ist. Jede Stadt in der alten Christenheit hatte wie jede Kirche einen Namenspatron, also einen Hauptheiligen, manchmal sogar gleich mehrere. In Amsterdam auf jeden Fall war es Nikolaus von Myra; die katholische Nikolauskirche gibt es dort bis heute, wie es überhaupt in allen Städten, die am Wasser liegen und auch bei den Hansestädten, Nicolaikirchen gibt, denn der Heilige Nikolaus war auch der Schutzpatron der Seefahrer.
In Amsterdam wurde Nikolaus Sinterklaas genannt. Und als die Holländer in der Neuen Welt ihre Kolonie errichteten und Neu-Amsterdam nannten, da wanderte auch ihr Schutzheiliger mit und wurde Patron von – ja, richtig, von New York, denn die Holländer hatten ursprünglich dort, genau in Manhattan, gesiedelt und wurden dann von den britischen Einwanderern überrannt und besiegt. Und aus dem Sinterklaas wurde deshalb der Santa Claus, dessen Karriere mit und ohne Coca-Cola um die Welt ging.
In Rußland allerdings gab es den Heiligen Nikolaus schon so lange wie es die russisch-orthodoxe Kirche gibt. Denn der Heilige Nikolaus ist der Schutzpatron des ganzen Landes! Das muß man sich mal vorstellen, gleichermaßen für New York und ganz Rußland. Und er heißt auch nicht Nikolaus, was die lateinisierte Version ist. Er heißt Nikolaos, was aus dem Griechischen übersetzt Sieger des Volkes heißt. Warum er für Deutschland und Europa heute eine große Rolle spielt, das wiederum hat mit der Kaiserin Theofanu zu tun. Die hatte das ehrgeizige Kaisergeschlecht der Ottonen aus Byzanz als Nichte des oströmischen Kaisers Johannes I. für Otto II. gefreit; sie, die Mitkaiserin wurde, hatte aus Byzanz zu ihrer Hochzeit in Rom Reliquien des Heiligen Nikolaus mitgebracht, die sich seit 1058 in der Nikolauskapelle im Dom in Worms befinden. Übrigens gab es 980 gleich die erste Nikolauskirche in Deutschland im Kloster Brauweiler, was nur der Auftakt war zu einer regelrechten Nikolauseuphorie, in dessen Verlauf auch das Brauchtum vom schenkenden Nikolaus aufkam, das dann schnell auf den Abend vor seinem Namenstag fiel – und blieb.
Das alles muß man sich auf dem Hintergrund einer neu aufflammenden Frömmigkeit vorstellen, die dann im Spätmittelalter das Wesen der Religion und des Glaubens revolutionierte: die devotio moderna. Dazu paßt gut die ‚Verbürgerlichung‘ des Heiligen Nikolaus als die moralische Oberinstanz am 5./6. Dezember, der in Begleitung seines Knechtes Ruprecht die Guten belohnt und die Bösen bestraft. Mit Letzterem wird übrigens das viel ältere Brauchtum in Österreich aufgenommen, wo der Krampus eher in der Funktion des Austreibers agiert. Insbesondere in Bayern und dort ganz besonders in Klöstern und Klosterschulen gab es eine ganze Reihe von Nikolausritualen.
Ach ja, und wohin führte die erste Reise des damals neugewählten deutschen Papstes Benedikt? Nach Bari, wo die echten Reliquien überführt worden sein sollen. Und Benedikt war aufgewachsen im Süddeutschen, in bayerischen Klosterschulen, wo der Nikolauskult zu Hause ist.
Wie sehr die moralische Instanz des Nikolaus die bürgerliche Welt bewohnte, kann man auch daran ersehen, daß er in bildlicher Gestalt, die tatsächlich an den heutigen Weihnachtsmann erinnert, in einem ganz anderen Zusammenhang, auftragt: im STRUWWELPETER des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann, das dieser 1844 für seinen Sohne gedichtet und gezeichnet hatte. In der GESCHICHTE VON DEN SCHWARZEN BUBEN heißt es:
Bis übern Kopf ins Tintenfass
Tunkt sie der große Nikolas.
Die Hoffmannsche Zeichnung ist noch einmal Anlaß, auf die ähnlichen Attribute von Heiligem Nikolaus und Weihnachtsmann zu verweisen: wie aus der Mitra, der Bischofsmütze, eine Zipfelmütze wird, wie aus dem Bischofsstab eine Rute, wie aus dem roten Bischofsgewand das Kostüm des Weihnachtsmannes, das es in jedem Kostümverleih zu mieten gibt. Und aus dem einen Nikolaus wurden so eine ganze Horde von Weihnachtsmännern. Den weißen Rauschebart inbegriffen, denn als Weihnachtsmann wurde der Heilige immer älter, ja und auch gemütlicher. Seine furchtbare und meist aufdringlich kitschige Kommerzialisierung machte dem geschichtlichen Hintergrund den Garaus. Oft wird aus dem Weihnachtsmann ein aufgeblähter Gartenzwerg. Von den Schoko-Weihnachtsmännern und den gebackenen ganz zu schweigen. Überall ist Nikolaus.
Das war die Kurzfassung einer viel längeren Geschichte, die quer über die Welt führt und sie doch im Innersten zusammenhält.
Fotos: © div.