hwk frankenstein3 4091HamaouiHuebnerNellRot hfMary Shellys Roman als Aufführung in der Deutschen Oper Berlin

Hanswerner Kruse

Berlin (WEltexpresso) - Vor 200 Jahren erschien Mary Shelleys Roman „Frankenstein - oder der moderne Prometheus.“ Die Deutsche Oper Berlin präsentiert das Problem der Erschaffung künstlicher Menschen als klamaukiges Musiktheater.

Am Ende des Stücks krümmt sich Mary Shelley (Anna Rot) lasziv auf dem Schreibtisch, während die von ihr geschaffene literarische Figur Dr. Frankenstein (Christopher Nell) brüllt: „Warum hast Du mir keine Gefährtin gegeben?“. Wütend versucht er, sein winziges, von ihm selbst geschaffene Monster, in ihren Leib zu stecken. Gut eine Stunde zuvor begann in der Studiobühne „Tischlerei“ der Oper dieses verworrene Potpourri aus Neuer Musik, grotesken Bildern und Schmierentheater. Dem ging die „freundlichen Warnung“ voraus, es solle gleich „Leben ohne die Hilfe einer Frau erschaffen“ werden.

Dampfnebel kriecht aus den Ecken, weiß gekleidete Akteure hasten in einen Pavillon. Pauke und Cello produzieren dramatische Klänge. Blitze. Grauenhafte Schreie. Wildes Getöse. Blut spritzt an die milchigen Planen, die schließlich herunter gerissen werden. Ein Weißgekleideter überreicht Mary Shelly eine absonderliche, bald sterbende Babypuppe. Statt auf die zahllosen monströsen Frankenstein-Filme, an die man zunächst denkt, verweist diese Ouvertüre lediglich auf Shellys Fehlgeburten.

Wenig später sitzt sie am Schreibtisch und arbeitet an ihrem Roman, „Ich sah das abscheuliche Phantom“, murmelt sie. Ihr Mann Percy stürzt heran, versucht sie auf dem Pult zu schwängern, hält inne und faselt: „Ach was, ich werde selber Leben erschaffen!“ Oft wechselt er so plötzlich unvermittelt die Rollen als Shellys Mann und Dr. Frankenstein.

Ein Wagen mit menschlichen Körperteilen wird hereingefahren, in einem gläsernen Kühlschrank sitzt ein Blasmusiker. Dann beginnt ein längerer Bastelklamauk: An Körperteilen wird herumgeschraubt. Shelly wälzt sich zwischen Leichenteilen. Aus einem Kessel wird eine Puppe gefischt. Später ist Dr. Frankenstein selber schwanger und bringt sein namenloses Wesen zur Welt, das dem Außerirdischen ET ähnelt. Der großartige Musiker (Paul Hübner), aus dem Kühlschrank ist mit eigenartigen Blasinstrumenten in vielen Szenen präsent. Sopranistin Sandra Hamaoui und Tenor Andrew Dickinson kommentieren, eindrucksvoll mal philosophisch, mal sprachspielerisch singend, das Geschehen.

Diese durchaus bizarren Tableaus und von fünf Musikern produzierten Klänge, zeigen eine aus den Fugen geratene Welt, in der Menschen versuchen, sich gegen ihr Schicksal und die Götter aufzulehnen. Doch das theatralische Spiel gleitet ständig in läppische Possen ab, die dem Publikum gut gefallen. Das chaotische Verwirrspiel wurde mit großen Ansprüchen angekündigt, die jedoch kaum eingelöst werden.

Shelleys Buch ist ein Entwicklungsroman, der verdeutlicht, warum das namenlose, eigentlich gutartige Wesen zum Monster wird. Ihr Untertitel „der moderne Prometheus“ thematisiert bereits, ob die Wissenschaft alles darf. Aber diese, von der Populärkultur kastrierte Essenz des Buches, wird (auch) in diesem Stück nicht zum Thema gemacht. Gegenwartsbezüge, etwa zum aktuellen Klonen von Primaten in China, fehlen völlig. Stattdessen werden die Fehlgeburten der Autorin als Antrieb ihres Schreibens dargestellt, Frankensteins Motive als Gebärneid gezeigt. So versackt die streckenweise interessante und eindringliche Oper in vulgärer Küchenpsychologie, statt auf angemessene Weise das alte Werk Shelleys modern zu interpretieren - etwa so, wie Alban Berg den „Woyzeck“ Georg Büchners erneuerte.

Komposition Gordon Kampe /Musikalische Leitung Jens Holzkamp / Inszenierung Maximilian von Mayenburg

Foto:
opranistin Sandra Hamaoui, Blechbläser Paul Hübner und Christopher Nell als Dr. Frankenstein / Shelleys Mann © Thomas Aurin Deutsche Oper