wm MALY DELSCHAFT BILD aufgen. 5 2004Serie: STAUNEN - Iim Wintergarten Berlins:  EIN ZIRKUS UND STARS, Teil 2/3

Wolfgang Wartenberg

Weltexpresso (Berlin) - Acht Jahre später, am 1.11.1895, wurde 'Der Wintergarten' dann der Welt erster kommerzieller Vorführraum für Filme, in dem die Brüder Max (1863 - 1939) und Emil (1866 - 1945) Skladanowsky ihr neuartiges Filmvorführungsverfahren "Bioscop" vorstellten. 1895 gilt als das Erfindungsjahr des Films. 1900 wurde 'der Wintergarten' noch einmal umgebaut, und zwar von dem Architekten Bernhard Sehring (1855 - 1941), der in Berlin das Theater des wm Wintergarten Saal vom RangWestens (Grundsteinlegung: 4.9.1895, Eröffnung: 1.10.1896 !) gebaut hatte; später in Cottbus das Stadttheater (Eröffnung 1.10.1908, nach 16 Monaten Bauzeit). - "Der Wintergarten", der jetzt auch offiziell diesen Namen führte, erhielt durch Sehring sein bis zur Zerstörung 1944 gültiges Gesicht: Der Raum wurde ein richtiges Theater mit einer richtigen Bühne an einer der Längsseiten, vor der das Publikum also in einem langgestreckten Zuschauerraum saß; die Glasflächen des Wintergartendachs waren von außen abdeckbar; und das Gewölbe erhielt einen Himmel aus künstlichen Sternen (Glühbirnen), die eine besondere Atmosphäre schufen.

Der "Berliner Lokalanzeiger" (1883 - 1945) berichtete von dieser Sensation: "Im Wintergarten wurde gestern (...) der neue Sternenhimmel eröffnet. Im Glanze unzähliger funkelnder Sterne, 'goldener Lügen im himmelblauen Nichts', erstrahlte der neue alte Saal, zu dessen Wiedertaufe sich alles eingefunden hatte, was in Berlin zu jenen gehört, die überall zu finden sind, wo was los ist."

In dem Film "Variété" (1925) von Ewald André Dupont (1891 - 1956), nach dem Roman "Der Eid des Stephan Huller" von Felix Holländer (1867 - 1931), geboren in Leobschütz, Schlesien, spielen die wesentlichen Szenen im Berliner "Wintergarten". Die Handlung ist eine Dreiecksgeschichte: Der Jahrmarktsbuden-Besitzer Huller auf der Reeperbahn in Hamburg, gespielt von Emil Jannings (1884 - 1950), wird gefragt, ob er eine fremde, unbekannte, in Tücher und Decken verhüllte, ebenso scheue wie auch schon verführerische wm Variety 1junge Frau, gespielt von Lya de Putti (1897 - 1931), zeitweilig aufnehmen könne. Sie kam wohl mit irgendeinem Schiff an – und niemand weiß nun, was man mit ihr anfangen soll. Ihr Name lautet Berta- oder Berte-Marie.

wm Variety 1925 filmHuller stimmt zu, - gegen die unverhohlene Meinung seiner Ehefrau, die von Maly Delschaft (1898 – 1995) gespielt wird. Sie spürt wohl schon die Veränderung, das Unglück, das diese Unbekannte ihr bringen wird. - Das Erwartete tritt natürlich ein: Huller verliebt sich in diese schöne Fremde, die ihre weiblichen Reize auch durchaus nicht versteckt, verlässt Frau und Kind und schlägt sich nun mit dieser neuen Frau "aus 1001 Nacht" durch. Bald wird ein Impressario auf ihn aufmerksam, denn der berühmte Trapezkünstler Artinelli, den der englische Schauspieler Warwick Ward (1891 - 1967) spielt, sucht einen neuen Partner. Huller wird engagiert, es entsteht, ergänzt und schließlich gruppiert um Berta-Marie eine wagemutige Trapez-Nummer, deren Gefährlichkeit schon durch die schwarzen Totenköpfe auf den weißen Trikots der Artisten deutlich wird.

Genau genommen besteht der Film aus zwei Dreiecksgschichten, aber die wichtigere ereignet sich erst jetzt. Artinelli wirft ein Auge auf Berte-Marie. Auch hier geschieht das Erwartete: Er verführt sie, betrügt seinen Partner Huller mit ihr. Das geschieht auf einer großen Tournee, im Luxus-Hotel, das durchaus wm Emil Jannings Alexander Binder in Variete das "Central-Hotel" in Berlin sein kann. Ihre Auftritte jedenfalls finden im Wintergarten statt. Zuvor aber wurde Huller recht indezent von der allgemeinen Artistengemeinschaft zu verstehen gegeben, dass Berte-Marie ihn betrügt. Huller, Jannings also, ist der Fänger von Artinelli. Und hier nun, in diesen genialen Aufnahmen aus der Höhe der Luftschaukel, das Publikum halb unter, halb über, halb neben sich, immer wieder im Schwung hoch den künstlichen Sternen entgegen oder hinunter in Richtung des Bühnenbodens, in dieser Kameraführung Karl Freunds (1890 - 1969) besteht ein Großteil des Reizes dieses so beredten Stummfilms, der einem ein großartiges Gefühl der berühmten Aufführungen des Wintergartens vermitteln kann.

Das wilde Auf und Ab der Luftschaukel, des Trapezes, ist aber nur der Spiegel der Gefühle Hullers: Er weiß, dass sein Partner ihn mit seiner Frau betrügt, er bebt vor Empörung, Rachegefühl, Verletzung und Wut; er weiß, dass er Artinelli einfach in die Tiefe sich zu Tode stürzen lassen könnte, dabei vermutlich sogar straffrei ausgehen würde, indem dieses Vorbeigreifen dann eben nur ein 'Unfall' gewesen wäre, und er weiß gleichzeitig, dass er sich dennoch bezähmen und den anderen nicht stürzen lassen wird.

Am 21.6.1944, nach 56 Jahren des Spielbetriebs, wurde das "Central-Hotel" und damit natürlich auch der Wintergarten durch alliierte Bomben getroffen und so stark beschädigt, dass an eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs nicht mehr zu denken war. Die Ruine wurde 1950 abgeräumt. 

wm startbild vortrag quartier latinDer jetzige Wintergarten erinnert mehrfach an seine große, legendäre Vergangenheit. - Ich erinnere mich noch, dass ich, als das "Quartier Latin" 1992 als "Wintergarten" wieder eröffnete, nicht nur den historischen Bezug - natürlich - sofort wm Meret Becker Berlinale 2008erkannte, sondern ihn auch etwas hochtrabend und anmaßend fand und entsprechend skeptisch war. 1995 zog sich André Heller aus dem neuen Wintergarten zurück; 2007 folgte ihm Bernhard Paul; auch Peter Schwenkow verkaufte 2007 seine Anteile – an den langjährigen Geschäftsführer Georg Stecker (?) und seinen Partner Frank Reinhardt (?). 2008 verließ Strecker das Geschäft, und Reinhardt musste bald danach aufgeben. Er meldete Konkurs an. Die letzte Aufführung fand am 31.1.2009 statt.

Neuer Betreiber, zuvor schon Vermieter der Räumlichkeiten, wurde die Arnold Kuthe Entertainment GmbH und das Haus am 5.2.2010 mit Meret Becker (*1969) als Conférencière erfolgreich wiedereröffnet. Seither besteht es am Markt, subventionsfrei, aus eigener Kraft – und zu recht! 

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
©