Hanswerner Kruse
Hanau (Weltexpresso) - Mit einer modernen Musical-Version des Märchens „Das tapfere Schneiderlein“ begannen die 37. Brüder-Grimm-Festspiele. Nachdem der Handwerker sieben Fliegen erschlug („sieben auf einen Streich“), erkämpfte er sich listig ein halbes Königreich und die Prinzessin.
Die Königstochter spielt in den diversen alten Fassungen des Märchens keine Rolle und wird nur verheiratet, hier ist sie eine kritische und nachdenkliche junge Frau. Ständig hat sie ein Buch in der Hand, kocht gerne und wehrt sich gegen das Korsett, in das sie gezwängt wird: „Mich fragt keiner. Ich werde zu allem nicht schweigen, ihr werdet mich hören“, singt sie. Das Schneiderlein ist kein aufgeblasener Angeber, sondern will sich nicht länger schurigeln lassen und aus der Enge seines Dorfes heraus. Dem Helden hilft ein blauer Vogel die Riesen zu besiegen und geschickt andere Prüfungen zu bestehen.
„Das Volk“ - meistens Frauen - tanzt, singt, kommentiert die Handlung und treibt sie dadurch voran. Durch diese Erneuerungen sowie musikalische Einlagen der Live-Band und Gesänge der Akteure, wird das aktualisierte Märchen sehr abwechslungsreich. Fantastisch das sich ständig verändernde Bühnenbild auf mehreren, sich drehenden Ebenen, dadurch fließen viele Szenen ineinander oder geschehen parallel.
Das Stück beginnt etwas behäbig, doch schnell bekommt es durch die Tänze der Fliegen, später die choreografierten Kämpfe des Schneiders weitere traumartige Dimensionen: Die vom Helden zu fangende Wildsau ist hocherotisch und tanzt mit Maissträuchern. Der Kampf und schließlich das Arrangement mit dem Einhorn ist eine surreale Choreografie. Die tölpelhaften Riesen sind ein skurriles, wirklich riesiges Paar. Wechselnde farbige Lichtspiele sorgen immer wieder für unterschiedliche Stimmungen.
Die Frauen spielen eine große Rolle in dem Stück, selbstbewusst und kämpferisch wie in unserer Zeit, sind sie nicht länger Objekte männlicher Dominanz. Nicht nur die Prinzessin wehrt sich gegen die höfischen Konventionen, auch dem König wird „das Hierarchische“ manchmal zu viel. Der Schneider kämpft tapfer gegen die korrupte Welt des Adels und fordert seine Rechte, er siegt als Schwacher gegen die Starken oder Überlegenen: sei es gegen die Riesen oder den selbstgefälligen Baron, der mit Betrug versucht die Königstochter für sich zu gewinnen. Doch am Ende erkennt auch der Handwerker, dass er durch sein Auftreten nicht er selbst werden konnte.
Zwei Aspekte sind wieder einmal bedeutsam: Märchen sind nicht nur etwas für Kinder, das tapfere Schneiderlein wird durchaus zum Erwachsenenstück. Und sie sollten sich erneuern, die Weiterentwicklung der in der Romantik eingefrorenen Erzählungen ist stimmig. Die Inszenierung ist manchmal auch humorvoll und derb - allerdings ohne peinliche Possen.
Natürlich agieren die Darstellerinnen und Darsteller unter der Regie von Werner Bauer hochprofessionell, oft auch in mehreren Rollen. Die Bandbreite der Musik von Daniel Große Boymann (Libretto) und Marian Lux (Komposition) ist erstaunlich.
Info:
http://www.festspiele-hanau.de
Fotos
oben: Die erotische Wildsau im Maisfeld © Brüder Grimm Festspiele/Hendrik Nix
unten: Die Prinzessin (links) mit ihrer Vertrauten der Köchin © Brüder Grimm Festspiele/Hendrik Nix