Yves Kugelmann
Paris (Weltexpresso) - Das Institut du monde arabe liegt am linken Seine-Ufer, geleitet wird es vom ehemaligen französischen Kulturminister Jack Lang. Das imposante Bauwerk liegt unweit von St. Michel in Richtung Gare du Lyon. Nachts leuchtet es imposant mit einer Art moderner arabischer Fresken. Seit dieser Woche erleuchten vor dem Haus große Plakate im Scheinwerferlicht, die die Ausstellung «Les juifs d’Orient» in französisch, arabisch und hebräisch ankündigen.
Die Ausstellung ist eine imposante, teilweise nostalgische Aufarbeitung der jüdischen Geschichte im Orient, der muslimisch-jüdischen Kulturen und einer jahrhundertelangen, immer wieder guten, immer wieder angespannten, Koexistenz. Es ist eine Ausstellung zur Entwicklung von Identitäten, zur Frage von Integration, Vertreibung und Protektoraten gerade für die jüdische Minderheiten.
Der Historiker Benjamin Stora hat die Ausstellung über viele Jahre entwickelt, die Jack Lang diese Woche eröffnete und damit einen Beitrag zu einer Debatte liefert, die in Frankreich viele Facetten hat. Frankreich ist im 20. Jahrhundert im Kontext von Kolonialgeschichte, Vertreibung der Juden aus dem Maghreb, aber auch der Schoah zum Einwanderungsland für Muslime und Juden und somit zu einem Zentrum für beide geworden, in dem das Zusammenleben im Kontext von gesellschaftlichem Wandel, Identitätsdiskursen und aufgeladener politischer Wirklichkeit zunehmend herausgefordert ist.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzte in seiner bemerkenswerten Eröffnungsansprache nach einem Diskurs über die Historie von jüdischem und arabischem Zusammenleben genau dort an. «In einer Zeit, in der die arabische Welt wie auch unsere eigenen europäischen Gesellschaften von Identitätsspannungen erschüttert werden, spricht diese Ausstellung im Grunde von Koexistenz, aufgeklärten Einflüssen, gegenseitiger Bereicherung und dem Austausch zwischen den Monotheismen. Doch die Geschichte der Juden im Orient ist auch von Verfolgungen, Leiden, Konflikten und Exodus geprägt. Zwischen den dunkelsten Jahren gab es auch Zeiten prächtiger Blüte, in denen Brücken zwischen Sprachen, Wissen und Kulturen geschlagen wurden.» Und dann: «In der gesamten Ausstellung und auf diesem Weg steckt eine gewaltige Lektion in Sachen Zivilisation. Die Tatsache, dass Identität im Grunde immer komplexer ist, als man denkt, dass sie sich an anderen Identitäten reibt, um sich von ihnen zu ernähren, und dass der verfluchte Teil nie der Teil des anderen ist, und dass jedes Mal, wenn die menschliche Dummheit auftaucht, dass der Obskurantismus so viele Familien oder Gemeinschaften dazu gebracht hat, bestimmte Ufer zu verlassen, um anderswo Zuflucht zu suchen, die Lösung immer im Wissen lag, im Wiedererlernen des Anderen, in der Verteidigung einer Zivilisation, einer Religion, von Texten und in der Energie, die in das Wiedererlernen und Neukonjugieren investiert wurde.»
Für Frankreich sieht Macron eine Verantwortung auch in der Aufarbeitung der Vertreibungsgeschichte von Juden aus dem Orient. Ein oft unterschlagenes Thema, das in der Ausstellung in einem eigenen Bereich offen angesprochen und dargestellt wird um dann in einem letzten Teil die Verantwortung für den Umgang mit Geschichte in der Gegenwart zu thematisieren. In der Ausstellung wird das so zusammengefasst: «Mit dem Exil kommt das Zusammenleben von Juden und Muslimen, der Bezug auf den realen oder fantasierten Orient, verlagern sich Konfrontationen ausserhalb der arabisch-islamischen Welt und spielen sich manchmal sogar in unserer unmittelbaren Umgebung, insbesondere in Frankreich ab.» Und weiter: «Traditionen, Sprache, sensorische Erinnerungen sind über Generationen hinweg verankert von Generation zu Generation und verweisen jeden Juden auf die Erinnerung an seinen ‹Orient›».
Emmanuel Macron wiederum folgerte vor viel jüdischer, arabischer und muslimischer Prominenz und namhaften Vertreterinnen und Vertretern aus Gesellschaft und Politik: «Um uns besser verstehen und kennenlernen zu können, müssen wir auch das materielle und immaterielle Kulturerbe, insbesondere der religiösen Minderheiten, schützen, denn dies sind die zu bewahrenden Spuren einer jahrhundertelangen Geschichte, die von gegenseitigen Einflüssen geprägt war.» Das laizistische Frankreich der Gegenwart bleibt herausgefordert – auch nach den bevorstehenden Wahlen, in dessen Vorfeld bereits jetzt ein heftiger Wahlkampf tobt und den gesellschaftlichen Frieden herausfordert.
Foto:
©tachles
Info:
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 19. November 2021
www.imarabe.org
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzte in seiner bemerkenswerten Eröffnungsansprache nach einem Diskurs über die Historie von jüdischem und arabischem Zusammenleben genau dort an. «In einer Zeit, in der die arabische Welt wie auch unsere eigenen europäischen Gesellschaften von Identitätsspannungen erschüttert werden, spricht diese Ausstellung im Grunde von Koexistenz, aufgeklärten Einflüssen, gegenseitiger Bereicherung und dem Austausch zwischen den Monotheismen. Doch die Geschichte der Juden im Orient ist auch von Verfolgungen, Leiden, Konflikten und Exodus geprägt. Zwischen den dunkelsten Jahren gab es auch Zeiten prächtiger Blüte, in denen Brücken zwischen Sprachen, Wissen und Kulturen geschlagen wurden.» Und dann: «In der gesamten Ausstellung und auf diesem Weg steckt eine gewaltige Lektion in Sachen Zivilisation. Die Tatsache, dass Identität im Grunde immer komplexer ist, als man denkt, dass sie sich an anderen Identitäten reibt, um sich von ihnen zu ernähren, und dass der verfluchte Teil nie der Teil des anderen ist, und dass jedes Mal, wenn die menschliche Dummheit auftaucht, dass der Obskurantismus so viele Familien oder Gemeinschaften dazu gebracht hat, bestimmte Ufer zu verlassen, um anderswo Zuflucht zu suchen, die Lösung immer im Wissen lag, im Wiedererlernen des Anderen, in der Verteidigung einer Zivilisation, einer Religion, von Texten und in der Energie, die in das Wiedererlernen und Neukonjugieren investiert wurde.»
Für Frankreich sieht Macron eine Verantwortung auch in der Aufarbeitung der Vertreibungsgeschichte von Juden aus dem Orient. Ein oft unterschlagenes Thema, das in der Ausstellung in einem eigenen Bereich offen angesprochen und dargestellt wird um dann in einem letzten Teil die Verantwortung für den Umgang mit Geschichte in der Gegenwart zu thematisieren. In der Ausstellung wird das so zusammengefasst: «Mit dem Exil kommt das Zusammenleben von Juden und Muslimen, der Bezug auf den realen oder fantasierten Orient, verlagern sich Konfrontationen ausserhalb der arabisch-islamischen Welt und spielen sich manchmal sogar in unserer unmittelbaren Umgebung, insbesondere in Frankreich ab.» Und weiter: «Traditionen, Sprache, sensorische Erinnerungen sind über Generationen hinweg verankert von Generation zu Generation und verweisen jeden Juden auf die Erinnerung an seinen ‹Orient›».
Emmanuel Macron wiederum folgerte vor viel jüdischer, arabischer und muslimischer Prominenz und namhaften Vertreterinnen und Vertretern aus Gesellschaft und Politik: «Um uns besser verstehen und kennenlernen zu können, müssen wir auch das materielle und immaterielle Kulturerbe, insbesondere der religiösen Minderheiten, schützen, denn dies sind die zu bewahrenden Spuren einer jahrhundertelangen Geschichte, die von gegenseitigen Einflüssen geprägt war.» Das laizistische Frankreich der Gegenwart bleibt herausgefordert – auch nach den bevorstehenden Wahlen, in dessen Vorfeld bereits jetzt ein heftiger Wahlkampf tobt und den gesellschaftlichen Frieden herausfordert.
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©tachles
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Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 19. November 2021
www.imarabe.org