Hanswerner Kruse
Wuppertal (Weltexpresso) - Beinahe ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung, zelebriert ein afrikanisches Tanzensemble kraftvoll die Wiedereinstudierung des “Frühlingsopfers“ von Pina Bausch in Wuppertal.
Aggressive schwarze Tänzer stampfen rhythmisch durch Torf auf dem Bühnenboden. Verzweifelt klammern sich dunkelhäutige Tänzerinnen in weißen Kleidern aneinander, manche winden sich in der Moorerde. Eine der Frauen wird das Opfer und muss sich im roten Kleid zu Tode tanzen… Diese Performance ist kein Als-ob-Theater, die Beteiligten agieren real bis zur Erschöpfung.
Ende Januar wurde die, bis ins Detail rekonstruierte Choreografie durch die ad hoc gebildete afrikanische Compagnie, vom Publikum frenetisch gefeiert. Pina Bauschs Interpretation der Ballettmusik Igor Strawinskys - in der Tradition des deutschen Ausdruckstanzes - begründete ihren internationalen Ruhm als Pionierin des Tanztheaters und ist bis heute ihr am meisten gespieltes Stück.
Dieses Event - mit einer weiteren Darbietung der Wuppertaler Compagnie "Café Müller" (Foto links) und dem Duo einer jeweils sehr alten weißen und schwarzen Tänzerin "common ground" (Foto rechts) - ist die erste und vor allem exemplarische Kooperation des Tanztheaters mit der Pina-Bausch-Stiftung. 14 Jahre nach dem Tod der Choreografin sind die grotesken Streitereien um ihre Nachfolge überwunden. Der Ausbau des alten Stadttheaters zum Pina-Bausch-Zentrum, unter anderem mit fester Spielstätte für die Truppe und ihrem Archiv, ist planerisch vollendet, die öffentliche Finanzierung gesichert.
Nach einigen Irrwegen sind die Ziele festgelegt, das Werk soll gepflegt und erhalten, aber ebenfalls neue Wege des Ensembles ermöglicht werden. Dazu sind Kooperationen mit Kunstschaffenden aus anderen Bereichen - wie Architektur, Film oder Bildender Kunst - vorgesehen. Eine stärkere Partizipation des Publikums ist angestrebt: Derzeit werden 200 Laien für ein tänzerisches Straßenprojekt in der Stadt gesucht, das der neue Intendant Boris Charmatz initiiert.
„Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme.“ Das wurde exemplarisch an demTanzabend deutlich und gilt für das gesamte, weiterhin gezeigte choreografische Werk der Pina Bausch. Alljährlich geht die Compagnie auf Welttourneen mit alten Stücken. Deren Themen - etwa was tun Menschen um geliebt zu werden oder der Widerspruch von Nähe und Distanz in der Liebe - sind weiterhin hochaktuell. Stets sind die Wuppertaler Vorstellungen ausverkauft und werden auch von jungen Leuten gefeiert. Viele der Neuen, die in den aufgefrischten Choreografien tanzen, kennen Pina Bausch gar nicht mehr. Ehemalige Ensemblemitglieder ermöglichen durch ihre Mitarbeit die präzise „Rollenweitergabe“:
Im Film „Dancing Pina“ (2022) wurde die von der Pina-Bausch-Stiftung in Afrika beauftragte Neueinstudierung dokumentiert. Die Gecasteten aus 14 afrikanischen Ländern haben keine klassische Ausbildung, sondern kommen vom Street Dance. Eine Tänzerin war traurig weil sie sich „so“ gar nicht bewegen könnte. „Sei nur du selbst“, ermunterte sie die künstlerische Leiterin. Beim Ansehen des Videos merkte die Zweifelnde: „Alle Frauen tanzen gleich, aber jede erscheint anders.“
Den Körpern der Tanzenden sind ihre biografischen und kulturellen Erfahrungen eingeschrieben, darum wirken im zeitgenössischen Tanz gleiche Bewegungen stets bewusst individuell. Das macht die Tänze der afrikanischen Menschen im „Frühlingsopfer“ so ungewöhnlich interessant und kraftvoll. Diese Wirkung wird noch durch die, seit vielen Jahren wieder live eingespielte Musik des Wuppertaler Sinfonieorchesters verstärkt.
Fotos:
© Pina Bausch Foundation "Frühlingsopfer" Foto Martin Vanden Abeele (ganz oben und unten":
© Pina Bausch Foundation Café Müller Foto Ulli Weiss
© Pina Bausch Foundation "common ground" Foto Maarten Vanden Abeele