Davide Zecca
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im September 1919 schickten die Berliner Dadaisten Richard Hülsenbeck, Johannes Baader und George Grosz ein Telegramm an den "Corriere della Sera". Darin feierten sie den Handstreich des „poeta soldato“ als "grandiose dadaistische Unternehmung". In der Tat war Fiume ein Sammelbecken für verschiedene Personen und Persönlichkeiten aus Nationalisten und Internationalisten, Monarchisten und Republikanern, Konservativen und Syndikalisten, Klerikalen und Anarchisten, Imperialisten und Kommunisten sowie weiteren Intellektuellen.
Dabei war der Begründer des Futurismus, Filippo Tommaso Marinetti (oben seine künstlerische Auseinandersetzung mit D'Annunzio), mit dem der „Vate“ seit dem französischen „Exil“ ein zwiespältiges Verhältnis hatte, in Fiume zu Gast. Jedoch wurde Marinetti, der „mit allen Mitteln Gabriele D’Annunzio bekämpfen“ will, „weil er mit seinem ganzen Genie die vier geistigen Gifte, die wir für immer abschaffen wollen, verfeinert hat […]“, alsbald aus der „Citta di Vita" („Stadt des Lebens“) ausgewiesen. Der „Vate“, der das Metier Kommunikation bestens kennt und dadurch die Inszenierung seiner Person ebenfalls, lud zwei Persönlichkeiten in sein Fiume ein, die ihm auf unterschiedlichen Art und Weise buchstäblich Stimme verleihen werden. Am 22. September 1920 besuchte der „Magier“, so nannte D'Annunzio den italienischen Physiknobelpreisträger Marconi mit irischen Wurzeln, Fiume, um „die Schallwellen von Fiumes Stimme unbegrenzt zu erweitern“. Einen Tag später erlaubt der Physiker dem Dichter "der Welt die Wahrheit zu sagen" und "Fiumes Geheimnis mit seiner eigenen Stimme zu enthüllen", sodass am 23. September 1920 um 14:00 Uhr D'Annunzio auf die Yacht Elettra stieg, um seine Botschaft zu übermitteln – diese Rundfunksendung nimmt in der italienischen Geschichte ihren Platz als die erste italienische Rundfunksendung ein.
Der erste italienische Rundfunkbeitrag war kurz und verlangte die Anerkennung Fiumes Souveränität durch alle Völker. Dabei wurde diese Forderung fünfmal wiederholt, mit einer abschließenden Anrufung an den Herrn, dass das Wort "alle aufrichtigen Herzen berühre und die Lügen niedertrampeln möge". Den nächsten Gast lud der Dichter mit den Worten ein: „Mein lieber Maestro, mein großer Freund, kommen Sie nach Fiume d'Italia, wenn Sie können. Hier herrscht heute die klangvollste Luft der Welt. Die Seele des Volkes ist symphonisch wie Ihr Orchester“. Mit „Maestro“ und „mein großer Freund“ ist der italienische Dirigent Arturo Toscanini gemeint, der später wegen des Faschismus – anders als Marconi – in die USA exilierte. Der Dichter gesteht dem Dirigenten dabei, dass „wir allein gegen einen großen Chor von bezahlten Mahnern und Bedrohern sind“, da die italienische Regierung seit der Ablehnung des „modus vivendi“ versuchte, auf jede erdenkliche Weise dem Fiume-Unternehmen ein Ende zu setzen, dabei sind Taktiken der Isolation auf der Tagesordnung gewesen.
Der Dichter verkündet den Besuch dankbar mit den Worten: "Oh mein Meister, es ist schön, dass Du von dort herabkommst, verächtlich und kühn und sehr italienisch, indem du die verdächtigen Warnungen abschüttelst. Es ist schön, dass Du nach Fiume kommst, unbesiegbar, um unseren tapferen Schmerz auf die höchsten Wellen des symphonischen Ozeans zu heben." Am 20. November 1920 dirigierte Toscanini das Benefiz-Sinfoniekonzert für die Armen der Stadt, unter der Schirmherrschaft des „Comandante“ und mit der Unterstützung der Stadtverwaltung von Fiume. Das Theater ist überfüllt: Niemand will die Gelegenheit verpassen, eine Legende wie Toscanini live zu sehen und zu hören.
Auf dem Spielplan steht die "Fünfte" von Ludwig van Beethoven, das Lieblingsstück des „Vate“, gefolgt vom "Konzert in a-Moll" von Antonio Vivaldi. Dann geht es über zu der Suite "Piemonte" von Leone Sinigaglia, "Iberia" von Claude Debussy, "Le fontane di Roma" von Ottorino Respighi und schließlich Giuseppe Verdi und die "Sizilianische Vesper". Nach drei Stunden applaudiert das Publikum und fordert wiederholt eine Zugabe. Dirigent und Orchester leisten dem Wunsch Gefolgschaft und spielen den Liebestod aus "Tristan und Isolde" von Richard Wagner. Für den Dichter war die Aufführung ein "göttliches Geschenk" und Toscanini wird sein "lieber Freund und großer Bruder" werden. Toscanini erwidert die gleiche Wertschätzung: "Comandante Gabriele D'Annunzio, ich kenne nichts, das die Harmonie Deines bezaubernden Wortes, die Energie Deines siegreichen Werkes, erreicht. Mit einem
demütigen und dankbaren Herzen als Italiener und Künstler wünsche ich, dass deine Wünsche erfüllt werden. Für das schöne Italien, für das große Italien, für seinen edelsten Sohn, für seine tapferen Kameraden, eja, eja, eja, alalà!“.
Die Anziehungskraft, die von Fiume ausging, war so faszinierend, dass nicht nur Europäer den Dichter besuchten und unterstützen, sondern aus der ganzen Welt. Sogar aus Japan, wie der Dichter, Schriftsteller und Dante-Übersetzer Harukichi Shimoi. Shimoi selber war von seinem Kollegen D'Annunzio so begeistert, dass er schon im Jahre 1910-1911 das Libretto „Das Martyrium des Heiligen Sebastian“ von ihm ins Japanische übersetzte. D'Annunzio, selber japanophil, begrüßte den japanischen Kollegen, der während des Ersten Weltkrieges für Italien als Ardito kämpfte und dabei die Kampfkunst des Karates aus dem Fernen Osten seinen italienischen Kameraden, den Arditi lehrte, mit den Worten: „Von Fiume in Italien, dem Tor des Ostens, grüßen wir das Licht des Fernen Ostens.“.
Zwischen den beiden Dichter-Freunden herrschte eine innige kameradschaftliche Freundschaft. D'Annunzio nannte Shimoi „il Samurai di Fiume“, mit dem er sogar 1920 eine Reise von Rom nach Tokio plante, die er jedoch wegen der Fiume-Unternehmung dann nicht mehr antreten konnte. Neben große Taten gab es in Fiume auch humorvolle Momente zwischen den beiden. An einem dieser verrückten und begeisterten Tage in Fiume, erinnert sich Shimoi an die spitzbübischen Streiche von D'Annunzio: "An einem Abend, nach dem Abendessen, flüsterte er mir schnell ins Ohr: 'Steh auf und sprich mit klarer Stimme zehn, zwanzig japanische Wörter und sag, was du willst: Guten Morgen, Auf Wiedersehen, Danke. Du wirst sehen, wie ich alle verblüffen werde.'" Shimoi rezitiert also lose Sätze, Reime, Buchstaben des Alphabets, und D'Annunzio gibt vor, sie sofort zu übersetzen, indem er improvisierte Verse über gefallene Blumen, Tauwasserperlen und wandernde Wolken macht, was allen den Eindruck vermittelt, er könne sehr gut Japanisch .
Fortsetzung folgt
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