Serie: DIE EWIGE FLAMME - Gabriele D'Annunzio und sein unvergänglicher Einfluss auf Kultur und Politik, Teil 13/15
Davide Zecca
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Bei bacchantischen Festakten, die an die spätrömische Dekadenz erinnern, durch moderne Rauschmittel und freie Liebe verklärt, werden die staatsorganisations- und völkerrechtlichen Fragen unbeachtet gelassen. Der politische Zustand verschlechtert sich allgemein drastisch, im März 1920 spricht dies der D'Annunzios-Jünger und Fiume-Pressesprecher Léon Kochnitzky mit folgenden Worten an: „Es ist unmöglich, so viele Monate lang ohne Gefahr erhaben zu sein“.
Dabei ist durch das verhängte Embargo der italienischen Regierung und dem damit entstandenen Versorgungsproblem eine Evakuierung von viertausend Kindern notwendig. Der feindlich gesinnte Autonomist Riccardo Zanella rief mit Unterstützung der Sozialisten am 22. April 1920 einen Generalstreik aus, Ministerpräsident Nitti musste daraufhin u.a. wegen der Erhöhung der Brotpreise zurücktreten. Es folgte am 16. Juni 1920 Giolitti als Ministerpräsident – man erinnert sich, dem Dichter ebenfalls eine persona non grata.
Im Rahmen der Verschärfung der Weltwirtschaftskrise wurden in Fiume weitere Menschen persona non grata. Der New York Times-Korrespondent berichtet am 1. März 1920: Gabriele D'Annunzio habe "eine weitere Deportation von Kroaten und anderen Ausländern" angeordnet, deren Anwesenheit als "schädlich für die Sicherheit der Stadt" betrachtet werde. Bei einem Antrag eines Friseurs auf Erneuerung seiner Betriebserlaubnis vermerkt ein Beamter am 16. Dezember 1919, der Mann sei "auf politisch-moralischer Linie nicht vertrauenswürdig" und hege "antinationale Gefühle". Solche Abweichler wurden zunächst im Theater zusammengetrieben und eingesperrt, dann nach nervenaufreibenden Stunden schließlich über die Brücke vertrieben, wobei ihr Eigentum beschlagnahmt wurde.
Der Dichter musste trotz erhöhtem Kokainkonsum in aller seiner Nüchternheit erkennen, dass sich ein Anschluss von Fiume an Italien nicht umsetzen ließ. Das Augenmerk des Dichters liegt nun lediglich auf „seinem“ Fiume und er ruft am 12. August 1920 offiziell die Unabhängigkeit des Staates aus: die „italienische Regentschaft von Carnaro“. Dabei wählt er für die neue Staatsgründung folgende Worte: „Der Sieg liegt in euch. Niemand kann euch retten, niemand wird euch retten: weder die italienische Regierung, die genauso einfältig und machtlos ist wie all ihre Vorgänger; noch die italienische Nation, die nach der Weinlese des Krieges unter den schmutzigen Füßen von Deserteuren und Verrätern zerdrückt wird wie ein Haufen Weintrauben, die zu Aquarellfarben verarbeitet werden sollen... Ich bitte die Stadt um eine Handlung des Lebens. Gründen wir in Fiume, in der östlichen Mark von Italien, den Freistaat Carnaro.“
Diesmal sieht der Dichter auch eine Verfassung vor. Der bekannte Anarchosyndikalist Alceste De Ambris soll diese für den „Stadtstaat“ ausarbeiten. Die sogenannte „Carta del Carnaro“ sieht dabei die Gleichstellung der Geschlechter vor, jeder ‚religiöse Kult‘ war erlaubt und die Presse- und Meinungsfreiheit war garantiert. Sogar der Sozialstaat, komplett mit Mindestlöhnen, Sozialversicherung, Arbeitslosigkeit- und Krankenversicherung, war Bestandteil dieser Verfassung. Am 8. September 1920 wurde die „Carta del Carnaro“ verkündet.
Die allgemeine politische sowie wirtschaftliche Lage verschlechtert sich, mit Auswirkungen auf Fiume. Am 12. November 1920 hat Italien mit Jugoslawien den Vertrag von Rapallo unterzeichnet, sodass die Unabhängigkeit des Freistaats von Fiume respektiert wird. Diese Unabhängigkeit des Freistaates Fiume wird in der italienischen Bevölkerung begrüßt – auch von den engsten Freunden des Dichters, wie etwa De Ambris. Auch wenn De Ambris dem Dichter eindringlich mitteilte: „die Stimmung der Bevölkerung von Fiume ist insgesamt für die Annahme des Vertrags von Rapallo. In Italien herrscht das gleiche Gefühl sogar unter den treuesten Freunden, die es nicht offen sagen, nur um uns nicht im Stich zu lassen.“ – lehnte D'Annunzio den Vertrag kategorisch a priori ab und respektierte das Ultimatum der italienischen Regierung nicht – mit verheerenden Folgen.
Am Nachmittag des Heiligen Abends starteten die regulären Truppen Italiens den Angriff. Die „Città Di Vita“ begonnen mit der „Sacra entrata” endete durch den Beschuss des italienischen Schlachtschiffes Andrea Doria auf den Regierungspalast des Dichters in „Natale di sangue” („Blutige Weihnachten”). Die Schlacht um Fiume, nun buchstäblich unter der gelebten Devise „Fiume o Morte!“, endete mit 44 Toten, darunter 5 Zivilisten. Der „Comandante“ erklärte leicht versehrt seinen Rückzug aus Fiume dennoch pathetisch: „Ich werde es für sein Wohl verlassen. Und ich übergebe ihm die Verantwortung für meine Toten, meinen Schmerz, meinen Sieg."
Foto:
Freistaat Fiume
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