3x RENAISSANCE-THEATER in Berlin, Teil I
Wolfgang Mielke
Berlin (Weltexpresso) - Das Renaissance-Theater gehört zu den schönsten Theatern, die es überhaupt gibt; nicht nur in Berlin. In seiner heutigen Gestalt wurde das Theater 1926/1927 gebaut von Oskar Kaufmann (1873 – 1956), der auch, zuerst, das Berliner Hebbel-Theater und die Volksbühne gebaut hat; die Innenausstattung, die in kongenialer Ergänzung der Raum-Organisation Kaufmanns den eigentlichen Reiz dieses Theaters ausmacht, schuf der Bühnenbildner César Klein (1876 – 1954): die hölzerne Verkleidung der Seitenwände des Zuschauerraumes mit Commedia dell'Arte – Szenen - im Stile von Chinoiserien. Klein schuf damit einen akustisch hochsensiblen Raum und zugleich ein luxuriöses Theater für den wohlhabenden Berliner Westen, und das nur acht Jahre nach dem verlorenen Weltkrieg, der damals noch nicht als '1.' gezählt wurde.
Bei Wikipedia kann man lesen, dass das Renaissance-Theater "das einzige vollständig erhaltene Art-déco-Theater Europa" ist. - Art-déco ist einer Weiterentwicklung des Jugendstils; man könnte sagen: eine Überführung des Jugendstils ins technisierte Zeitalter; also eckiger und metallisch. Das Chrysler Building in New York ist dafür wohl das deutlichste Beispiel. - Im Renaissance-Theater erscheint das Art-déco aber nicht metallisch, sondern als kostbare hölzerne Intarsien-Arbeiten.
Hier wurde am 11.12.2024 Botho Strauß, der zeitweilig berühmte Bühnen-Autor, zu seinem 80. Geburtstag geehrt. Das genaue Datum wäre der 2.12.2024 gewesen, aber das ist - nebensächlich.
Eine Kritik dieser Ehrung lässt sich am besten aus dem E-Mail-Wechsel herauslesen, den ich mit dem Bühnen-Autor Jörg Menke-Peitzmeyer geführt habe:
"Vielen Dank für Deine Weihnachtsmail, ich wollte Dir ohnehin schreiben, da hat sich ein bisschen was angesammelt (...) so zuletzt anlässlich des 80. Geburtstags von Botho Strauß. Was immer man von dem halten mag, er war doch ein wesentlicher Autor unsrer Zeit an der Folkwangschule. "Der Park" war nicht ganz schlecht, ich erinnere mich auch an "Die Fremdenführerin" mit Bruno Ganz und Corinna Kirchhoff, die ja jetzt am BE ist (...) Hast Du übrigens den Film von Marie-Lou gesehen, "Die Schule der Frauen", müsste es noch in der ZDF-Mediathek geben, da sind wir alle auch kurz auf einem Klassenfoto zu sehen, der ganze Jahrgang ... - Doch zurück zu Botho Strauß. Lesen kann ich den nicht mehr, hab's noch mal versucht, "Schlußchor", das ist eigentlich kein Theatertext, sondern reine Literatur, jeder spricht wie gedruckt, Dürrenmatt meinte ja mal, Theater sei keine Literatur, und da ist was dran, Botho Strauß jedenfalls ist zumindest ZUVIEL Literatur. Trotzdem fand ich es traurig, dass die alte Schaubühnengarde um Edith Clever, Stötzner, Samel etc. Straußens 80. Geburtstag im Renaissance-Theater und nicht in der Schaubühne begehen musste, dort weiß man offenbar nicht, was sich gehört, denn was wäre die Schaubühne auch ohne Botho Strauß ... Aber alles vergeht, so auch diese Zeit ...
Ich antwortete:
"Die Ehrung für Botho Strauß im Renaissance-Theater habe ich gesehen. - Hier erstmal das, was ich bei mir danach notiert habe: Dann weiter zum Renaissance-Theater. Die Veranstaltung war erschütternd! Vor allem Edith Clever: Sie sprach noch einmal ihren Anfangsmonolog der Lotte aus 'Groß und Klein' aus dem Hotel in Marokko. Als sie sagte, zitierte, 'die Menschheit würde irgendwann von der Erde wieder verschwinden', dachte ich: Ja, sie sieht doch schon sehr danach aus: ein Totenschädel schon. Ich sah ihren Kopf, die Haut schon darauf sitzend, wie ohne Fleisch, so dass man ihre Kiefer sah, insgesamt der Eindruck eines Skelett-Kopfes. Sie wird nicht mehr lange leben - nach dem Eindruck. Erschütternd. Auch das Publikum! Alles alte Westberliner, alles alt gewordene Schaubühnen-Besucher. - Hinter mir in der Schlange, als wir ins erste Foyer gingen: Gustav-Peter Wöhler, das lustige Anti-Talent des deutschen Theaters. Wie klein er ist. Ich hätte ihn mir viel größer vorgestellt. Die Täuschung durch die Bühne.
Am besten war das, was Libgart Schwarz las, über einen Füllsel-Schauspieler, der bis zur Premiere kein Kostüm bekommt und sich aus lauter Ratlosigkeit seinen ganzen Kleiderschrank-Inhalt auf- und umhängt. Das Publikum in dieser Geschichte deutet das als die Kostüme des Toten. Er hat die Aufgabe, einem Vater den Tod seines Sohnes mitzuteilen. Und dieser halbe Statist bekommt dann einen riesigen Applaus. ------ Gut auch, mit einigen Löchern, Corinna Kirchhoff. - Als dann Dörte Lyssewski am Ende etwas las, dachte ich: Sie hat eine schöne Stimme, merkte aber, dass man ihr nicht lange zuhört. Da ist ihr die Kirchhoff also überlegen, noch eben eine ältere Schule.
Auch Udo Samel sehr alt geworden. Aber ihn erkannte man wieder. - Elke Petri ist sich gleich geblieben im Ton. In der Körperlichkeit ein bißchen weniger agil natürlich. - Ihr Partner: Roland Schäfer! Nicht zu erkennen. Wie grau er geworden ist! Durch die Sprache erkennt man ihn dann. Sonderbares gehobenes Mittelmaß. Und man erkennt deutlich, wie gut Peter Stein seine Schauspieler immer eingesetzt hat; nämlich so, dass sie ihre besten Qualitäten immer einbringen konnten. Hier hingegen fehlte jede Regie. Ernst Stötzner versuchte sich an zwei gegensätzlichen Typen, einmal derb-volkstümlich, der andere beamtenartig-sachlich. Das klappte gar nicht. Hätte man ihn als Regisseur nie machen lassen. Wie gut war er, unvergesslich, als Tusenbach! Mit dem versteckten Seelenleben in sich, hinter sich. - Das ganze wirkte, sie sagten es auch selbst, wie der Rest einer zusammengehauenen Truppe. Mehrere Szenen aus 'Groß und Klein' oder 'Der Park', zum Beispiel das Streitgespräch über den Vergleich mit dem 'Etui'. Die alten Szenen, die einst gespielt worden waren, da schimmerte immer noch die Regie von Peter Stein durch. Alles neu Einstudierte wirkte oft fast schülertheaterartig.
Auch Imogen Kogge war dabei, ganz gut als alte Mutter von Udo Samel; auch in einer anderen Szene. Sie hat ja leicht etwas Volkshochschulen-Lehrerinnen-haftes an sich. Daher war sie wahrscheinlich auch gut in dem Stück, wo sie in einer Gruppe mit anderen bei einem Coach ist, im Berufsleben, wobei Guntbert Warns (der mich immer an Ernst Scrhöder erinnert) der Coach war; auch im Renaissance-Theater, aber schon vor etlichen Jahren. - Sie spielte auch im "Kirschgarten" mit; das habe ich noch gut in Erinnerung. Das erste Mal sah ich sie, glaube ich, am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. - Am Ende wurde noch eine Grußbotschaft von Botho Strauß verlesen. Warum er nicht dabei war, wurde nicht verraten. Seine Texte noch einmal zu hören, öffnete die Welt in eine Zeit der Vergangenheit, in die Zeit der 1980er Jahre, weit weg, aber auch in sich weit, wie sie damals waren. Botho Strauß als Mode-Autor, der nicht nur an der Schaubühne gespielt wurde. - 'Kaldeway Farce' sahen wir zum Beispiel im Hamburger Schauspielhaus; dessen Arbeit aber doch immer mit der Schaubühne verbunden bleiben wird. Die Galerie-Geschichte, den Titel habe ich jetzt vergessen, 'Groß und Klein', das ich nur von der Aufzeichnung her kenne, die übrigens sehr gut war; und war nicht auch 'Die Fremdenführerin' von ihm? Und natürlich 'Der Park', eine tolle Aufführung mit Schmidinger, Jutta Lampe, Bruno Ganz, Libgart Schwarz als Artistin und Peter Simonischek, der von ihrer Koprolalie spricht. Gab es nicht auch eine Schauspielerin Kraul darin? Ein bißchen bullerig, ein bißchen unfreiwillig komisch wirkend? Martina mit Vornamen?
'Trilogie des Wiedersehens' heißt das Galerie-Stück. Kenne ich auch nur aus der Aufzeichnung. Die Bühne immer von Karl-Ernst Herrmann. Dann gab es noch ein spätes Stück, dessen Bühne die Szene der 'Trilogie des Wiedersehens' wieder aufgriff. Das war so um die Wiedervereinigung herum. Titel: 'Die Zeit und das Zimmer'. --- Das Ganze war ganz gut gemacht, scheinbar ungeordnet, wie zufällig arrangiert. Man hätte das natürlich viel straffer und auch informativer machen können. Wie anders war da die Geburtstagsfeier für Will Quadflieg im Thalia Theater, ebenfalls zu seinem 80. Geburtstag. Das war keine Mumienschau! Sondern noch voller Saft und Kraft. Auch der Mitwirkenden. Und Quadflieg hatte sich da noch einiges anzuhören, von wegen wie er sich im 3. Reich verhalten habe; von dem nicht unproblematischen und nicht uneitlen Ralph Giordano. Dann war der Kabarettist Hermann Schreiber dabei, der von Quadflieg in der TV-Serie 'Der große Bellheim' erzählte, dass man immer nur ihn anschaue; dann auch Maria Wimmer, die von der direkten Nachkriegszeit erzählte. Da lag jedenfalls noch deutlich etwas vor dem Jubilar. Hier bekam man ihn nicht zu sehen. Aber vor den Mitwirkenden schien bei den meisten nur noch das völlige Vergehen zu liegen. Fast gespenstisch! --
So weit der erste Eindruck! --
Botho Strauß war DER Dichter oder Schriftsteller West-Deutschlands und West-Berlins in den 1970er und 1980er Jahren. Und so frage ich mich, ob er eigentlich ein allgemein-menschlicher Dichter oder Schriftsteller war oder eben vor allem bis ausschließlich ein Schriftsteller unserer westlichen Nachkriegswelt bis zur Wiedervereinigung.
Ja, das war UNSER Theater der 70er und 80er Jahre. --- 'Schluss-Chor' habe ich nicht gesehen. Da spielte die Gorvin auch noch einmal mit. Ihr erster und einziger Auftritt in der Schaubühne, die Schmidinger immer "Ciao-Bühne" nannte, nach dem Lokal "Ciao" gegenüber im selben Baublock. (Das gibt es aber - auch - nicht mehr.)
Übrigens, wenn ich jetzt an die Veranstaltung im Renaissance-Theater zurückdenke, sehe ich drei Dinge vor allem vor mir: Libgart Schwarz mit ihrem Monolog, rechts an der Bühnenseite sitzend; dann überhaupt diese Schauspieler halb in leichter Bewegung links, rechts und im Hintergrund; und: Edith Clever fast statisch geradeaus ins Publikum mit ihrem Monolog. Denn sie nahm sich oder gab der Sache etwas Form, die Libgart Schwartz durch ihren festen Sitzplatz ebenfalls hatte, - die Clever stand aber, an dem Tisch in der Mitte; und dann eben das Bild dieser Schauspieler, die mal da oder dort waren, als Gruppenbild aber immer ausgeglichen, wobei eben die Einzel-Leistungen schwächer waren. Es ist ja gut, wenn das Theater sich auch mal selbst feiert und damit dem sonst ja immer nur 'in Wasser Gemalten' einen Halt gibt; aber es muss dann eben auch wirklich gut gemacht werden, hier war alles auf Zufall angelegt, wie bei einer Probe. Aber eine Probe kann so wabbelig und unkonkret anfangen, aber eine gute Probe geht dann tief in medias res und schafft so Form. Das fehlte hier."
Antwort:
"Lieber Wolfgang,
diesmal will ich Dir schneller antworten, sogar unmittelbar, denn Deine Beschreibung der Ehrung für Botho Strauß spricht mir in vielem aus dem Herzen, sehr eindrücklich, wie Du Edith Clever beschreibst, auch ich hatte schon bei der Lektüre des TAGESSPIEGEL-Artikels, den ich online gefunden hatte, den Eindruck von etwas Gespenstischem. Auch schön und sehr treffend Deine Formulierung über Roland Schäfer: 'Sonderbares gehobenes Mittelmaß'. Und wie sehr die Schaubühne dann doch von Peter Stein abhängig war, so dass die Schauspieler noch Jahrzehnte später ohne ihn auf der Bühne verloren wirken."
Fotos:
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