3x RENAISSANCE-THEATER in Berlin, Teil II
Wolfgang Mielke
Berlin (Weltexpresso) - Kontrast-Programm am Folge-Tag: eine junge Sängerin (und Schauspielerin) mit Chansons, Liedern und Songs aus den 'goldenen Zwanziger Jahren' - dem perikleischen Zeitalter der Republik, wie Alfred Kerr (1867 – 1948) abschließend urteilte, jedenfalls einer stark kreativen Zeit, von der noch heute, 100 Jahre später, gezehrt werden kann.
Winnie Böwe ist die Tochter des Schauspielers Kurt Böwe (1929 – 2000), den ich als 'Theatermacher Bruscon' in Thomas Bernhards (1931 – 1989) gleichnamigem Stück in den Kammerspielen des Deutschen Theaters sah und möglicherweise auch als "Blauen Boll" von Barlach (1870 – 1938). Kurt Böwe wirkte wie eine Mischung aus Feinheit und Derbheit, schien einen urwüchsigen Humor zu besitzen, erinnerte von ferne noch an Heinrich George (1893 - 1946), auch wenn er dessen Volumen höchstens andeutete. - Heidemarie Böwe (*1941) war ursprünglich auch Schauspielerin, wurde dann Dramaturgin und Hörspielautorin, die beim Radio der DDR, später beim MDR tätig war. - Eine Schauspieler-Familie also. - Auch die ältere Schwester von Winnie Böwe, Susanne Böwe (*1964) ist Schauspielerin und auch Hörspielsprecherin; verheiratet mit Peter Kurth (*1957), der seinen Durchbruch als 'Liliom' im Hamburger Thalia Theater hatte.
Als sie auftritt, denke ich für einen Moment an Käthe Dorsch (1890 – 1957), die ebenso wie Winnie Böwe vom Gesang zum Schauspiel kam und zuerst eine erfolgreiche Operetten-Diva war. Die Dorsch spielte auch, gegen Ende ihres Lebens, im Renaissance-Theater, wenn noch ein zusätzlicher Bezug nötig wäre.
Winnie Böwe tritt mit drei Begleitmusikern der Staatskapelle Berlin auf: mit Alf Moser am Kontrabass; mit Matthias Samuil am Flügel; und mit dem Klarinettisten Matthias Glander, der auch einen Teil der Ansagen spricht. Jeder dieser Musiker hat auch eine Solo; aber sie alle zeigen in jedem Stück, was sie können und dass sie etwas können. - Mit Winnie Markus bilden sie ein schön ausgewogenes Quartett. - Was singt Winnie Markus? Das Gebotene teilt sich, vereinfacht, aber auch damit die Übersicht fördernd, gesagt in zwei Richtungen: Auf der einen Seite die Eleganz, der Witz, das Künstlicher und, wenn man so will, das Hoheitsvolle – verkörpert durch Fritzi Massary (1882 - 1969), Marlene Dietrich (1901 - 1992) oder Lotte Lenja (1898 - 1981); und dann auf der anderen Seite eher volkstümliche bis krude Töne – die von Claire Walldoff (1884 - 1957) und Otto Reutter (1870 - 1931) stammen.
Dabei scheint sie sich besonders bei den volkstümlichen Tönen wohl zu fühlen. Hier braucht sie keine Verrenkungen zu machen. Dabei gelingt ihr auch hier Wichtiges, Beachtliches: Den Song der 'Seeräuber Jenny' habe ich von etlichen weiblichen Interpreten gehört, - aber auch von einem 'marlenisch' auftretenden männlichen, nämlich von Georgette Dee (*1958) -, aber noch niemals alle Strophen des Textes so sauber und klar verstanden! - Überhaupt erweist sich Winnie Böwe als gute Sprecherin! - Mehrmals zieht sie sich nach Stücken kurz zurück und überlässt den Musikern das Feld. George Gershwin (1898 - 1937) ertönt gleich ziemlich zu Anfang des Konzerts in so einer Lücke mit der "Rhapsodie in Blue" und dem "Amerikaner in Paris". - Dann kommt Winnie Böwe zurück auf die Bühne, gute Laune verbreitend, gelegentlich umgezogen, dem Inhalt des Programms entsprechend. - Friedrich Holländers (1896 - 1976) Lieder aus dem "Blauen Engel" (1929/1930) für Marlene Dietrich "Ich bin die fesche Lola" und "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" fehlen nicht. - Dazu passt natürlich Claire Waldoffs "Nach meine Beene is ja janz Berlin verrückt". - Einmal setzt Winnie Böwe ein wohlüberlegte, ebenso intelligente wie originelle Geste – aber die wird hier nicht verraten – das muss man sich anschauen. - Es lohnt sich jedenfalls. Es ist ein Abend, der, gelegentlich durchwachsen, zu einigen schönen Höhen aufsteigt.
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