Christian Schwochow inszeniert „Glückliche Tage“ mit Dagmar Manzel am Deutschen Theater
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Bei einem minimalistischen Stück mit nur zwei Figuren und einer festgelegten Szenerie sollte ein Regisseur eigentlich nicht viel falsch machen können, würde man annehmen. Aber vielleicht liegt darin gerade die Krux: Dass geringe Interpretationsspielräume einen Regisseur umso eher in Versuchung bringen, mit Neuerungen auf sich aufmerksam zu machen.
Jedenfalls hat es Christian Schwochow, bekannt vor allem als Filmemacher (Paula, Die Unsichtbare), in seiner jüngsten Arbeit am Deutschen Theater in Berlin fertig gebracht, Becketts „Glücklichen Tagen“ ein stückweit das Groteske auszutreiben. Denn gespielt wird hier ohne jenen Sandhügel, in dem Winnie gewöhnlich eingebuddelt ist, im ersten Akt bis zur Hüfte, im zweiten dann bis zum Kopf. Der Regisseur platziert seine Heldin nüchtern auf einem Stuhl. Dieser befindet sich in einen mit hohen, schwarzen Spiegelwänden ausgestatteten Allzweckraum (Bühne: Anne Ehrlich). Wiewohl ungleich eleganter, weckt er – unter dem Eindruck des Sounddesigns- entfernt Assoziationen an einen Luftschutzbunker, ertönen hier doch dann und wann alptraumhafte sirenenartige Schreie anstelle der gewöhnlichen Wecker-Klingelzeichen, die dem Kammerspiel seine zeitliche Struktur geben, zudem vernimmt man in der kurzen dunklen Pause zwischen den beiden Akten Geräusche, die an Fliegeralarm erinnern und akustisches Dröhnen wie vom Bombenhagel.
Assoziationen an einen Kriegszustand stellen sich also unweigerlich ein, dies aber ohne jegliche inhaltliche Bezugspunkte zum Stück. Den einzigen Anknüpfungspunkt bietet mithin eine etwas unheimliche, alptraumartige Atmosphäre.
Bleibt Dagmar Manzel, die zum Glück den hohen Erwartungen an ihre Rollendarbietung gerecht wird, vor allem den himmlischen Humor ausstellt, der ihr dabei hilft, ihr ödes, sinnloses, unbewegliches Dasein zu verkraften und den Vergleich mit anderen großen Darstellerinnen nicht zu scheuen braucht, auch wenn Jutta Lampe am Berliner Ensemble vor mehr als zehn Jahren noch etwas schräger wirkte.
Was steht da doch gleich auf dem Beipackzettel einer der Utensilien, die Winnie dabei helfen, sich – und sei es noch so alltäglich und banal- fortwährend zu beschäftigen, um nicht in Langeweile dahinzuvegetieren? „Voll garantierte, echte, reine…..?“ Manzel setzt sich die Brille auf, kann dieses seltsame Wort immer noch nicht entziffern. Sie versucht es nochmal, nimmt schließlich eine große Lupe zur Hand. Jetzt kommen wir der Sache näher: „Voll garantiert, echte, reine…..Barchborsten!“
Für diesen Satz alleine liebe ich Beckett! Was für ein unverwechselbarer, origineller Humor!
Mann Willie (Jörg Pose), der im Nebenzimmer Zeitung liest, Winnies Selbstgespräche überwiegend maulfaul überhört und gelegentlich mit klaffend-blutiger Glatzenwunde in den Türspalt kippt, wird in einem seiner wenigen Sätze erklären, was das ist, ein Barch: „ein kastriertes männliches Schwein, zum Schlachten gemästet“. Dann entgegnet Winnie, was sie gebetsmühlenartig immer wieder sagt: „Dies wird ein glücklicher Tag gewesen sein.“
Besonders witzig freilich mutet das clowneske Mini-Hütchen mit Federn an, das sie sich aufsteckt, um sich –ja was denn eigentlich- aufzuhübschen? Der Alte schaut sie sowieso kaum noch an, ansonsten keine Menschenseele weit und breit.
Einfach herrlich, wie all die Kuriositäten dieses Endlosmonologs aus Dagmar Manzel heraussprudeln, mal eindrucksvoll virtuos, mal so leise, dass man die Ohren spitzen muss, mal mit Nachdruck, wenn sie den offenbar nicht nur maulfaulen, sondern auch sehr schwerhörigen Willie anspricht.
Der Moment, in dem Winnie eine „Emse“ entdeckt, die einen weißen Ball mit sich schleppt, ein Ei, wie von Willie lakonisch angemerkt, flaut hier ein wenig ab, er hätte stärker gewirkt, hätte Manzel das mutmaßliche Insekt in der Erde entdecken können.
Aber für einen starken Schauspielerabend taugt diese Produktion dann doch. So vielseitig wie Manzel, in Berlin auch gefeiert als Operettenkönigin, sind nur wenige. Die Winnie ist eine neue Paraderolle für sie.
Foto: Dagmar Manzel (c)