Anselm Weber und Marion Tiedtke wollen Theater für und über Frankfurt machen, Teil 1/2

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die künftige Frankfurter Schauspielintendanz hat sich am 25. April mit ihrem Selbstverständnis und ihrem ersten Programm vorgestellt.

Und beide vermitteln den Anschein, dass der Wechsel von Oliver Reese zu Anselm Weber nicht von Improvisationen geprägt sein wird, sondern auf der Basis einer zweijährigen detaillierten Planung. Für die Spielzeit 2017/2018 warten Weber, seine Chefdramaturgin und Stellvertreterin Marion Tiedtke sowie die Theaterpädagogin Martina Droste, die dem Haus erfreulicherweise erhalten bleibt, mit 31 Stücken auf. Das bedeutet 16 Premieren, 8 Uraufführungen und 7 Übernahmen vom Schauspielhaus Bochum (wo Anselm Weber derzeit noch Intendant ist).

Das feste Ensemble umfasst 28 Schauspieler. Sechs davon sind dem Frankfurter Publikum aus der Ära Reese wohlbekannt: Katharina Bach, Claude de Demo, Isaak Dentler, Heidi Ecks, Christoph Pütthoff und Peter Schröder. Aus Bochum begleiten Anselm Weber die Schauspieler Torsten Flassig, Sarah Grunert, Katharina Linder, Nils Kreutinger, Matthias Redlhammer, Michael Schütz und Luana Velis.
Über die Hälfte der Ensemblemitglieder kommt neu nach Frankfurt. Die meisten waren in großen Häusern engagiert wie die Schauspielerinnen Patrycia Ziolkowska und Christina Geiße vom Thalia Theater, Friederike Ott vom Residenztheater München oder André Meyer, ehemals Burgtheater Wien.
Zu den 21 Gästen zählen u.a. so namhafte Darsteller wie Friederike Becht, Bernd Grawert, Mechthild Grossmann, Wolfram Koch, Max Simonischek, Jana Schulz, Werner Wölbern und die vormals hier fest engagierten Paula Hans und Max Mayer.

Chefdramaturgin und Stellvertretende Intendantin wird Marion Tiedtke sein. Bis zu ihrem Wechsel in die neue Position war sie zehn Jahre Professorin für Schauspiel und leitete den Ausbildungsbereich Schauspiel an der HfMDK. Der Dramaturgie gehören ebenfalls an Konstantin Küspert (bisher Dramaturg am Badischen Staatstheater), Alexander Leiffheidt (er kommt vom Schauspielhaus Bochum), Ursula Thinnes (vom Saarländischen Staatstheater) und Judith Kurz als Dramaturgieassistentin.

WIR prangt in verschiedenen Sprachen auf dem grafisch anspruchsvoll gestalteten Spielzeitmagazin. Dieses eine Wort gibt der anstehenden Spielzeit ihr Motto. Denn das künstlerische Konzept und die Auswahl der Stücke wollen die Grenzen unseres Zusammenlebens ausloten und sich mit den Rechten, Regeln und Werten der Gesellschaft auseinandersetzen. Die im September beginnende Spielzeit und die ihr folgenden Saisons werden zusätzlich getragen von Projekten, die mit Vernetzung, Internationalität, Partizipation und Integration überschrieben sind.

Vernetzung meint den offenen Dialog und die Kooperation mit verschiedenen Partnern in der Stadt. Die Kooperation mit der Oper Frankfurt beginnt mit Anselm Webers Inszenierung von Anna Seghers »Das siebte Kreuz«; die Premiere ist für den 27. Oktober dieses Jahres angekündigt.
Im Frühjahr 2018 wird das Schauspiel Frankfurt eine dreijährige Zusammenarbeit mit dem das Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt a.M. beginnen. Dabei wird das britische Künstlerkollektiv »Forced Entertainment« ein neues Ensemblestück im Bockenheimer Depot uraufführen.

»Stimmen einer Stadt« heißt die neue monodramatische Serie über das Leben in Frankfurt, die mit dem Literaturhaus Frankfurt am Main gestartet wird. In drei aufeinanderfolgenden Spielzeiten werden immer drei Autoren jeweils ein Monodrama schreiben, das am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt wird und die Biografie eines Frankfurter Lebens zum Thema hat. Ziel des Formates ist es, ein literarisch-dramatisches Kaleidoskop der Stadt zu schaffen. Die Monodramen verfassen in der kommenden Spielzeit drei Autoren, die alle zum ersten Mal für das Schauspiel Frankfurt schreiben: der aus Frankfurt stammende Georg-Büchner-Preisträger Wilhelm Genazino, die Adelbert-von-Chamisso-Förderpreisträgerin Olga Grjasnowa und die aus Wien kommende bildende Künstlerin und mehrfach ausgezeichnete Autorin Teresa Präauer.

Im Rahmen des »Studiojahr Schauspiel« absolvieren acht Schauspielstudierende der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt ihr drittes Ausbildungsjahr am Schauspiel Frankfurt. Sie werden in Produktionen des Spielplans zu sehen sein und durch eigene Formate das Programm ergänzen.

Das Schauspiel Frankfurt arbeitet (auch weiterhin) mit internationalen Regisseuren zusammen. So mit dem ungarischen Theaterregisseur Viktor Bodó, mit der in den Niederlanden lebenden Regisseurin Daria Bukvić und mit dem serbischen Regisseur Miloš Lolić.

Unter dem Stichwort „Partizipation und Integration“ beginnt das Schauspiel Frankfurt sein bisher größtes kulturelles Bildungsprojekt für 220 Jugendliche in drei Stadtteilen. Das Projekt trägt den Titel »All Our Futures«. Im Mittelpunkt steht die Zukunft der Stadt bzw. die Zukünfte ihrer jungen Bewohner. Es soll Jugendlichen Gelegenheit geben, ihre eigene Stimme zu finden und gemeinsam zu erforschen, nach welchen Regeln und mit welchen Freiheiten sie künftig leben möchten. Künstler aus verschiedenen Bereichen begleiten die Jugendlichen auf diesem Weg zusammen mit Pädagogen von unterschiedlichen Schulen.

Neu werden die X-Räume sein, eine Art interaktives Forum in drei Bereichen: Denkraum, Freiraum und Spielraum. Unaufwendig, nah und unmittelbar, diskursiv und spekulativ, noch persönlicher und experimenteller, ideeller und idealistisch, bisweilen spontan oder provokant will das Theater seinem Publikum begegnen.


Es folgt Teil 2: Der Spielplan

Foto:  (c) Sandra.Strohonja, buehnen-frankfurt.de