Serie: Drei Jubiläumsausstellungen: 150 Jahre Gustav Klimt in Wien, Teil 4
Claudia Schulmerich
Wien (Weltexpresso) – Vielleicht ist dann Abteilung 5 mit SECESSION 1897-1903 die interessanteste, weil man hier genau verfolgen kann, wie Zensur eingriff. Man sieht die Originalzeichnung Klimts 5.1 für das Ausstellungs-Plakat, das einem bekannt vorkommt. Man sieht als 5.2 den ersten, noch identischen Druck und dann als 5.3 das verwendete und zensierte Plakat, wo im Oberteil das zuvor deutlich hängende Gemächt des Mannes durch dicke Baumstämme verdeckt ist, Nacktheit also durch Natur ‚veredelt‘ wird, der Mann deshalb geschlechtslos wird.
5.4 ist dann als Ölgemälde die Pallas Athene von 1898, die als Schutzgöttin der Wiener Secession wie für die der Münchner ihr Haupt herhalten sollte, das schon in der Antike mit der Doppelbedeutung von Weisheit und abwehrender Kraft versehen, diente. Auch Klimt verleiht ihr die Ägis, ihr Schutzschild mit dem apotropäischen Medusenhaupt, das hier zusätzlich die Zunge herausstreckt. Provokant. Frech. Aber alles läßt sich der gemaßregelte Klimt nicht gefallen. Da geht es um die Zwischenstufen, über die er verfügt.
Über die Fakultätsbilder in der 6. Abteilung weiß der Besucher sicher das wenigste, weil PHILOSOPHIE, MEDIZIN und JURISPRUDENZ zwar bestellt, aber nicht akzeptiert wurden. Sie allerdings zeigen hier in vielen vielen Studien, daß es genau der Klimt des Beethovenfrieses ist, der sich hier herausschält. Das zeigen zum 7. dann die FIGURENSTUDIEN, die in einer Breite von 1898 bis 1917/18 zeigen, wie sehr Klimt Ausdruck und Ornament vereinen kann. Darunter auch die Kompositionsstudie für Familie von 19098/09, wo man sofort das Schiele-Werk, das im Belvedere Artikel gezeigt ist und wovon es ähnliche Zeichnungen gibt, vor Augen hat. Hier sind auch die Zeichnungen zu den berühmten Darstellungen versammelt, auch die EVA oder die BRAUT.
Ähnlich ist es mit dem 8. Teil, den PORTRÄTS von 1883-1917/18, wo Sie die Studien sehen zu Sonja Knips, Serena Lederer, Hermine Gallia, Fritza Riedler und vor allem fünf Studien zu Adele Bloch-Bauer. Daß diese alle dem Wien Museum gehören, ahnten wir nicht und staunen ob dieser Fülle. Die Akte und erotische Damen nehmen unter Klimts Zeichnungen ein Viertel ein und sind hier ebenfalls ausführlich zu sehen. Da geht es nicht nur um die bekannten Bilder, sondern man hat Muße, seiner Strichführung zu folgen. Oft sind es nur ein paar Striche, aber man fühlt sofort, wohin das führt. In dieser Ausstellung ist es gerade das Nichtvollendete, was begeistert, weil man sich im Prozeß der Entstehung fühlt. Hierher gehören auch die vielen Darstellungen der WASSERSCHLANGEN, während dem Abschluß als 10. Teil die LIEBESPAARE gelten, mit vielen Studien, aber auch dem KUSS von 1907/08. In der Zeichnung erleben wir diese einhüllende Einheit von Menschen und dann zusätzlich noch im Ornament genauso, wie Gustav Klimt sie dann in Öl in den Maßen gewaltiger ausführte.
Nicht vergessen wollen wir übrigens, zu erwähnen, wie sehr die abgedunkelte Ausstellung – die Zeichnungen erfordern das einfach – doch etwas Weihevolles erhält, was ja auch angesichts einer solchen Lebensleistung, die die spanische Grippe 1918 jäh abbrach, sich angemessen anfühlt. So rührt einen auch die gleich am Anfang sichtbare Zeichnung von Egon Schiele am Totenbett Klimts, die er anfertigte, ohne zu wissen, daß er selbst kurz darauf an derselben Epidemie sterben würde und seine Frau Edith auch. In Verbindung mit Klimts Totenmaske und seiner Arbeitskleidung ist das ein starker Auftakt der Ausstellung.
Die andere Seite zeigt dann der Schluß: herrlich spöttisch aufbereitet, wird die Kitschlawine vorgeführt, die mit Klimt in Wien losgetreten wurde, was das Wien Museum durch einen Aufruf, die kitschigsten Klimtdevotionalien zur Verfügung zu stellen, zusätzlich befeuerte. Diese witzigen, scheußlichen, schönen Gegenstände wären eigentlich einer eigenen Ausstellung wert, weil sie hier angesichts der Bedeutung der Originale doch nur als Zusatz wahrgenommen werden, aber eigentlich als soziologisch aufbereitete Schau einen eigenen Wert haben. Die Idee des KLIMTISIERENS auf jeden Fall ist hinreißend, wie es auch – ein ähnlicher Fall – in Dresden die Raffael-Madonna traf, vor allem die beiden Engelchen zu ihren Füßen, die einen Devotionalienhandel wie zu Zeiten des Ablasses anfingen. Was übrigens dem Kunstgenuß der eigentlichen Werke keinen Abbruch tut. Weder in Dresden noch in Wien.
P.S. Warum wir das berühmteste Werk der Sammlung, das Ölgemälde seines Lebensmenschen Emilie Flöge aus dem Jahr 1902 und wirkich hinreißend, das in der Ausstellung steht, nicht erwähnten, mag damit zusammenhängen, daß wir stark auf seine Entwicklung eingegangen sind. Überhaupt müßte man zur Beziehung der beiden einen eigenen Artikel schreiben, so differenziert, sowohl eng wie auch weit, muß man die beiden wohl sehen. Sie auf jeden Fall war eine eigenständige Frau und er ein absoluter Weiberheld. Daß er auch Katzen liebte, macht das erträglicher.
Bis 7. September
Katalog: Klimt. Die Sammlung des Wien Museums. Verlag HatjeCantz 2012. Eine Würdigung folgt.