Ein Frühinitiierter der fotografischen Avantgarde der 20er und 30er Jahre lässt erstaunen: Jaromír Funke
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Kürzlich lautete eine Zeitungsüberschrift: Die Wiedergeburt des Analogen. Dieses Analoge kann nun auch in einer Frankfurter Ausstellung nachvollzogen - wiedererinnert werden. Die Ausstellung ‚Jaromír Funke - Fotograf der Avantgarde‘ kommt für eine Retrospektive gerade zur rechten Zeit.
Denn sie deutet schon im ersten Besehen etwas von der unbezweifelbaren Überlegenheit eines Grauwertes an. Grauwert heißt Zwischenwert. Darüber wurde schon immer mal sinniert, ohne den Ansatz überhöhen zu wollen. Es gibt den gravierenden Fehlschluss des Fortschrittdenkens: dass alles nur immer besser werde und alles Seitherige per Automatik dazu verdammt sei, obsolet zu werden.
Vor nicht geraumer Zeit entstand ein Disput mit einem Frühlebenszeitkameraden, der sich längst konservativ orientiert hat und der 68er-Kritik die Meinung entgegensetzt, dass doch alles immer besser werde, dass früher eben in schwarz-weiß fotografiert worden sei, jetzt aber alles in Farbe gemacht werde. Diese kleine geschichtsmetaphysische Logik wollte er auf die gesamte Entwicklung vergangener Jahrzehnte übertragen. Mein Einwand musste lauten: dass im Gang der Verhältnisse doch auch vieles verschlimmbessert werde.
Analog ist nicht abgetan
Eine Entität des Analogen meldet sich auch anderweitig zurück. Bands, ältere wie jüngere, bringen neue Alben gleichzeitig mit ihrer neuen CD auch in Vinyl heraus, sofern sie es nicht immer schon taten, ohne dass es sonderlich auffiel. Ausnehmend hochwertig hergestellte ältere Fotos überzeugen gerade durch eine überlegene Schwarzweißhaftigkeit. Die Fotos über das studentische Milieu von Barbara Klemm werden gerne immer wieder zum plötzlichen Erlebnis auf dem Tiefbahnsteig der U-Bahn-Station Frankfurt-Bockenheimer Warte.
In Farbe wird heutzutage massenhaft Billiges produziert und daher auch als billig erlebt, obwohl es auch anders ginge. Ausstellungskataloge werden schlampig hergestellt, die Reproduktionsweise untersteht dem Diktat der Kosten-Nutzen-Rechnung. Eine Ausnahme bilden die Katalogbände der Büchergilde Gutenberg.
Von einem, der zur Vorhut wurde
Der Fotograf Jaromír Funke (1896-1945) entwickelte sich zum Vertreter der internationalen Avantgardefotografie, die sich Impulsen aus Kubismus, Neuer Sachlichkeit, Abstrakter Kunst und Surrealismus öffnete und damit hochrangige Fotos in schwarz-weiß schuf. Funke hatte sich zunächst einige Semester Medizin, Jura und Philosophie angedeihen lassen. Nach dem Ersten Weltkrieg - der für die Kunst initiatorische Folgen zeitigte -, widmete er sich mit Überzeugung dann den Fotografien der hochwertigen Silbergelatineabzugstechnik. Ab 1923 erblickten seine frühen Arbeiten einer Fotografischen Avantgarde-Moderne das Tageslicht.
Funke erschuf eine Typologie von eigentümlichen Ansichten auf Gegenstände. „Minimalistische Kompositionen mit Tellern und Glasflaschen, Stillleben mit Glasobjekten, Glühlampen und Seesternen. Immer aufs Neue experimentiert Funke mit Spiegelung, Transparenz und Reflektion – und hinterfragt die Wahrnehmung des Betrachters“, so informiert das Fotografie Forum Frankfurt zur Ankündigung der Ausstellung in der Frankfurter Brauchbachstraße 30-32. Jaromír Funke war in vielfacher Weise ein Pionier und Vorantreiber der neuesten fotografischen Technik und ihrer Anwendungen. Und parallel auch nicht nur ein emsiger Autor und Herausgeber zur Sache der Kunst-Fotografie, sondern auch ein Lehrer für Fotografie. Er lehrte unter anderem an der Staatlichen Kunsthochschule Prag. Funkes Arbeiten, die mit Schatten spielen, flossen in die Bühnenbildästhetik ein.
Auf dem Weg in die Abstraktion
Die Ausstellung zeigt auch die Abstrakten Fotos, in denen Funke von den Gegenständen abrückt und sich nur noch auf deren Schatten bezieht. Das Foto wird auf diese Weise zu einer Komposition der abstrakten Andeutungen. Ein wenig auch erinnert dies an die Technik des Fotogramms, wenn auch nur bedingt, denn dieses war doch zu schematisch angelegt und von anderer Herstellungsart. Im Fall des Fotogramms werden von einer ausgedehnten Lichtquelle beleuchtete Objekte direkt vor einen lichtempfindlichen Film gebracht. Durch Belichtung entsteht eine Form, die sehr anagrammatisch wirkt und einer Verrätselung der Objekte gleicht, ohne dass die Gegenstände aber gänzlich aufgegeben würden.
Zunächst huldigte er nach dem Abitur noch den beliebten Landschaftsaufnahmen eines ‚romantischen Piktorialismus‘, mit dem die symbolischen Darstellungen von Gemütszuständen und werthaften Paradigmen der Kultur eine wesentliche Funktion einnehmen (bis zum Ersten Weltkrieg). Ab 1923 aber wurde er eindeutig modern mit minimalistischen Kompositionen, die schon Vorstufen von später noch viel weiter getriebenen abstrakten Bildern waren. Die Fotografie aber bleibt - entsprechend ihrer Abbildfunktion - einem profaneren Universum von der Möglichkeit nach immer noch realen Objekten der Alltagswelt verpflichtet.
Auf Technik kommt es an
Prägend für das Verständnis der Arbeiten Funkes sind die Mittel ihrer Erzeugung, einerseits durch den Silbergelatineabzug, andererseits durch das Druckverfahren des Pigmentdrucks, auch Kohledruck genannt, der aber an Aktualität verlor, wie später auch die Stereotypie, die illusionär blieb. Doch ist das Pigment auch etwas, das der heutigen Farbfotografie abgeht. Was den Silbergelatineabzug angeht, ist das AgfaPhoto APX 100 professional noch erhältlich. Zur Wiederbelebung der SX 70, der Vintage Polaroid Sofortbildkamera, wurde vor kurzem das verlorene Filmrezept-Knowhow aufwendig aus verstreuten Komponenten gleichsam im Recyclingverfahren zusammengekauft und ist wieder erhältlich. Vordigitale Techniken sind also keineswegs gestorben. Digital allein ist wohl auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Beim Gang durch die Ausstellung fällt unter anderem auf, dass die Schwarzweiß-Fotografie sich vorzüglich für die Wiedergabe und gleichsam einer Apotheose von genial erdachten und ausgeführten Treppenhäusern und Gebäuden der klassischen Architekturmoderne eignet. Schlichtheit und Klarheit, gepaart mit etwas kargem Geist, sind eben doch nicht passe. Aber selbst die oft so schreckliche Werbung könnte besser sein, wenn Schläuche nach der Art von Jaromír Funke beworben würden; wenn sie sich an der ‚Spirale‘ von Jaromír Funke aus dem Jahr 1924 orientieren könnten. Vor Jahren hatten Werbung und Kunst noch mehr Berührungspunkte. Heutzutage ist das wilde Montieren gebräuchlich. Der Computer ermöglicht es.
Foto:
© Miloslava Rupešová-Funková / Jaromír Funke
Info:
Ausstellung ‚Jaromir Funke‘, Fotograf der Avantgarde, Fotografie Forum Frankfurt, Frankfurt am Main-Innenstadt, Braubachstraße 30-32, Nähe Römer
Mit im Angebot: „Im Dialog mit Jaromír Funkes Fotografien präsentiert die Photography Players-Ausstellung »Opava School. NahSichten« zeitgleich aktuelle zeitgenössische Tendenzen aus Tschechien“.