GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT .Künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989 in der Berlinischen Galerie

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Eine der tollsten Foto-Ausstellungen, die wir je sahen. Das müssen wohl auch die Massen so eingeschätzt haben, mit denen wir uns durch die doch großen Hallen wälzten. Doch – wir waren erstaunt – die waren im Gegensatz zu uns fast durchweg aus dem Osten und völlig begeistert, von dem was sie sahen, weil sie auch ein Bild der DDR sahen, von dem die Wessis wenig ahnen, sich wohl aber auch nicht eines Besseren belehren lassen wollen.

 

Das fing gleich am Anfang an. Eigentlich machen wir immer erst einen schnellen Rundgang, um im Überblick zu sehen, was uns erwartet. Aber diesmal sind wir – fast aus Versehen – in den Raum zur Linken gleich am Eingang, wo Filme von und über die ausgestellten Fotografen vorgeführt wurden. Der über die Fotografinnen war so stark, so informativ, so kraftvoll, so voller Lebenslust und Lebensüberblick, daß wir ihn zu Ende sahen und den nächsten gleich mit. Diesmal fängt also unsere Rundgangsempfehlung mit den Filmen an. Wir haben nämlich von den vorgestellen Fotografinnen eine so starken Eindruck empfangen, daß wir anschließend ihre Bilder mit ganz anderen – sehr viel persönlicheren – Augen ansahen.

 

Im ersten Film ging es vorwiegend um Fotografinnen, die Frauen in Akten abbildeten, überhaupt Körper oder auch Mode und die FKK-Szenerie. Schnell wird deutlich, daß körperliche Nacktheit nichts Degoutantes oder Überhöhtes als Empfindung hervorruft, sondern aus einem viel sinnlicherem Verständnis vom Menschen, das diese Fotografinnen hatten, erwächst als es vergleichsweise in der BRD der Fall war, wo Fotografinnen genug damit zu tun hatten, die gesellschaftlichen Mißstände zu dokumentieren.

 

Eigentlich geht es der Ausstellung dann um Zweierlei. Zum einen zum ersten Mal in derartiger Dichte eine Dokumentation dessen vorzulegen, was Fotografie in der DDR geleistet hatte, also Traditionslinien herausarbeiten und fotografische Strömungen festhalten.. Und zum anderen aufzuzeigen, welche Veränderungen sich in Bildsprache und Themen ergeben haben. Es ist also tatsächlich eine Retrospektive geworden, die per ausgestellten Fotografien mindestens dreierlei zeigt: die Menschen, eine Gesellschaft und ihren Staat, die Deutsche Demokratische Republik.

 

Wir sind mit offenen Augen einfach die Reihen entlang gegangen und sind mal mehr mal weniger lange vor den Fotografien stehen geblieben. Länger immer bei denen, die wir schon im Film erblickt hatten. Aber aufmerksam. So haben wir auch sieben Fotografinnen entdeckt. Viel, wie wir finden und doch die Übermacht der 28 Kollegen – nach unserer Zählung. Darauf, geschlechtsspezifisch zu gucken, was ja ganz und gar nicht Thema der DDR war, darauf hat uns natürlich der hinreißende Fotografinnenfilm gebracht.

 

So viele einzelnen Bilder kann man nur mit Oberbegriffen beikommen. Dabei hilft die Ausstellungskonzeption, die drei Kapitel vorschlägt (vgl. Katalog) : Im erste Kapitel handeln die Fotos von der sozial engagierten Fotografie. Die Fotografen wollen ein möglichst zutreffendes Abbild der Wirklichkeit liefern und fotografieren das, was ihnen eine Aussage über die gesellschaftlichen Verhältnisse zu sein scheint. 11 Fotografen sind hier ausgestellt, unter ihnen gleich vier Fotografinnen, was zeigt, wohin Frauenauge durch die Kamera blickte.

 

Das zweite Kapitel will die formale Seite ansprechen, nämlich inwieweit die 1950er Jahre an die Bildsprache der Moderne der 20er Jahre anknüpft, sich dann aber verliert, weil Form als Formalismus gebrandmarkt, ja denunziert, nicht im gesellschaftlichen Interesse stand. Erst seit der Mitte der 50er Jahre waren ästhetische und formale Fragen wieder angesagt und führten zu interessanten Lösungen. Bei den acht ausgestellten Fotografen findet sich hier keine Frau.

 

Der große dritte Teil der Ausstellung zeigt die Vielfalt, die sich junge Fotografen dann erlaubten, in dem sie das normale Leben, ihre eigenen Gefühle und Erwartungen darstellen. Sie wollten weder einen von ihnen nicht als fortschrittlich eingeschätzten Staat verherrlichen, noch über Provokationen dessen Entrüstung hervorrufen, sondern taten (fast), was sie wollten. Hier erhält der Körper eine eigene gesellschaftliche Kraft und das Individuum wird sich selbst genügen. Das heißt, die Menschenfotografie hat nicht mehr dokumentarischen Charakter oder dient einer Überhöhung, sondern stellt dar, seien es die vielen Aufnahmen, die Helga Paris von sich selber macht, sei es die Inszenierung, mit der Sven Marquard Geschlechter inszeniert.

 

 

Bis 28. Januar

 

Katalog:

Geschlossene Gesellschaft. Künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989, Hrsg.: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Kerber Verlag 2012

Zuerst einmal muß man dem 350 Seiten starken Band ganz ohne inhaltliche Begründungen konstatieren, daß er von schlichter und außerordentlich ästhetischer Art ist. Mag sein, daß die – nicht durchgängige - Schwarz Weiß Fotografie daran 'schuld' ist, daß jedes einzelne Foto so edel wirkt. Hinzukommt, daß die Fotografien – in Serien in gleicher Größe – auf großzügigem Chamois viel Platz erhalten und durch dieses Passepartout manchmal fast eine Sakralisierung erhalten.

 

Als Prolog sollen unsere Augen sehen, was auch in der Ausstellung am Anfang steht: die von Richard Peter Sen. Und Karl Heinz Mai zwischen 1946 und 1949 aufgenommenen Kriegszerstörungen von Berlin und sowohl die beschädigten Menschen, wie auch die „trotzdem!“. Das das alles Frauen sind, Trümmerfrauen, das verstärkt den Eindruck der gesamten Ausstellung, daß die DDR eben auch ein Land der Frauen war. Erst dann folgen Vorwort und Einführung, die man nach diesem Auftakt viel aufmerksamer als sonst liest.

 

Drei Autoren stellen sodann in Blöcken mit Überschriften wie Realität, Engagement, Kritik oder Montage, Experimente, Form sowie Medium, Subjekt Reflexion die von ihnen so zugeordneten Fotografen – insgesamt - vor, wobei zuerst ein kurzer Essay erfolgt, der auch erklärt, warum die Fotografen so zugeordnet wurden und sodann jeder der Fotograf mit Lebensdaten vorgestellt wird, denen seine ausgewählten Fotos folgen.Ab Seite 258 folgen fünf übergreifende Einzelthemen wie: „Viermal um den Block. Alternatives Publizierungen von Fotografie in der späten DDR und eine Chronologie sowie ein Glossar.

 

Der zweisprachige Katalog – auch in Englisch – ist damit von der Ausstellung fast unabhängig zu einer eigenen Größe geworden, die jeder sehr gut brauchen kann, der sich mit Fotografie oder DDR beschäftigen.

 

 

Foto: Jens Rötzsch

Berlin (Ost) 1989– Pfingsttreffen der FDJ – Stadion der Weltjugend

 

 

www.Berlinischegalerie.de