Serie: 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur im Neuen Museum, Museumsinsel Berlin, Teil 1/2

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Feinsinnig und richtig, wird hier von den RUSSEN UND DEUTSCHEN gesprochen, also von den Menschen und nicht von ihren staatlichen Gebilden. Denn vor 1000 Jahren gab es noch kein Deutschland, aber die Russen hatten damals schon ihre staatlichen Vorläufer in der Kiewer Rus und später im Großfürstentum Moskau.

 

Außerdem geht es der Ausstellung in der Hauptsache nicht um staatliches Handeln, sondern um die gesellschaftlichen und menschlichen Begegnungen beider Völker und dem, was sich über Jahrhunderte daraus an Geben und Nehmen ergab.Der Ort der Ausstellung, das Neue Museum, das erst seit Oktober 2009 wieder geöffnet ist, hatte gerade erst im zweiten Stock eine weitere große Ausstellung 'abgewickelt', wo man erfolgreich nur mit vorheriger Kartenbestellung auch ins Museum kann, und hat in dem Bau, das auch das Ägyptische Museum beherbergt, die Jahrhundertausstellung über Nofretete vor sich.

 

Die Berliner Ausstellung folgt der vom 21.6. bis 25.8. 2012 im Staatlichen Historischen Museum in Moskau gezeigten und gemeinsam erarbeiteten Ausstellung. Der Untertitel, der drei Begriffe umfaßt, hat auch damit zu tun, daß sich die Beziehungen ja erst entwickeln können, wenn Kontakt herrscht, was sich in Geschichtsereignissen und Geschichtsdaten niederschlägt, diese Beziehungen aber in der Ausstellung hauptsächlich an Kunstgegenständen gezeigt werden, und im weiteren an Gegenständen, die man gemeinhin mit kulturellen Belangen bezeichnet.

 

Es ist über die Gegenstände hinaus aber – das kann man den Tafeln an den Exponaten entnehmen – eine Ausstellung, die ideengeschichtlich und psychologisch nachfragend das Verhältnis der Deutschen zu den Russen und umgekehrt mittels Materie einfangen will. Das ist nicht einfach, wenn ein Stück Holz für so sehr viel mehr steht, wie es schon ganz am Anfang die gewaltigen Tafeln des Rigafahrergestühls zeigen, vier Relieftafeln in den Maßen von 98 x 105 Zentimeter, die aus Stralsund und von 1360/70 stammen und einen staunen lassen, wie hier Spätgotik und Bauernschnitzerei ein Bündnis eingehen.

 

Es ist also wichtig, daß man die sehr alten und durchweg interessanten Stücke aus Holz, Eisen und Ton selbst mit den geschichtlichen Kenntnissen beseelt, zu dem einen die Texte verhelfen. Das will sagen, daß das wechselseitige Verhältnis beider Völker, um das es durchweg geht, aufgezeigt an Gegenständen im Zeitraum von 1000 Jahre, sich ständig wandelt. Ständig die einen, dann die anderen geben, was für das Nehmen genauso gilt. Dabei gibt es – außerhalb der Kriege – weder Sieger noch Besiegte – es gibt den Vorsprung der in Mitteleuropa kultivierten Deutschen, die nach Rußland reisen, gezielt vom Zaren als Kulturvermittler geholt werden und es gibt, was wir nicht kannten, das Sprichwort „Was den Russen stark macht, ist des Deutschen Tod.“, das zeigt, unter welchem Druck das russische Volk stand. Fortsetzung folgt.

 

bis 13. Januar 2013

 

Katalog- und Essayband: RUSSEN UND DEUTSCHE. 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur, Michael Imhof Verlag 2012

 

Trägt man diese schweren Wackersteine nach Hause, glaubt man sofort, man brauche auch 1000 Jahre, sie zu lesen. Denn beide Bände sind nicht nur schwer, sondern schwergewichtig vom Inhalt her. Das Gute ist aber, man kann, ja man muß auswählen. Daß sich der Besucher aber gewissermaßen gezwungen sieht, die Kataloge noch mehr als sonst nach einer Ausstellung auch haben zu wollen, liegt daran, daß schon die Ausstellung so überbordend gefüllt ist mit Exponaten und Erklärungszusammenhängen, daß man beim Besuch und auch, wenn man mehrmals hingeht, von dem Umfang und der Wucht des Ganzen als ein einziges kleines Menschlein überfordert ist. Auch ein Rezensent und selbst eine Rezensentin.

 

An den Katalogen haben fast siebzig Autoren mitgeschrieben. Schon der Band, der sich Essays nennt, vereint auf je dreispaltigen 535 Seiten alles. Der Leser ist froh um die vielen Abbildungen von Gemälden, Architektur, Landkarten, Stiche, Fotos etc. , weil die Anschauung bei so viel Information einem gut tut. In der Tat ist allein dieser Band ein Kompendium dessen, das geschichtlich orientiert, die verschiedenen Aspekte der Beziehung Rußlands und Deutschlands aufblättert. Hermann Parzinger führt mit „Russen und Deutsche – es begann vor 1000 Jahren“ im ersten Kapital ein und er läutet mit dem inhaltlich letzten, dem 7. Kapitel „Die deutschen Kulturbeziehungen der letzten Jahrzehnte. Neue Wege in eine gemeinsame Zukunft.“ auch aus. Ihm bleibt zudem als zusätzliches 8. Kapitel auch noch „Schlußwort und Ausblick“. Alles im übrigen sehr klar formuliert und verständlich in der Aussage.

 

Die acht Kapitel gehen dezidiert ein auf NOWGOROD UND DIE HANSE, Diplomatie, dynastische Beziehungen und Allianzen, auf DEUTSCHE IN RUSSLAND, KUNST, LITERATUR UND WISSENSCHAFT sowie FEINDE UND FREUNDE und arbeiten jeden Schwerpunkt dann noch einmal gefächert auf, indem die deutschen und die russischen Autoren einzelne Aspekte vertiefen. Beim Oberthema NOWGOROD UND DIE HANSE sind das geschichtliche Bezüge als Einführung, sodann der Kontext der Kapitale „Nowgorod als Zentrum russisch-deutscher Kontakt im späten Mittelalter“ , der“ Facettenpalast in Weliki-Nowgorod – ein Denkmal der Zusammenarbeit deutscher und Nowgoroder Meister“, „Deutsche und Moskauer – von Angst und Misstrauen zu Verständnis und Zusammenarbeit“ sowie „die Stadt der Erinnerungen an die Hanse- Nowgorod in den Augen deutscher Reisender in der Zeit vom 16. bis 19. Jahrhundert.“

 

So wird auch der KUNST, LITERATUR UND WISSENSCHAFT auf den Zahn gefühlt. Waren es erst einmal Deutsche in Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen im Russischen Reich, so hat das 20. Jahrhundert beispielsweise mit der russischen Avantgarde, mit Kandinsky und dem BLAUEN REITER in München und dem russischen Ballett in Paris den Europäern kulturellen Fortschritt vorgelegt, dem man gerne folgte. Die furchtbaren zwei Weltkriege werden nicht ausgelassen, wie auch? Sowohl die kriegerischen Auseinandersetzungen wie auch die Okkupation von Kunst- und Kulturwerken auf beiden Seiten werden so objektiv wie es geht, dargestellt. Allein mit diesem Band füllen Sie ihr Leben.

 

Der Katalogband hat andere Schwerpunkte, die denen der Ausstellung entsprechen. In sieben Kapiteln werden die im Ausstellungsbericht aufgeführten Ausstellungsschwerpunkte wiedergegeben. In der Einführung wird das Konzept der Ausstellung erklärt und die beiden Ausstellungsorte: Moskau und Berlin vorgestellt. Durch das Vorhandensein des ersten, ausführlichen Textbandes, ist dieser Band wirklich ein echter Katalog geworden, in dem die Fotos der Exponate großzügig abgebildet sind, die in der Mehrheit über eine präzise schriftlich formulierte Bildaussage mit allen notwendigen Daten von Datierung bis Materialverwendung verfügen. Wieder einmal also Bücher fürs Leben.

 

www.smb.museum