Rund 180 Neuerwerbungen in einer Ausstellung der Graphischen Sammlung des Städel ab 5. März in Frankfurt am Main
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – DANKE wäre auch kein schlechter Ausstellungstitel gewesen für die Auswahl von etwa 160 von insgesamt 9 000 neuen Blättern seit 2005 , die die Graphische Sammlung ohne einen eigenen Etat für Ankäufe entweder geschenkt erhielt oder durch Förderung bei Ankäufen möglich machen konnte – bei einem Gesamtbestand von über 100 000 Zeichnungen oder druckgraphischen Werken vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
NEUERWERBUNGEN heißen sie alle, ob direkt geschenkt oder mit Hilfe finanziert, was man bei jedem der rund 160 Ausstellungsstücke dann selbst herausfindet, wenn man beim kleinen Schildchen zum Maler, dem Titel und der Herkunft genauer nachschaut. Erst einmal staunt man, denn ein bunter Bogen über die Jahrhunderte erwartet einen, den nichts anderes zusammenhält, als die gemeinsame Eigenschaft, eine Neuerwerbung in der Graphischen Sammlung zu sein. Aber das macht nichts, denn thematische Ausstellungen gibt es genug und eine, die keinen anderen Zusammenhang hat, als hier als Städelfamilie zusammenzuhängen, hat auch einen emotionalen Liebreiz, den jeder für sich erkunden kann, was wir taten.
Die Kuratorin und Leiterin der Graphischen Sammlung, Jutta Schütt freute sich: „Jede gelungene Erwerbung ist für uns ein ganz besonderer Anlaß zur Freude! Der positive Ausdruck der GIVE ME FIVE-Geste ist darum zum optimalen Motto dieser Ausstellung geworden.“ Und sie gibt auf Nachfrage auch unumwunden zu, wie häufig sie angesprochen wird von Erben oder denen, die sich räumlich verkleinern müssen – ja ins Altenheim Müssen gehört auch dazu, aber auch Umziehen - , ob sie dem Städel mit dem Überlassen von Blättern eine Freude machen können. Unumwunden deshalb, weil sie sehr oft 'Danke, nein' sagen muß, was die potentiellen Spender sehr gut verstünden, denn entweder ist die Qualität des Blattes nicht mehr vorhanden, oder der Künstler gehört nicht ins Städel oder von ihm sind dieselben Drucke schon vorhanden.
Direktor Max Hollein freut sich auch, weil neben den großen Ausstellungen, für die das Städel Lob einheimst, es eben auch darum geht, die rege Sammlungs- und auch dadurch bedingte Forschungsarbeit des Städel zu betonen und öffentlich wahrnehmbar zu machen.. Es sind private Stiftungen wie auch Schenkungen von Privatpersonen, Künstler und Händlern, die dieses Lob verdienen und jetzt in einer Spanne hier hängen von Adam Elsheimer über Giovanni Domenico, Tiepolo bis Louis Soutter, von Max Beckmann über Alfred Hrdlicka und Jim Dine bis David Hockney, Anish Kapoor und Antony Gormley.
Das Auswahlprinzip nach AUS NEUERWERBUNGEN DER LETZTEN SIEBEN JAHREN hat die Kuratorin zu einer Hängung veranlaßt, wo entweder Korrespondenzen hergestellt werden oder die Stücke absolute Einzelwerke bleiben, was sich manchmal nicht ausschließt. Wenn man sich beispielsweise wieder einmal freut, die klare Bildsprache von Max Beckmann mit BETRUNKENER KRÜPPEL Kaltnadel von 1914 und ein Geschenk von Claudia Oetker zu schauen, dann aber daneben wie aus Kinderhand Alexander Roobs ZEICHNUNG ZUM BILDROMAN CS sieht, wo drei zarte Bleistiftzeichnungen wie in 3 D eine ungeheure Dimensionalität ausstrahlen, die gleichzeitig eine Expressivkraft haben, so daß man sich denkt, ja, das würde man jetzt nicht als Expressionismus bezeichnen, aber die gleiche Kraft steckt dahinter. Und während wir uns nur mit den formalen und den Ausdrucksmittel beschäftigen, bekommen wir erst danach mit, daß die Zeichnungen BAYER PHARHMA-FORSCHUNG heißen und die Qual der auf Liegen festgezurrten oder in Tischen wie Schraubstöcken eingezwängten Tiere, hier Hunde, festhält.
Dann ein hiesiger Künstler, nein gleich zwei. Karl Bohrmann hat zusammen mit Peter Engel, der um die Ecke bei den Siebdrucken der Amerikaner mit witzigen Haarzöpfen und deftigen Stiefeln hängt, in den Siebzigern, hier 1976/77, an der Städel Abendschule unterrichtet und es beim Alter der Gruppe nicht so genau genommen, was für heranwachsende Jungen von 17 Jahren bei den Aktzeichnungen schon etwas Besonders war. Das vermerkte ein Kollege und man merkt die Bedeutung schon daran, daß Jahreszahl und Vorgang auch 36/37 Jahre später noch genau erinnert werden.
Wir schauen jedes Blatt an und jedem aufs Maul, woher nämlich die Neuwerbung kommt und ob als Geschenk oder höhere Fügung von Finanziers. Und weil so viele Berühmtheiten darunter sind, wie die Alten, zu den auch Francisco Goya gehört, Edouard Manet, Adolph Menzel, Corot, Max Klinger und die Neuen wie Rudolf Schlichter, Jackson Pollock, Wolfgang Mattheuer, Sol Le Witt etc. und die ganz Neuen, die Zeitgenossen, haben wir uns diesmal mit den weniger Bekannten beschäftigt.
Und da fallen sozusagen aus dem Rahmen, oder doch besser: fast vom Sofa, vier Damen, die Cornelius Völker, der 1965 bei Kronach geboren ist, in vier farbenfreudigen Lithographien als SOFA I-IV aus dem Jahr 2008 verewigt hat. Die Haltungen der vier – hier im Bild – entspricht so genau der, wenn unsereine von den anstrengenden Pressekonferenzen in die Redaktion (oder auch nach Hause) kommt, daß wir sozusagen automatisch lasen: Cornelia Völker, weil wir instinktiv dachten, nur eine Frau kann solche Erschöpfungshalten nachempfinden. Daß aber ein Mann den Stift in der Hand hatte, zeigen uns dann die Schuhe. Der Reihe nach: Das gelborange und das pflaumenblaue, das eher violette und das moosgrüne Sofa zeigt vier Szenen von weiblichem Erschlagensein, das das fast tägliche Brot von Frauen ist.
Denn hier kann sich auch jede Berufstätige nach anstrengendem Arbeitstag und vielleicht noch Einkaufen, auf jedem Fall vor dem Essenmachen, Aufräumen, Kinder ins Bett bringen und für den Gefährten sich schön machen, wiederfinden. Während man einen Mann mit dem Glas Whiskey in der Hand als kleinen James Bond am Feierabend dargestellt hätte, ist jede der niedergesunkenen Frauen eine Geschichte für sich. Die im gelborangen Sofa hat alles fahren lassen, der eine Schuh ist abgestreift, für den zweiten war sie schon zu müde, denn der Kopf ruht auf der Lehne, über den der Arm lang hinunterhängt. Vollkommene Erschlaffung. Sehen so nicht auch Leichen aus? Nein, so weit wollen wir nicht gehen, weil ja auch das Blut fehlt.
Weshalb wir wissen, daß ein Mann die vier Erledigten abbildete? Weil er ihnen dreimal die Schuhe an die Füße malte. Das ist geschummelt. Jede Frau nämlich weiß, daß das Erste, was sie tut, noch bevor sie in den Sessel sinkt, das Wegschleudern der Schuhe – iih, wie spitz, wenngleich als fersenlose wenigstens ohne Blasen an den Hacken – ist. Also, das ist ein Fauxpas des Künstlers, aber die Haltung der Damen stimmt. Das gibt es das Fläzen, mit möglichst geradem Rücken, um diesen zu entlasten, was man sich nur erlauben kann, wenn ein Zeichner die Perspektive nicht so gemein nimmt, wie es eine Fotografie täte. Da wären nämlich bei dieser Haltung der mit dem grünen Kleid auf dem pflaumenblauen Sofa Elephantenbeine daraus geworden, die hier noch fast elegant vor sich hin stehen.
Die im violettroten Sofa hat ihre Beine sogar abenteuerlich übereinandergelegt, was hier von vorne nur akrobatisch aussieht, während es von hinten unanständig geworden wäre. Währenddessen entspannt die Vierte eigentlich am elegantesten, denn sie ist noch in der Lage ihre Haltung optisch anspruchsvoll zu arrangieren, der Kopf ist gerade, der Arm offiziell auf der Armlehen abgelegt und das rechte Bein über die drübere Armlehne frech drübergeworfen, so daß nur das linke Bein vorwitzig in den Raum ragt. Sie haben genug? Wir längst nicht. Denn Bilder erzählen Geschichten und die von den vier spontan aktuell erledigten Grazien sind noch nicht zu Ende, Herr Völker! Die farbigen Lithographien sind 2010 im dänischen Kunsthandel erworben worden aus Mitteln der Ludwig-Pfungst-Museums-Stiftung. Machen Sie sich selbst ein Bild.
bis 23. Juni 2013
Leider kein Katalog, auch keine kleinere Druckschrift
www.staedelmuseum.de