ab dem 16. August im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG)

 

Siegrid Püschel

 

Hamburg (Weltexpresso) – Die Ausstellung ist vom Museum Folkwang und vom Museum für Photographie Braunschweig erstellt und nun in Hamburg bis zum 17. November zu sehen. Sie handelt vom politischen und sozialen Erwachen einer Generation, die mit dem Beginn der Massenproteste am 25. Januar 2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz für die Weltöffentlichkeit sichtbar wird und bis heute andauert.

 

Diese Geschichte wird vor allem erzählt von ägyptischen KünstlerInnen und FotografInnen, AktivistInnen und KuratorInnen, die ihrer Sicht auf das Geschehen Ausdruck verleihen. Die einzelnen Kapitel und Stationen sind von namhaften Persönlichkeiten der Kairoer Kunstszene kuratiert, darunter die Künstlerinnen Lara Baladi und Heba Farid, die Fotografen Thomas Hartwell und Tarek Hefny, die Künstlerin und Aktivistin Jasmina Metwaly, der Filmemacher Philip Rizk und die Journalisten Rowan El Shimi und Alex Nunns. Gleichzeitig fragt das Projekt nach der Rolle der Bilder und der digitalen Netzwerke, die teilweise dazu dienten den Aufstand zu initiieren, aufzuzeichnen und in die Welt zu tragen, und dokumentiert damit ein neues Kapitel in der Geschichte der Bilder.

 

Zu sehen sind Arbeiten von 62 Künstlerinnen und Künstlern, darunter klassische fotojournalistische Arbeiten professioneller Fotografen, bildjournalistische Berichte der ägyptischen Tageszeitung El Shorouk, Fotos und Videos von Amateuren, Künstlerarbeiten und eine Wand mit Twitter-Nachrichten und Zeitungsausschnitten. Wie die jüngsten Freiheitsbewegungen in der arabischen Welt selbst ist die Ausstellung ein experimentelles, sich stets erneuerndes Ausstellungsprojekt. Es repräsentiert keinen abgeschlossenen Vorgang, sondern erhebt vielmehr das Offene des politischen Prozesses zum formalen Prinzip, reflektiert aktuelle politische Veränderungen und bezieht neue Arbeiten mit ein. So ist in der Ausstellung im MKG auch ein Kapitel über den Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi Ende August 2013 zu sehen.

 

Die Ausstellung beleuchtet die Veränderungen der bildjournalistischen Dokumentation von Ereignissen im Kampf um die öffentliche Deutungshoheit. Im Laufe der arabischen Revolution entstehen unzählige Bilder, die von Amateuren aufgenommen und über soziale Netzwerke verbreitet werden. Untersucht wird die Rolle dieser neuen Bilddokumente und die Funktion der digitalen Netzwerke, die auch dazu dienen, den Aufstand auszulösen, aufzuzeichnen und in die Welt zu tragen. Im Mittelpunkt stehen die unterschiedlichsten Nutzungsarten der Kameramedien Fotografie und Video: Aufnahmen von Fotojournalisten, Video-Mitschnitte von Aktivisten und „Bürgerjournalisten“, Dokumente, die Künstlerinnen und Künstler gesammelt haben. Insbesondere die Fotografie – ein Medium, das selbst im Umbruch ist – wird hier in ihren vielen möglichen Funktionen sichtbar: die eigene Meinung äußern, den Lauf der Dinge beeinflussen, Bilder für die Erinnerung schaffen, der Opfer gedenken und Zeugnis ablegen.

 

 

In besonderer Weise hat die Fotografie die Idee von einer „Zeugenschaft der Bilder“ geprägt. Sie steht im Zeitalter der digitalen Medien und im spezifischen Kontext der ägyptischen Revolution vor neuen Herausforderungen und Chancen. Das omnipräsente Auge der digitalen Apparate, die neue Distributionswege der Bilder und die alternative Berichterstattung verändern den Blick auf Ereignisse und setzen dem institutionalisierten Journalismus andere Perspektiven entgegen. Zugleich soll die Bedeutung der Zeugenschaft der Bilder nicht den Blick darauf verstellen, dass es nicht das Internet und die sozialen Netzwerke sind, sondern vielmehr die Menschen auf der Straße mit ihrer angestauten Verzweiflung und ihrem Mut, die den Wandel herbeigeführt haben.

 

 

Künstler und Künstlerinnen reagieren mit dem Ausbruch der Revolution unterschiedlich darauf, wie sie sich mit dem eigenen Werkzeug, der Kunst, gegenüber dem sozialen und politischen Umbruch verhalten sollen. Zahlreiche unter ihnen ziehen es zunächst vor, als Aktivisten auf der Straße zu agieren anstatt zu den Ereignissen künstlerisch zu arbeiten. Andere treten subversiv mit ihrer Kunst im Stadtraum auf, wieder andere lehnen jegliche Repräsentation ab. Nach und nach entstehen Arbeiten, in denen auch die Rolle der Bilder hinterfragt wird. Auch in diesem Prozess kommt eine Haltung der Zeugenschaft oder des Widerstands zum Ausdruck – nur mit formalen Mitteln, die sich von den journalistischen Aufnahmen der Tagesereignisse unterscheiden.

 

 

Die umfangreiche Ausstellung ist in einzelne Kapitel und Stationen gegliedert: „Vor der Revolution“, „Fotojournalismus“, „Bürgerjournalisten“, „Neue Beobachter auf den Straßen“, „Künstlerische Reaktionen“ und „Ongoing“. Sie ermöglichen einen Dialog der Bilder, ein Nebeneinander, aber auch Gegeneinander der verschiedensten Bildformen und Haltungen: Die Titelseiten von Zeitungen stehen neben den Bildstrecken aus Blogs, die Ikonen der Ereignisse neben den ungesehenen Bildern der Menschen auf der Straße, die Bilder der Märtyrer neben langfristigen Dokumentationsprojekten. Die Gegenüberstellung des Online-Mediums Twitter mit der traditionellen Tageszeitung El Shorouk erlaubt beispielsweise, die mediale Aufbereitung der Ereignisse dieser beiden Medien miteinander zu vergleichen. Die Rolle der digitalen sozialen Netzwerke wird aufgezeigt an Online-Communities wie flickr mit Arbeiten von Jonathan Rashad und Mosa’ab Elshamy, youtube am Beispiel einer Arbeit der Künstlerin Lara Baladi oder anhand eines ganz neuen dokumentarischen Genres, der „Video-Augenzeugenschaft“. Darüber hinaus wirft die Ausstellung einen Blick zurück in eine bereits vergangene bildjournalistische Kultur in Schwarzweiß und in eine Ikonografie des öffentlichen Protests innerhalb des kollektiven Gedächtnisses des Landes.

 

 

Das für die Ausstellungen im MKG entstandene Kapitel „Ongoing“ zeigt weitere bildjournalistische Arbeiten von Jonathan Rashad und Mosaab Elshamy, die während des Sturzes von Präsident Mohamed Mursi Anfang August 2013 entstanden, sowie Videos des Kollektivs Moisereen, in denen die Frage nach der Legitimation von Gewalt als Mittel des Protests verhandelt wird und die Gespaltenheit des Landes deutlich wird. Mit einer Wand von Zeitungsblättern lenkt diese Station außerdem den Blick auf die Ikonografie der Bilder, die sich im Laufe der Revolution mit einer Reihe wiedererkennbarer Bildmuster etabliert: die ornamentale, formatsprengende Masse, der jugendliche revolutionäre Held im Strahl des Wasserwerfers, der Protestierende als lebendiger Bildträger usw. Der Vergleich zeigt auch, dass die Bilder von den Protesten in der Türkei und in Ägypten ähnliche Bildmuster aufweisen.

 

Bis 16. August bis 17. November

 

 

INFO I:

Beteiligte KünstlerInnen, AktivistInnen und KuratorInnen: Myriam Abdelaziz, Peter van Agtmael, Roger Anis, Antro, Kim Badawi, Mostafa Bahgat, Lara Baladi, Ahmed Basiony, Kaya Behkalam, Taha Belal, Eva Bertram, Sarah Carr, Denis Dailleux, Osama Dawod, Johanna Domke und Marouan Omara, Mosa´ab Elshamy, Hossan El-Hamalawy, Mohamed Ezz, Fadi Ezzat, Heba Farid, Nermine Hammam, Thomas Hartwell, Aly Hazzaa, Tarek Hefny, Eman Helal, Gigi Ibrahim, Magdi Ibrahim, Ahmed Kamel, Mahmoud Khaled, Heba Khalifa, Nadine Khan und Mariam Mekiwi, Heba El Kholi, Ahmed Abdel Latif, Maha Maamoun, Alex Majoli, Mohamed El Maymony, Thawra Media, Jasmina Metwaly, Chris Michalski und Sebastian Stumpf, George Mohsen, Samuel Mohsen, Mosireen, Jehan Nasr, Mohammad Nouhan, Nasser Nouri, Alex Nunns, Maggie Osama, Ivor Prickett, Jonathan Rashad, Philip Rizk, Ibrahim Saad, Michael Schäfer, Randa Shaath, Ravy Shaker, Mohamed El Sheshtawy, Rowan El Shimi, Lobna Tarek, Lilian Wagdy, Sally Zohny

 

 

 

Katalog: Ende August erscheint ein Katalog zur Ausstellung in deutscher, englischer und arabischer Sprache bei Spector Books, Leipzig, mit Essays von jüngeren, in Kairo lebenden Autorinnen und Autorin, gestaltet von Ahmed Kamel, Andrej Loll und Nicola Reiter, 228 Seiten, über 300 Abbildungen, 28 Euro (Buchhandelspreis: 32 Euro)

 

 

 

Die Ausstellung wurde von Florian Ebner, Museum Folkwang Essen, und Constanze Wicke für das Museum für Photographie Braunschweig in Zusammenarbeit mit Künstlern, Aktivisten, Fotografen und Kuratoren der Kairoer Kunstszene entwickelt und wird von Esther Ruelfs für das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg eingerichtet.

 

 

INFO II:

 

Ergänzende Ausstellung – „Ägypten erobern. Die Sammlung Fotografie im Kontext“: Ergänzend zum Projekt zeigt das MKG aus seiner Sammlung rund 30 historische Fotografien, die im 19. Jahrhundert in Ägypten entstehen. Die Ausstellung lenkt den Blick auf die koloniale Vergangenheit Ägyptens, die sich in den Fotografien des 19. Jahrhunderts spiegelt. So zeigen die Aufnahmen etwa die schnurgeraden, am Reißbrett geplanten Ufer des Suezkanals. Wirtschaftliche Interessen treiben die Franzosen zur Erschließung der Verbindung zwischen Rotem Meer und Mittelmeer.

 

Die Ausstellung beleuchtet die Besitznahme des Landes durch den Westen: Die Fotografien offenbaren auf den zweiten Blick häufig ein hierarchisches Verhältnis zwischen den europäischen Fotografen und dem Land, das sie dokumentieren. Die Bilder sind Ausdruck der realen Machtverhältnisse einer kolonialisierten Gesellschaft, die ab 1882 unter britischer Herrschaft steht. Architekturaufnahmen versuchen das fremde Land zu erfassen, Bilder von Kulturdenkmälern belegen, wie diese von Touristen und Militärangehörigen erobert werden. Ethnographisch motivierte Fotografien erzählen vom Bestreben, „den Araber zu typisieren“.

 

 

INFO III:

 

Begleitprogramm

 

16. August 2013, 16 Uhr

 

RUNDGANG MIT DEN KÜNSTLERN

 

Mosa’ab Elshamy, Tarek Hefny und die Kuratoren führen durch die Ausstellung. Im Eintritt inbegriffen

 

 

25. August 2013, 15 Uhr

 

KURATORENFÜHRUNG

 

mit Esther Ruelfs, im Eintritt inbegriffen

 

 

10. Oktober 2013, 19 Uhr

 

KÜNSTLERGESPRÄCH MIT HEBA FARID

 

Ein Land – zwei Perspektiven. Die ägyptische Gesellschaft im Rückblick – aus ägyptischer und aus europäischer Sicht. Die Kuratorin Esther Ruelfs im Gespräch mit der Künstlerin Heba Farid. Die Künstlerin aus Kairo spricht über ihre kreative Arbeit mit historischen Bildern, die sie in privaten Archiven ihrer Heimat gefunden hat. Ägyptische Fotografien aus dem Bestand des Museums zeugen von einer anderen Vergangenheit. Wir fragen uns, welche Bilder das kollektive Gedächtnis diesseits und jenseits des Mittelmeers geprägt haben. Das Gespräch findet im Spiegelsaal in englischer Sprache statt. Eintritt: 7 Euro inklusive Ausstellungsbesuch ab 17 Uhr

 

 

 

14. November 2013, 19 Uhr

 

MKG-DEBATTE „Zuerst auf youtube, dann in den Nachrichten“

 

Über die Rolle der Bilder, der Neuen Medien und künstlerischen Positionen in der Arabischen Revolution. Es diskutieren: Florian Ebner (Kurator der Ausstellung, Museum Folkwang), Hans-Hermann Klare (Auslandexperte des STERN), Mariam Mekiwi (Künstlerin), Stephan Urbach (Netzaktivist); Moderation: Kathrin Peters, Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Oldenburg; Spiegelsaal, Eintritt: 7 Euro inklusive Ausstellungsbesuch ab 17 Uhr