jtudyDas neueröffnete Jüdische Museum Frankfurt bringt die erste Wechselausstellung, Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Während unsere Serie über das neueröffnete Jüdische Museum noch lange nicht abgeschlossen ist, denn diese neue Art des Mitmachmuseums soll in den einzelnen Stationen der Dauerausstellung dreistöckig im Rothschildpalais durchlaufen werden, ist – sozusagen Schlag auf Schlag – im Neubau, dem Lichtbau, die erste Wechselausstellung eröffnet worden, die nicht kleckert, sondern klotzt.

In jeder Hinsicht. Zwar ist das Thema DIE WEIBLICHE SEITE GOTTES nicht neu, noch dazu feinsinnig ausgedrückt, denn anderenorts spricht man, nein frau, schon davon, daß der Gott der drei monotheistischen Religionen,

der ältesten, dem Judentum,
dem Christentum seit 2 000 Jahren,
dem Islam seit dem Religionsstifter Mohammed, Prophet, 570-632,

daß also dieser Gott nicht nur weibliche Anteile habe, sondern überhaupt weiblich sei, daß es also durchaus zu einer Ausstellung kommen könnte, die denn heißt: DIE MÄNNLICHE SEITE DER GÖTTIN, was aber sicher in weiter Ferne liegt. Was aber ganz nah ist, das ist die Erkenntnis, die auch diese Ausstellung vermittelt: in der Gleichwertigkeit der Geschlechter war die Menschheitsgeschichte schon einmal weiter. Sehr viel weiter.

Wir holen auf, was die letzten Jahrhunderte, insbesondere die Verbürgerlichung seit dem 19. Jahrhundert, an der Schillerschen Formulierung festmacht: „Der Mann muß hinaus ins feindliche Leben...“, während sich die Frau in Fernands Knopffs symbolistischer Liebkosung im Leopardenkörper als Sphinx zärtlich an ihn lehnt, wenn er mit nacktem Oberkörper vom feindlichen Leben heimkommt.

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Nein, das ist nicht die nette Hausfrau, die das Heim mit Persil und dem neuesten Staubsauger reinlich hält, sondern das ist die Art Frau, die schuld daran ist, daß der arme Adam aus dem Paradies vertrieben wird, genau der Vorgang, der dazu führte, daß ‚der Mann‘ sein Leben lang hinaus ins feindliche Leben muß - auf Jahrtausende!

Bildschirmfoto 2020 10 23 um 13.31.19In dieser Ausstellung hängt auch ein Gemälde, das diese Szene zeigt: ADAM UND EVA von Franz von Stuck, 1920 und direkt von der anderen Mainseite, dem Städel, herübergekommen. Dieser unschuldige, athletische Adam von hinten, diese perfide Eva, durchaus schmalbrüstig, von vorne, die mit der Schlange eins ihm den verbotenen Apfel reicht, wobei dieses Einssein wirklich phantastisch dargestellt ist: Der Apfel wird unten von ihrer Handfläche gehalten, in der unsichtbar der Schlangenkiefer ruht, oben über dem Apfel vom Schlangenkopf.

Doch ist diese Darstellung eine europäisch westliche, denn die Rolle der verführerischen Frau, die den Mann ins Elend stürzt, kommt noch stärker Adams erster Frau, besagter Lilith zu. Und so kann man auch ohne Kopiervorwurf beim Stuckschen Werk feststellen, daß er eine bildliche Vorlage von John Maler Collier von 1887 nutzt, die Lilith heißt, wie es der Katalog auf Seite 148/49 tut. Mit Lilith werden und müssen wir uns noch ausführlich beschäftigen, auf jeden Fall ausführlicher als es die Ausstellung tut, jetzt geht es erst einmal darum, kurz zu differenzieren, welche Frauenbilder, welche Ausprägungen vom Frausein es in der jüdischen religiösen und mystischen Literatur und Kunst gibt und welche zur weiblichen Seite Gottes führen, eingedenk dessen, daß das Judentum nicht aus dem Nichts entsteht, sondern sich aus religiösen Vorstellungen der Völker des vorderen Orients entwickelt.


Dies zeigt die erste Rotunde im Raum, in der orientalische, vorderasiatische Kleinplastiken stehen, die jede für sich eine Abhandlung wert ist, die wir aber, weil die Herkunft der einzelnen Figurinen im Pressematerial nicht auffindbar ist, hier in unseren Fotos zeigen. Ihnen zugeordnet sind die nach dem eigenen Körper gefertigten Halbskulpturen VENUS PAREVE von Hannah Wilke, seriell in verschiedenen Farben und hier nicht im Bild, weil uns die alten kleinen Figurinen so viel besser gefallen, die Handschmeichlerfunktion haben, wenn man sie anfassen dürfte. Die bekannteste aus unseren Breiten ist die Venus von Willendorf, vor zwei Jahren ihre zweihundertjährige Auffindung in der Wachau feierte, weshalb sie bei den orientalischen Damen in der Rotunde auch nicht dazugehört,  und als etwas 30 000jährige eine der Inkunablen des Naturhistorischen Museums Wien ist und in dem Anfangsvideo, das wir im P.S. aufführen, natürlich eine Rolle spielt, eine witzige dazu.

Daß dagegen Judy Chicago, deren kleine bronzene Venusfigurine die tönernen alten Exponate aufmischt - oben im Titelbild - dabei ist, verdankt sie wie die seriellen Frauenhalbakte dem Grundprinzip dieser Ausstellung, die These von der weiblichen Seite Gottes in der modernen Kunst widerzuspiegeln, was auch immer wieder in den künstlerischen Produkten aufgeht. Klar, daß es die weiblichen Künstlerinnen sind, die hier vorangehen.


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Die nährende, die Urmutter, die große figurative Maria Lassnig (1919-2014) nennt ihre Darstellung DIE GROSSE MUTTER, die von der Haltung her archetypisch gespreizte, gebärfähige Schenkel zeigt, einen stilisierten Kopf, keine Arme und aus Farbflecken besteht, die in Rottönen von oben nach unten immer dunkler wird, wirkt wie die nährende Mutter, ist aber auf den zweiten Blick eine gefährliche Angelegenheit. Die Figur ist in sich verdreht, ja der Unterkörper ist sogar, wenn man die Füße betrachtet, von hinten angesetzt, die Taille kann man nicht sehen, denn ein überdimensionierter Fötus scheint wie angeklebt. Schrecklich das alles, das Gegenteil des Mutterbegriffs. Und eine der Provokationen dieser famosen Wienerin, die, vor einem Jahr gestorben, immerhin 95 Jahre wurde und in der Regel sich selber als Modell nahm, also auch den erschlaffenden 


Zwei weitere Frauenbilder deuten wir jetzt nur an, die im nächsten Artikel eine Rolle spielen: Scheschina und die nährende Gottesmutter. Scheschina ist das Prinzip, was die weibliche Seite Gottes ausdrückt und jüdischer Überlieferung nach als Wohnstatt Gottes auf Erden gilt , was historisch der im Jahr 70 nach Chr. von den Römern unter Titus zerstörte Tempel in Jerusalem war - wie nahe und nachhaltig Verlust dokumentiert wurde, zeigt der Titusbogen in Rom, auf dem stolz die Beutestücke aus dem Jerusalemer Tempel getragen werden, vor allem die Menora;  das Prinzip Scheschina überlebte -  , weshalb heute Scheschina in verschiedener Form auftaucht, in dieser Ausstellung auch in verschiedenen Darstellungen wie bei Kitaj und Anselm Kiefer, der die oft visualisierte Version malt: ein weißes Brautkleid. Maria als Gottesmutter ist seit dem Konzil von Nicäa im Jahr 325 fest installiert, worauf wir zurückkommen. Und ihre daraus folgende Vergöttlichung durch die Gläubigen ist einer der großen Skandale der katholischen Kirche, der auch in Bildwerken zum Ausdruck kommt, aber schon von den Kirchenvätern - also lange vor Luthers Reformation - bekämpft wird, was ein Exponat inreißend zeigt, auf das wir auch noch zurückkommen. Sie merken schon, es gibt viel zu sehen und viel darüber zu sprechen.

P.S.I Der größte Hit und völlig überraschend ist der Beginn mit rappenden und sich im Rhythmus elegant bewegenden weiblichen Gottheiten aus allen möglichen alten Kulturen, deren lustvolle Bewegungen ein altes, kleines Männchen entsetzt registriert, den wir sofort mit Gott identifizieren, der aber Moses sein soll, wie wir dann hören. Das Ganze ist ein Ausschnitt, hören wir auch, denn schriftlich haben wir leider nichts dazu und sind wild darauf, den ganzen Film zu sehen -  von Nina Paley,"You Gotta Believe". Unbedingt sehenswert!

PS.II 
Und noch etwas ist wichtig, will man der weiblichen Seite Gottes näher kommen, das Bilderverbot im Judentum, das der Islam aufnimmt und das im Christentum nach heftigen Auseinandersetzungen ins Gegenteil umschlägt.  Aus „Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“ , das zweite der Zehn Gebote, die Moses aufschrieb, wird übrigens im Judentum wie im  Islam immer nur das Verbot der Abbildung Gottes zitiert, dabei umfaßt es viel mehr und wäre in der heutigen Welt, der ersten umfassenden Bildwelt anachronistisch. Wahrscheinlich nimmt darum weder Judentum noch Islam vom generellen Abbildungsverbot Kenntnis.

Fotos:

von Stuck © Städel
© Redaktion

Info:
Ausstellung ab 22.10.2020
www.juedischmuseum.de
Katalog: Hrsg. Atlan u.a.,Die weibliche Seite Gottes. Kunst und Ritual, Kerber Verlag 2020