Serie: „Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation“ im thüringischen Mühlhausen, Teil 1/4

 

Claudia Schulmerich

 

Mühlhausen (Weltexpresso) – Rechtzeitig vor dem angekündigten gewaltigen Lutherjahr 2017, wo 500 Jahre Reformation mit dem nie erfolgten Thesenanschlag am 31. Oktober gefeiert werden, gedenken die Mühlhäuser Museen der Situation der gläubigen Christen rund um 1500 mit einer Ausstellung, die eine provokante These vorbringt und eine unglaubliche Dichte an Gegenständen zeigen kann, die für die Gläubigen damals konstitutiv waren und unserem kulturellen Gedächtnis längst entfallen sind, weshalb allein diese Fundstücke eine kulturhistorische Großtat sind und den Besuch lohnen.

 

Aber von vorne. Erst muß die Theorie her, bevor die Dinge zum Sprechen gebracht werden, denn ihr Gebrauch liegt uns so ferne, daß wir bei vielen spirituellen Gegenständen nicht einmal ihre Namen kennen, so sehr hat sich die Alltagspraxis christlichen Glaubens von damals zu heute verändert. Hartmut Kühne, Kurator der Ausstellung und Berliner Kirchenhistoriker holt schwungvoll aus, wenn er – grob zusammengefaßt – davon kündet, daß es am Vorabend der Reformation überhaupt keine Krise des Christentums gegeben habe, was die Glaubensintensität der Bevölkerung angehe, daß sogar nie vorher und auch nie nachher das Leben der gläubigen Menschen so sehr kirchennah verlaufen sei, mit dem häufigen Besuch der Messe, den Prozessionen, dem getreuen Befolgen der Riten und natürlich auch dem Ablaßwesen, das sicherstellen sollte, daß die Seele des Gläubigen von irdischem schlechten Tun befreit, desto schneller – oder gar nicht – durchs Fegefeuer auf in den Himmel komme.

 

Mit dieser These rennt Hartmut Kühne bei uns erst einmal offene Türen ein und wir können seine Ausgangsposition noch unterfüttern. Der Begriff der Devotio moderna fiel in der Pressekonferenz nicht, aber er bezeichnet diese neue Frömmigkeit, die ausgehend von den Niederlanden Ende des 14. Jahrhunderts die direkte Beziehung des einzelnen zu Gott in den Mittelpunkt stellte und sich bis 1500 gen Norden und Osten ausgedehnt hatte und einherging mit besonderer Aufmerksamkeit für Arme und Bedürftige, weshalb sich die sozial wirkenden Annenbruderschaften ungeheuer ausdehnten. Warum die Furcht vor dem Verlust des Reich Gottes, verhielte man sich nicht glaubens- und kirchentreu, weitere Nahrung erhielt, hat nun wiederum mit etwas ganz anderem zu tun, den vielen Weltuntergangsszenarien nämlich, die für 1500 von der Christenheit erwartet wurden. Mit dem verhießenen Weltuntergang sind auch die Sünden der Menschen aktuell, die verhindern, daß dieser Mensch beim Jüngsten Gericht wiederauferstehen kann, sondern stattdessen in der Hölle verschmoren muß. Diese Furcht läßt sich auch in der Kunst aufspüren, für die Dürers APOKALYPSE von 1498 steht, aber auch die Predigten des Savonarola in Florenz und selbst Martin Luther hatte den Weltuntergang für 1532, dann noch einmal 1538 und letztmalig für 1541 angekündigt.

 

Zwischen diesen Prophezeiungen und dem Ausgang des Spätmittelalters, um den diese Ausstellung kreist, liegt jedoch die Reformation, die Deutschland entscheidend veränderte bis hin zum Dreißigjährigen Krieg und danach. Warum aber gab es diese Glaubensabspaltung, wenn doch der Gläubige so einig mit seinem Glauben war? Dazu sagen die Ausstellungsmacher: 'Am Vorabend der Reformation' – unter dieser Überschrift werden für gewöhnlich die vermeintlichen Mißstände in der christlichen Kirche am Ausgang des Mittelalters aufgezeigt, die die Reformation als einschneidende Wende und erlösenden Ausweg erscheinen lassen“. Das ist genau die Frage, die sich auftut, wenn man hier über sieben Ausstellungskapitel das Ausmaß der Frömmigkeit der Leute im Alltag erlebt. Krise oder Konjunktur? Es gibt aber eine Antwort, die wir nach der Ausstellung geben wollen, weshalb wir auch die 'vermeintlichen' Mißstände kursiv setzten.

 

Die sieben Ausstellungskapitel sind selbstverständlich nicht isoliert voneinander zu sehen, sondern beziehen sich aufeinander: Da ist zuerst einmal DIE PFARRKIRCHE. Sie war es, die dem Gläubigen Schutz und Schirm bot und das Heilsangebot bereithielt; für den Gläubigen war sie aber gleichzeitig auch eine Übermacht, der er sich im Pfarrzwang beugen mußte, denn nur hier sollte er beten, die Messe besuchen und die Sakramente empfangen, von denen es fünf verpflichtende gibt: die Taufe, die Beichte, die Eucharistie, die Ehe und die letzte Ölung. Die Pfarrkirche entwickelte sich aus dem Eigenkirchenwesen, wo der örtliche Herr auch den Pfarrer bestimmt hatte, selbst wenn formal die Zustimmung des Bischofs nötig war.Selbst die Kirchengründungen wurden nicht von den Bischöfen betrieben, sondern vom örtlichen und regionalen Adel, die als Patrone eine dominante Rolle spielten. Die Gemeinde hatte in keinem Fall ein Mitspracherecht, bei der Auswahl und Einsetzung ihres Pfarrers. Fortsetzung folgt.

 

 

Bis 13. April 2014 Mühlhäuser Museen, Museum am Lindenbühl

 

Vom 28. Mai bis 7. September 2014 Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

 

Vom 7. November 2014 bis 15. Februar 2015 Kulturhistorisches Museum Magdeburg

 

 

Katalog:

 

Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland, hrsg. im Auftrag der Mühlhäuser Museen, des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig und des Kulturhistorischen Museums Magdeburg von Hartmut Kühne, Enno Bünz und Thomas T. Müller, Michael Imhof Verlag 2013

 

Der über 400 Seiten starke Band besticht zuerst einmal durch den grünen Einband mit einer, der Koimesis entlehnten Sterbeszene, wo nämlich der zweiflügelige Engel – bei Maria sind es die vier- und sechsflügeligen Cherubim und Seraphim – die Seele in Form eines kleinen Kindes entgegennimmt, die gerade dem Mund des sterbenden Bischofs entfleucht, um sie in den Himmel zu tragen. Es ist der Heilige Nikolaus, wie man dem sechsteiligen Altarflügel auf Seite 48 entnehmen kann. Dort kann man auch genau nachlesen, was dem Bischof von Myra alles passiert ist, weshalb wir gleich sagen, daß die Mitnahme des Katalogs so wichtig ist, wie die Ausstellung anzuschauen. Denn durch Nachlesen kann man das Wissen erwerben, das uns heute angesichts religiöser Kunst meist fehlt und sich zudem an dem mit den eigenen Augen Gesehenen in den Abbildungen erneut erfreuen, über die man nun sehr viel mehr weiß.

 

Der Katalog ist ein richtiges Besucherbuch, denn es hat als einzige Zielsetzung, die sieben Stationen der Ausstellung mit all den Objekten abzubilden und diese in ihrem Gebrauch, aber auch ihren Materialien und Herkommen vorzustellen. Die sieben Stationen werden ebenfalls auf ein-zwei Seiten in ihrem Wert für den Christen vorgestellt. Die notwendigen längeren Essays über die Zeit und die Problematik, uns heute über so vieles Unklare Gewißheit zu verschaffen, sind in einem weiteren Band zusammengefaßt, dessen Grundlage ein wissenschaftliches Symposium war, der aber erst später erscheinen wird.

 

Das gibt den Kunstwerken und all den Dingen, die zur Glaubensausübung dienten, Platz, sich in Bild und Beschreibung auszubreiten, weshalb dies ein besonders leserfreundlicher Katalog ist, dessen Bilder schön und groß abgedruckt sind, wie man das jetzt schon als Imhofsche Qualität zu schätzen gelernt hat,

 

www.muehlhauser-museen.de