Serie: „Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation“ im thüringischen Mühlhausen, Teil 2/4

 

Claudia Schulmerich

 

Mühlhausen (Weltexpresso) – Insbesondere hier leistet die ausgestellte Dokumentation über die Kirchenorganisation im thüringischen Teil des Erzbistums Mainz um 1500 Aufklärendes, denn sie zeigt die unterschiedlichen Herren wie auch die Pfarrkirchen mit Vikarien. Für Mühlhausen innerhalb der Stadtgrenze z.B.drei Pfarrkirchen, wobei die eine zu einem Hospital gehört, die beiden anderen Kloster- oder Stiftskirchen waren, zu denen noch drei weitere hinzutraten; außerdem gab es Kapellen.

 

Da wüßte man gerne, für wie viele Einwohner derart viele kirchliche Institutionen dienten. Ob der „Brief vom Elend der Pfarrer“ oder die Merseburger Weihematrikel, die Menge der ausgestellten Bücher zeigt, wie wichtig das Wort Gottes war.

 

Uns interessieren dann die spätmittelalterlichen Bilder, die zeigen, wie man sich die Kirchengeschichte vorstellte, noch mehr. Die Taufszene von den beiden Nikolaustafeln aus der Mühlhäuser Marienkirche gibt einen Einblick, wie man aus der vorgestellten Geschichte des Heiligen Nikolaus die Riten für die Taufe von jedermann übernahm und eigentlich möchten wir uns bei diesen Tafeln lange aufhalten, weil sie uns auch an anderen Geschichten zeigen, wie man sich die Vergangenheit vorstellte, nämlich so, wie man selbst die Riten praktizierte. Hier wird die ausgedachte Geschichte, die man rückwärts in die Vergangenheit verlegt, dann gleichzeitig zum Maßstab für heutiges Handeln.

 

Das registrieren wir, was uns aber entzückt ist die Naivität und Diesseitigkeit, mit der Heiliges, Himmel und Häuser sowie Erde und Menschen in eins übergehen und keine Scheu besteht, innerhalb der lieblichen Malerei die allergrausigsten Dinge zu zeigen, nämlich die abgeschnittenen Körperteile von insgesamt drei Scholaren, die vom bösen Wirt zerstückelt und eingepökelt waren und nun vom Heiligen Nikolaus wieder zusammengesetzt werden. Die Malerei, die um 1485, als in Italien schon die Renaissance um sich griff, wird hier in spätgotischer Manier geboten, aber durchaus mit Raffinesse. Denn die zeitgenössische Gewandung trifft auf bildstrategische Überlegungen, die beispielsweise auch beim Totenbett des Nikolaus die Zentralperspektive aufnehmen und dieses schräg ins Bild setzen, wie es seit den frühen Niederländern Brauch war, während das Totenbett traditionell bildparallel verläuft.

 

Wir stürzen uns in die zweite Abteilung von DIE MESSE, weil sich darin Vorstellung, geschichtlicher Verlauf und Ideologien besonders austoben. Schon deshalb, weil in der Messe und dem Messopfer seit jeher Ursache von Kirchenabspaltungen und Glaubenskriegen lag. Die GREGORSMESSE muß dabei einfach eine Rolle spielen. Mit ihr hat die Kirche sich selbst die Argumente geliefert, die sie brauchte, als Mythos selbstverständlich, denn immer wurde in frühere Jahrhunderte verlegt, was später als Gottesbeweis dienen sollte. In dieser Ausstellung haben wir nun eine in dreiererlei Hinsicht ganz besondere Gregorsmesse. Die Tafel hat nur durch Zufall überlebt und wurde auch nur durch Zufall aufgefunden. Als Schalbrett nämlich im Torgauer Ringenhain-Haus, wo sie 1995 entdeckt und 2003 restauriert wurde. Was war passiert?

 

Die Erklärung liegt auf der Hand. Die erst nach 1500 entstandene Bildtafel muß ein Opfer der Reformation geworden sein, denn die Lutheraner, genauso wie die Calvinisten oder Anhänger von Zwingli hatten diesen, in der Gregorsmesse gelieferten Beweis, daß während der Handlung in der heute katholischen Messe – damals war sie einfach die Messe – der Wein zum Blut Christi werde und sein Fleisch sich in der Hostie wiederfinde, strikt widersprochen und fundamental für sich abgelehnt. Man nennt diesen Vorgang Transsubstantiation, wenn der Priester in der Eucharistiefeier die Wandlung von Wein zu Blut und Brot (Hostie) zu Fleisch vollzieht. Der Heilige Gregor nun, einer der vier Kirchenväter, der um 600 Papst war, soll - so berichtet auch die Legenda Aurea und zeigen eine Vielzahl von Bildern – soll einer ungläubigen Bäckersfrau den Glauben eingetrichtert haben, als bei seiner Zitierung des göttlichen Fleisches und Blutes während der Messe tatsächlich Christus und zwar als Schmerzensmann mit den Arma Christi, seinen Folterwerkzeugen auf dem Altar erschien.

 

Die hiesige Gregorsmesse – und das ist die zweite Besonderheit - entstammt einer anderen Legende. Auch hier erscheint Christus während der Wandlung, aber er steigt aus einem Sarkophag und trägt nur einige Leidenswerkzeuge wie die Dornenkrone, die Lanze und Geißelsäule mit sich, was dem vor ihm knienden Gregor auch deshalb sagt, was Sache ist, weil der Kelch, in dem sein Blut aufgefangen wird, klein und zierlich vor ihm auf dem Altar steht. Ihm zur rechten Seite die weiteren drei Kirchväter, gut zu erkennen ist immer Hieronymus mit Kardinalshut, die beiden anderen sind Augustinus, Bischof in Nordafrika und Ambrosius, der Bischof von Mailand. Was diese Gregorsmesse zum Dritten so ungewöhnlich macht und weshalb wir bei ihr verweilen, hat mit der rechten und linken Seite der Tafel zu tun.

 

Da sieht man nämlich rechts einen Engel thronen, der unter sich in der Hölle die Menschen verbrennen läßt, während auf der linken Seite ein Engel hilfreich einen Menschen aus dem Fegefeuer zieht und die nächsten schon darauf warten, ebenfalls errettet zu werden. Das ist sonst kein Motiv auf Gregorsmessen. Daß dann noch auf der linken Seite, wo die Rettung naht, drei wohlgestaltete Herren beieinanderstehen, während auf der rechten Seite, wo die Verdammnis herrscht, die drei Kirchenväter beisammen stehen, ist eine wunderliche Anordnung, die wir ikonographisch nicht deuten können. Wohl aber, daß der Meister der 143,5 Zentimeter breiten und 46,5 hohen Tafel sich schon in der Renaissancemalerei auskannte, denn die Tafel kommt sichtlich noch aus dem Spätmittelalter, führt aber schon weiter. Fortsetzung folgt.

Foto: Tino Sieland

 

Bis 13. April 2014 Mühlhäuser Museen, Museum am Lindenbühl

 

Vom 28. Mai bis 7. September 2014 Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

 

Vom 7. November 2014 bis 15. Februar 2015 Kulturhistorisches Museum Magdeburg

 

 

Katalog:

 

Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland, hrsg. im Auftrag der Mühlhäuser Museen, des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig und des Kulturhistorischen Museums Magdeburg von Hartmut Kühne, Enno Bünz und Thomas T. Müller, Michael Imhof Verlag 2013

 

Der über 400 Seiten starke Band besticht zuerst einmal durch den grünen Einband mit einer, der Koimesis entlehnten Sterbeszene, wo nämlich der zweiflügelige Engel – bei Maria sind es die vier- und sechsflügeligen Cherubim und Seraphim – die Seele in Form eines kleinen Kindes entgegennimmt, die gerade dem Mund des sterbenden Bischofs entfleucht, um sie in den Himmel zu tragen. Es ist der Heilige Nikolaus, wie man dem sechsteiligen Altarflügel auf Seite 48 entnehmen kann. Dort kann man auch genau nachlesen, was dem Bischof von Myra alles passiert ist, weshalb wir gleich sagen, daß die Mitnahme des Katalogs so wichtig ist, wie die Ausstellung anzuschauen. Denn durch Nachlesen kann man das Wissen erwerben, das uns heute angesichts religiöser Kunst meist fehlt und sich zudem an dem mit den eigenen Augen Gesehenen in den Abbildungen erneut erfreuen, über die man nun sehr viel mehr weiß.

 

Der Katalog ist ein richtiges Besucherbuch, denn es hat als einzige Zielsetzung, die sieben Stationen der Ausstellung mit all den Objekten abzubilden und diese in ihrem Gebrauch, aber auch ihren Materialien und Herkommen vorzustellen. Die sieben Stationen werden ebenfalls auf ein-zwei Seiten in ihrem Wert für den Christen vorgestellt. Die notwendigen längeren Essays über die Zeit und die Problematik, uns heute über so vieles Unklare Gewißheit zu verschaffen, sind in einem weiteren Band zusammengefaßt, dessen Grundlage ein wissenschaftliches Symposium war, der aber erst später erscheinen wird.

 

Das gibt den Kunstwerken und all den Dingen, die zur Glaubensausübung dienten, Platz, sich in Bild und Beschreibung auszubreiten, weshalb dies ein besonders leserfreundlicher Katalog ist, dessen Bilder schön und groß abgedruckt sind, wie man das jetzt schon als Imhofsche Qualität zu schätzen gelernt hat,

 

www.muehlhauser-museen.de