Serie: „Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation“ im thüringischen Mühlhausen, Teil 3/4

 

Claudia Schulmerich

 

Mühlhausen (Weltexpresso) – Wir hätten noch viel von der MESSE zu berichten, denn hier sind im Prunk, den die Kirche aller Couleur den liturgischen Gegenständen zukommen ließ, herrliche Meßkännchen, Kelche und Patene zu sehen, kunstvolle Arbeiten, letztere aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts und einfach wunderschön. Zwei Dinge wollen wir noch benennen, die zeigen, was das Neue und Unerwartete an dieser Ausstellung ist.

 

Noch nie war ein derartiges LESEPULT, ebenfalls 2. Hälfte 15. Jahrhundert, zu sehen, das traditionell auf dem Altartisch stand und auf dem das Missale aufgeschlagen lag. Es ist einfach ein Stück Holz mit schrägem Verlauf, so simpel und einfach, daß man sich gut vorstellen kann, daß die Dorfkirchen grundsätzlich eine andere, eine dürftigere und bescheidenere Ausstattung hatten als der Prunk von Kirchenausstattungen, der sich schon der wertvollen Materialien wegen erhalten hat.

 

Und dann gibt es hier eine sogenannte PAXTAFEL. So etwas sahen wir ebenfalls in solch einfacher Ausfertigung noch nie. Diese Tafeln, auch Kußtafeln genannt, wurden seit dem 13. Jahrhundert in Messen von den Gläubigen benutzt, um den liturgischen Friedenskuß des Priesters vor der Eucharistie an die Gemeinde weiterzugeben. Darum wurde hier auf der Rückseite der Tafel der Griff zum Weiterreichen angebracht, womit man sie auch auf den Altar stellen konnte. Diese Paxtafel hat eingelassen eine dreifigurige Kreuzigungsszene in Holzschnittmanier und ist bedeckt mit einem grünen Glas. Neben diesen seltenen Stücken, gibt es in diesem Teil der Ausstellung in Fülle bekannte rituelle Gegenstände: wirklich herrliche Meß- und andere Gewänder, Reliquienfunde etc.

 

Wir müssen weiter zur BEICHTE: Ja; es stimmt, die war nicht immer nötig, um die Eucharistie feiern zu dürfen, wurde aber mit dem 4. Laterankonzil von 1215, das so viel im Meßablauf und den Kirchen veränderte, üblich und dann zur Pflicht. Interessant, die Ausführungen zu lesen, wie erst durch die Einführung der Beichte überhaupt ein Sündenbewußtsein geschaffen wurde, Sünden, von denen man sich mit vertiefter Frömmigkeit und dem Ablaßwesen reinigen konnte, was das Schwungrad von Sünde, Buße und Vergebung erst richtig in Gang setze und nie aufhören ließ.

 

Darum gehören in diesen Kontext Darstellungen vom JÜNGSTEN GERICHT, wobei die fränkische Reproduktion um 1496 genau die Anschauung vermittelt, die im Herzen der Gläubigen wohnte. Es ist die verdichtete Version, wo Christus als Weltenherrscher auf der Weltkugel thront, die beiden Fürbitter Maria und Johannes der Täufer ihm zu Seite, während sie den Gottessohn trotz Wiederauferstehung und Himmelfahrt mit seinen Wundmale noch als Schmerzensmann zeigen. Gemäß mittelalterlicher Bedeutungsperspektive gegenüber der Trias verkleinert, blasen Engel rechts und links zum Jüngsten Gericht, während die Menschlein da unten immer noch kleiner werden. Die in der Mitte entsteigen dem Gräberfeld, wobei die schon Aufgestiegenen auf der rechten Seite gleich von den schrecklichen Phantasietieren und Tiermenschen in die Hölle geschleppt werden, während auf der linken Seite edle Jungfrauen den Aufstieg ins Paradies antreten, wo oben Petrus an der Himmelpforte zu allererst die kirchlichen Würdenträger – nackt, aber mit Bischofsmütze und Mitra, wirklich allerliebst und komisch – erwartet.

 

Das Bild bewirkt nicht die Rührung, die spätmittelalterliche Malerei so oft auslöst, wenn es dem Künstler gelingt, mit Farbe und Form die dahinterliegende Emotion einem einzupflanzen. Hier kommt alles etwas hölzern daher, ganz ohne innere Beteiligung. Die haben wir intellektuell dann aber trotzdem sofort, als uns auffällt, daß innerhalb der rechten Gruppe der Verdammten, um die eine Schlinge gelegt ist, es sich um prominente Personen handeln muß. Die einen sind kirchliche Würdenträger, da ist einer mit einer Mitra und einer mit der Bischofsmütze, aber der da trägt doch sogar eine Königskrone und der rechte sieht mit roter Kardinalsgewandung und Hut aus wie der Heilige Hieronymus. Das müssen wir uns das nächste Mal, wozu bis 2015 in drei Museen Zeit ist - doch noch einmal genauer betrachten, was auf dieser gewaltigen Tafel mit den Maßen von 153 x 215 Zentimetern letztlich die Bildaussage sein soll. Denn nie und nimmer erwarten wir auf einer Tafel vor 1500 in einer bildlichen Darstellung eine kritische Sicht auf die Kirche. Sehr spannend.

 

 

Bis 13. April 2014 Mühlhäuser Museen, Museum am Lindenbühl

 

Vom 28. Mai bis 7. September 2014 Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

 

Vom 7. November 2014 bis 15. Februar 2015 Kulturhistorisches Museum Magdeburg

 

 

Katalog:

 

Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland, hrsg. im Auftrag der Mühlhäuser Museen, des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig und des Kulturhistorischen Museums Magdeburg von Hartmut Kühne, Enno Bünz und Thomas T. Müller, Michael Imhof Verlag 2013

 

Der über 400 Seiten starke Band besticht zuerst einmal durch den grünen Einband mit einer, der Koimesis entlehnten Sterbeszene, wo nämlich der zweiflügelige Engel – bei Maria sind es die vier- und sechsflügeligen Cherubim und Seraphim – die Seele in Form eines kleinen Kindes entgegennimmt, die gerade dem Mund des sterbenden Bischofs entfleucht, um sie in den Himmel zu tragen. Es ist der Heilige Nikolaus, wie man dem sechsteiligen Altarflügel auf Seite 48 entnehmen kann. Dort kann man auch genau nachlesen, was dem Bischof von Myra alles passiert ist, weshalb wir gleich sagen, daß die Mitnahme des Katalogs so wichtig ist, wie die Ausstellung anzuschauen. Denn durch Nachlesen kann man das Wissen erwerben, das uns heute angesichts religiöser Kunst meist fehlt und sich zudem an dem mit den eigenen Augen Gesehenen in den Abbildungen erneut erfreuen, über die man nun sehr viel mehr weiß.

 

Der Katalog ist ein richtiges Besucherbuch, denn es hat als einzige Zielsetzung, die sieben Stationen der Ausstellung mit all den Objekten abzubilden und diese in ihrem Gebrauch, aber auch ihren Materialien und Herkommen vorzustellen. Die sieben Stationen werden ebenfalls auf ein-zwei Seiten in ihrem Wert für den Christen vorgestellt. Die notwendigen längeren Essays über die Zeit und die Problematik, uns heute über so vieles Unklare Gewißheit zu verschaffen, sind in einem weiteren Band zusammengefaßt, dessen Grundlage ein wissenschaftliches Symposium war, der aber erst später erscheinen wird.

 

Das gibt den Kunstwerken und all den Dingen, die zur Glaubensausübung dienten, Platz, sich in Bild und Beschreibung auszubreiten, weshalb dies ein besonders leserfreundlicher Katalog ist, dessen Bilder schön und groß abgedruckt sind, wie man das jetzt schon als Imhofsche Qualität zu schätzen gelernt hat,

 

www.muehlhauser-museen.de