Serie: „Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation“ im thüringischen Mühlhausen, Teil 4/4

 

Claudia Schulmerich

 

Mühlhausen (Weltexpresso) – Wir schauen uns um. Wir stecken immer noch in den Auswirkungen, die das erste Kapitel DIE PFARRKIRCHE mit den Sakramenten für uns bereithält. In diesem Kontext kommen noch die Ehe und das, was aus der überlieferten Praxis, Kranke zur Heilung zu salben, in den Riten der Kirche wurde: die Absolution der Sünden nach der Buße und der Empfang der geweihten Hostie, was als letzte Ölung in den Sprachgebrauch überging.

 

Dies geht bruchlos in den zweiten Ausstellungsteil, das Kapitel GEMEINSCHAFT DER LEBENDEN UND DER TOTEN über, wo uns erst einmal der Gute Tod empfängt. Sodann eine so liebevoll gestaltete, reliefplastische Tafel aus Lindenholz nach 1500, in der die zum Sterbebett geeilten Apostel alle recht alt und graubärtig versammelt sind, aber dem ebenfalls schräg ins Bild gesetzten Marienlager kaum Aufmerksamkeit schenken. Das gilt zumindest für die rechte Gruppe, die nämlich uns anstiert, während die vier Linkseitigen knien und beten, was auch rechts ein einziger tut. Die herausgehobene Stellung des Evangelisten Johannes am Kopfende der Madonna, die auf jeder Darstellung der Koimesis vorkommt, zeigt hier schon den jungen Johannes von der Kreuzigung, während er auf vielen mittelalterlichen Darstellungen noch dem antiken Gelehrtentypus gleicht, wie ihn auch die byzantinischen Darstellungen immer alt aussehen lassen. Interessant.

 

Und wir vergnügen uns an den sprachlichen Ableitungen, die der Ausstellungstitel UMSONST IST DER TOD provoziert. Er kostet immerhin das Leben, ist witzig. Richtig teuer, zumindest für die Angehörigen wird es nach dem Tod. Da schlagen Kirche, Sterbeindustrie und Gemeinde so richtig zu.Das nur nebenbei. Wir aber lassen ab hier die Kunst des Sterbens und die weiteren Ausstellungsteile nur noch als Überschriften vorüberziehen. Es ist wie immer. Entweder man leistet einen groben Überblick, aber wehe, wenn man sich wirklich auf die Gegenstände einläßt. Dann kommt man im Ablauf nicht weit, aber dafür doch in die Tiefe der Details.

 

Den Besucher erwartet noch als dritter Teil STETS UNTER HIMMLISCHEN SCHUTZ. Kapitel 4 nennt sich FRÖMMIGKEIT UNTERWEGS und bringt all die interessanten Ausführungen und dinghaften Überbleibseln von Wallfahrten die uns bis heute begeistern, LAIEN MACHEN KIRCHE heißt das 5. Kapitel, das 6. FRÖMMIGKEIT: HÖRBAR, SICHTBAR, FASSBAR und der Abschluß DER ABLASS UM 1500, der schon deshalb interessant ist, weil wir alle in der Schule gelernt haben, daß sich an seinem Unwesen die Reformation entzündet haben soll. Das ist ein gutes Stichwort. Denn wir sind noch unsere Antwortung auf die Frage nach der Konjunktur oder der Krise des Glaubens schuldig, die doch zur Reformation führte. Das ist mitnichten eine Alternative. Denn so sehr es stimmt, daß der Glauben selbst nicht in der Krise war, wie diese Ausstellung zu beweisen versucht und es auch kann, so sehr waren die kirchlichen Institutionen in der Krise.

 

Priester wurden selbst in Pfarrkirchen von adeligen Familien nach Gutdünken eingesetzt, die Pfarreien mit Pfründen waren dabei besonders beliebt; auch das höhere Kirchenpersonal zeigte überall die gelebte Divergenz zwischen religiösem Anspruch und gelebter Wirklichkeit, beispielsweise durch Mätressen und eigene Kinder der Umwelt ganz unverhohlen. Die von der Gemeinde gespendeten Gelder wurden für Luxus mißbraucht, vom Ablaßwesen und dem Papstunwesen in Rom ganz zu schweigen. Es läßt sich eine ganze Menge von Mißständen aufführen, die die Gläubigen aufregen konnte und nach einer neuen Kirche dürsten ließ, gerade weil sie ihren Glauben ernst nahmen. Also eine Krise der Institution Kirche und die Konjunktur in der Glaubensintensität!

 

Versäumen Sie nicht die zwei Korrespondenzausstellungen in Mühlhausen zu besuchen, wie Sie überhaupt den Besuch der Ausstellung mit dem Durchstreifen der alten thüringischen Stadt verbinden sollten, deren Rathaus uns...aber nein, das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall halten wir uns in dieser Gegend in einem Zentrum deutschen Geisteslebens auf, das den meisten viel zu wenig bekannt ist, weshalb diese Ausstellung gerade recht kommt, auch Mühlhausen und die umliegenden Städte zu besuchen.

 

 

 

Bis 13. April 2014 Mühlhäuser Museen, Museum am Lindenbühl

 

Vom 28. Mai bis 7. September 2014 Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

 

Vom 7. November 2014 bis 15. Februar 2015 Kulturhistorisches Museum Magdeburg

 

 

Katalog:

 

Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland, hrsg. im Auftrag der Mühlhäuser Museen, des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig und des Kulturhistorischen Museums Magdeburg von Hartmut Kühne, Enno Bünz und Thomas T. Müller, Michael Imhof Verlag 2013

 

Der über 400 Seiten starke Band besticht zuerst einmal durch den grünen Einband mit einer, der Koimesis entlehnten Sterbeszene, wo nämlich der zweiflügelige Engel – bei Maria sind es die vier- und sechsflügeligen Cherubim und Seraphim – die Seele in Form eines kleinen Kindes entgegennimmt, die gerade dem Mund des sterbenden Bischofs entfleucht, um sie in den Himmel zu tragen. Es ist der Heilige Nikolaus, wie man dem sechsteiligen Altarflügel auf Seite 48 entnehmen kann. Dort kann man auch genau nachlesen, was dem Bischof von Myra alles passiert ist, weshalb wir gleich sagen, daß die Mitnahme des Katalogs so wichtig ist, wie die Ausstellung anzuschauen. Denn durch Nachlesen kann man das Wissen erwerben, das uns heute angesichts religiöser Kunst meist fehlt und sich zudem an dem mit den eigenen Augen Gesehenen in den Abbildungen erneut erfreuen, über die man nun sehr viel mehr weiß.

 

Der Katalog ist ein richtiges Besucherbuch, denn es hat als einzige Zielsetzung, die sieben Stationen der Ausstellung mit all den Objekten abzubilden und diese in ihrem Gebrauch, aber auch ihren Materialien und Herkommen vorzustellen. Die sieben Stationen werden ebenfalls auf ein-zwei Seiten in ihrem Wert für den Christen vorgestellt. Die notwendigen längeren Essays über die Zeit und die Problematik, uns heute über so vieles Unklare Gewißheit zu verschaffen, sind in einem weiteren Band zusammengefaßt, dessen Grundlage ein wissenschaftliches Symposium war, der aber erst später erscheinen wird.

 

Das gibt den Kunstwerken und all den Dingen, die zur Glaubensausübung dienten, Platz, sich in Bild und Beschreibung auszubreiten, weshalb dies ein besonders leserfreundlicher Katalog ist, dessen Bilder schön und groß abgedruckt sind, wie man das jetzt schon als Imhofsche Qualität zu schätzen gelernt hat,

 

www.muehlhauser-museen.de