„Ist das Kunst oder kann das weg?“

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Ein Stoffel, der so'was fragt?
Ich erinnere mich an die Aufregung über „weggescheuerte“ Kunst, nachzulesen in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 4, November 2011: „800.000 Euro weg mit einem Wisch: In einem Dortmunder Museum säuberte eine Putzfrau eine Gummiwanne. Leider gehörte der schmutzige Trog zu einer Installation des Künstlers Martin Kippenberger.“ Dessen Werk mit dem Titel „Wenn's anfängt durch die Decke zu tropfen“ aus dem Jahr 1987 hatte einen Versicherungswert von etwa 800.000 Euro.

< Birgit Werres - Ohne Titel #20/18 2018 / Karton / 192 x 97 x 22 cm

Die Installation stellte einen Turm aus Holzlatten dar und war dem Museum von einem Sammler ausgeliehen worden. Unter dem Holzgestell befand sich der besagte Gummitrog. Dessen Patina hatte die Putzfrau entfernt. Nach Einschätzung der Museumsrestauratorin war der Ursprungszustand des Werkes nicht wieder herzustellen. Weiter in der SZ: "Der Vorfall erinnert an ähnliche Zerstörungen von Werken von Joseph Beuys. So reinigten zwei Frauen 1973 bei einer geselligen Feier des SPD-Ortsvereins Leverkusen-Alkenrath eine von Beuys mit Mullbinden und Heftpflastern versehene Badewanne für Babys – um darin Gläser zu spülen.“

Die Redaktion der Deutschen Ausgabe von „LE MONDE diplomatique“ hat es sich zur Gewohnheit gemacht, in jeder Ausgabe auf einigen ihrer Seiten nach einer Kurzbiografie Arbeiten von Künstlern und Künstlerinnen zu zeigen, die sie für bemerkenswert hält. In dieser Dezember-Ausgabe sind es z.B. diese:
 



Die Künstlerin heißt Birgit Werres und wenn man im Internet nachschaut, lernt man, die Redaktion von „LE MONDE diplomatique“ hat offenbar ein Händchen für Künstler, die schon auf vielen Erdteilen Erfolge hatten. Es gibt eine schier endlose Liste von Ausstellungen, Veranstaltungen und Vorträgen von und mit Birgit Werres.




Im Dezember 2003 hiess es in einer Veröffentlichung der Kunsthalle Gießen:
Birgit Werres Arbeiten bestechen zunächst durch ihre Schlichtheit. Ihre Wand- und Bodenobjekte bestehen meistens aus kaum mehr als zwei unterschiedlichen Materialien. Bei diesen Materialien handelt es sich überwiegend um industriell hergestellte Stoffe, oft Fehl- und somit Abfallprodukte, Fundstücke oder Verpackungsmaterialien wie Folien, Netze, Schläuche, Kabel, Metallstücke, Styropor, Gummi oder Plastik, seltener Stein und Ton. Diese für sie faszinierenden Werkstoffe findet die Künstlerin auf Messen, Baustellen oder im freien Gelände, wo sie auf ständiger Suche nach Neuem ist. Dabei ist die einstige Funktion dieser 'gefundenen Objekte' nicht von Interesse, auch die ursprüngliche Verwendung ist für ihre Arbeit sekundär. Viel wichtiger ist ihr, wie etwas konstruiert ist. Ausschlaggebend sind und bleiben Material, Oberflächenbeschaffenheit und Farbe. Diese Faktoren bestimmen fast immer Form und Größe der endgültigen, durchweg nicht betitelten, 'abstrakten' Werke. Für die Kunsthalle Gießen wird Birgit Werres überwiegend neue, auf den Ort bezogene Arbeiten schaffen, in denen Materialien aus lokalen und regionalen Industrieunternehmen zum Einsatz kommen.
https://idw-online.de/de/news73121

Hier zeige ich ein Werk, das nicht von „LE MONDE diplomatique“ abgedruckt wurde, bei genauerer Betrachtung, aber immerhin die zukünftige Funktion der beiden gefundenen Objekte erahnen lässt:
 

Korkrinde, gefunden bei einer Wanderung in Italien. Ein Glasbrocken, übriggeblieben nach dem Schaden bei einer Nienburger Glas-Schmelze. ... Aus dem braunen Glas hätte eine Weinflasche werden können? Aus der Rinde der dazu passende Korken?
Sorry, beides ist nicht ein Kunstwerk von Birgit Werres, sondern liegt bei mir zu Hause auf der Fensterbank.

Wann ist Kunst Kunst?
 
Kunst oder Marke? Kunst und Marke! - Jochen Strauch
https://www.jochenstrauch.com/kunst-oder-marke-kunst-und-marke/
Wenn man das Überangebot an Kulturangeboten und den Kostendruck auf die Institutionen betrachtet, kommt man nicht umhin festzustellen, dass es für eine Kultureinrichtung heute darum geht, durch Profilbildung und konsistente Imagearbeit Aufmerksamkeit zu erzeugen, Unterscheidbarkeit bzw. Wiedererkennbarkeit herzustellen und Identifikationsangebote an ihre Zielgruppen zu formulieren. Solche Bemühungen können bei erfolgreicher Koordinierung in der Etablierung einer ‚Marke’ münden – ob man sie nun so nennt oder einen Alternativbegriff findet. Trotzdem muss man genau hinschauen: Woraus besteht die Marke? Wer kreiert sie? Welchen Nutzen hat sie? Und welchen Schaden kann sie der Kunst antun?

Marketing? Rating? ... am Ende eine festgelegte Künstler-Marke, welche eine kreative Weiterentwicklung, gar eine Abkehr von dieser Marke gar nicht mehr erlaubt? ... weil erneut: Marketing? Rating? ...

Über eine Aufklärung, z.B. durch die Kolleginnen und Kollegen bei „LE MONDE diplomatique“, würde ich mich freuen:

Wer entscheidet weshalb was als Kunst präsentiert wird?

Ja, und da kam rasche Auflärung von LM, nicht zur Frage wie was weshalb ausgesucht wird, sondern zu ganz unkünstlerischen Rechtsfragen:

17.12.2020
"Lieber Herr Schmidt,
vielen Dank für Ihr Interesse an der Kunst in LMd. Wir finden Birgit Werres auch ganz toll, aber bitte ändern Sie umgehend das copyright Le Monde/KJS, weil die Rechte nicht bei uns liegen (und Le Monde diplomatique bitte nicht mit der Tageszeitung Le Monde verwechseln), sondern bei der VG Bild und Kunst und Birgit Werres. Wenn Sie die Bilder veröffentlichen möchten, brauchen Sie *vorher* eine Freistellung von Birgit Werres, die Sie an die VG Bild und Kunst senden müssen ..."

Was macht da der "Weltexpresso"-Autor in seiner Not? Er präsentiert Ihnen nicht mehr Bilder von Birgit Werres, sondern Bilder von Seiten der gedruckten und bei mir per Post angekommenen "Le Monde diplomatique - Deutsche Ausgabe" - hab ich ja im Abo.



FOTOS:
© KJS

Info:
http://www.radiobridge.net