Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die wichtigste Nachricht vorneweg: Diese Rembrandt- Ausstellung im Städel, die imposant und schwergewichtig ist, verlassen Sie nicht erschlagen, sondern voller Euphorie und Schwung, regelrechte Energie durchströmt Sie, auch eine große Dankbarkeit, daß sich viele Menschen solche Mühe auf sich nehmen, Sie glücklich zu machen. Denn genau das ist die Empfindung beim Schauen: inneres und innerliches Glück.
Das hat Gründe. Zwei haben unmittelbar mit Frankfurt zu tun, weil das ehrwürdige Städel, als 200jährige Stiftung bis heute eine Besonderheit, mit zwei seiner Pfunde bei dieser Ausstellung wuchert! Das eine ist die Graphische Sammlung, in der sich tatsächlich unzählige Werke von Rembrandt befinden! Und die fünf Zeichnungen und vielen Radierungen in der Ausstellung machen dies deutlich wie nie, denn es ist – leider – doch ein großer Unterschied, ob man die Blätter unten im niedrigen Ausstellungsraum der Graphischen Sammlung betrachtet, wo man sich sogar noch viel näher herantraut, als wenn man hier an den großen Wänden im Städelanbau erkennt, daß die Zeichnungen und Radierungen sich gegenüber den größeren und bunten Gemälden behaupten. Und wie! Diese Erfahrung ist eine seltene und wir rätseln immer noch, ob das an der Kunst Rembrandts liegt oder an der geschickten Hängung, womit wir beim zweiten Pfund wären: Jochen Sander, ja, ja, Professor und Doktor auch, aber vorwiegend ein begnadeter Kunsthistoriker, was seine Fans im Museumsverein und bei seinen Führungen sowieso wissen. Es ist eben auch eine Kunst, Kunst vermitteln zu können. Jochen Sander ist als Kurator der Ausstellung auch Stellvertretender Direktor und Sammlungsleiter für Holländische, Flämische und Deutsche Malerei vor 1800 am Städel.
Die Fähigkeiten von Jochen Sander, Bilder an der Wand lebendig werden zu lassen, den Zuschauer zum Komplizen zu machen, also willens und fit gemacht für den Dialog, hier mit Rembrandts Werken, was seine Führungen im Städel grundsätzlich auszeichnet, funktionierte auch in der Pressekonferenz. Welche gute Idee, nicht nur über etwas zu reden, sondern die Bilder großformatig an die Wand zu werfen, so daß jedes Wort am Bild überprüft werden konnte. Und bei Rembrandt braucht man viele Worte. Das liegt an seiner speziellen Schaffenskraft, die eigentlich jeden wirklich großen Künstler auszeichnet: nicht auf das, was man gelernt hat, was man inzwischen richtig gut kann, zu bauen und dies immer wieder von Neuem zu reproduzieren, sondern – das gilt für Maler – nach und nach alle Genres zu meistern. Für die Niederlande heißt das, daß, seit die Kunst nicht mehr nur in Kirchen oder Palästen hängt, sondern an den Wohnstuben des gehobenen Bürgertums, daß neben das religiöse Bildnis, die mythologischen Darstellungen, die Porträts der Notablen und auch dem Historienbild neue Genres treten.
Es ist übrigens ein Bild im Städel, an dem dieser Übergang geradezu didaktisch studiert werden kann. Das ist MARKTSTÜCK MIT CHRISTUS UND EHEBRECHERIN von Pieter Aertsen, 1559.
Damals war es noch nötig, etwas Christliches im Bild dabei zu haben. Aber bei Aertsen müssen Sie genau hinschauen, denn Christus und die Ehebrecherin kippen hinten fast aus dem Bild hinaus. Der Blick wird einfach angezogen vom Vordergrund, dem Marktgeschehen, das man aber damals ohne etwas Christliches noch nicht zeigen konnte, in dem Sie sowohl das zukünftige Stilleben – Blumen, Früchte, tote Tiere – finden, aber auch das Porträt und die kleinen, einfachen Leute, die später als Genreszenen eine niederländische Spezialität werden, Sie finden im Bild durch die Bäume schon die Anfänge des Landschaftsbildes, das sich bald als eigenes Genre emanzipiert und ganz hinten sehen Sie Wasser, eher ein See denn ein Fluß und somit schon die Andeutung der zukünftig beliebtesten Gattung des Landes: des Seestücks, das 100 Jahre später in jedem besseren niederländischen Haus hängt.
P.S.
Nein, meine Kollegin hat nicht recht! Sie wollte, daß ich schreibe, daß das Städel nicht mit seinen Pfunden wuchere, also keinen Wucher -negativ - betreibe, sondern alles ausgebe, also alles aus den Archiven an die Wände hänge – positiv- ....Aber nein, der bekannte Ausdruck ist positiv gemeint, wenn man mit seinen Pfunden wuchert, dann macht man mehr daraus, bietet alles allen an. Das Gegenteil wäre dagegen, seine Pfunde zu vergraben, dann sind sie nämlich weg. Unsichtbar.
FORTSETZUNG FOLGT
Fotos:
Titel:Jochen Sander vor dem überlebensgroßen Rembrandt
Text: Museumsdirektor Philipp Demandt kommt hier noch nicht zum Zug, später schon.
Jochen Sander bei seinem Interview mit dem Hessischen Rundfunk
©Redaktion
Info:
Ausstellung bis zum 30. Januar 2022
www.staedelmuseum.de
Auf den umfangreichen Katalog aus dem Hirmerverlag gehen wir noch gesondert ein.