DÜRER. Kunst – Künstler- Kontext im Frankfurter STÄDEL, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Manch Ding muß Weile haben. Abgehangen heißt es bei Fleischstücken. Wir haben uns die von Jochen Sander kuratierte Ausstellung DÜRER für zwischen die Jahren aufgehoben, denn diese exzellente Schau hatte zu Beginn völlig zu Recht ein derart gewaltiges öffentliches Echo, daß wir mit unserer Lobpreisung zum jetzigen Zeitpunkt verbinden können: Achtung, am 2.2.2014 ist Ende. Unbedingt vorher kommen.
arum man das nicht laut genug sagen kann, hat damit zu tun, daß wir niemals eine so kompakte Dürerausstellung sahen, wie die des Städel. Es geht gar nicht einmal um die 200 eigenhändigen Werke von 280 ausgestellten, was schon für sich spricht. Es geht darum, daß erstmalig der GANZE DÜRER gezeigt wird, der zudem in den Kontext seiner Zeit gestellt ist, so daß man erfährt, woher er künstlerisch kommt,mit wem er kooperiert und welche Nachfolge er hat. Man kann sich Dürerausstellungen vorstellen, die viel glänzender sich auf 20 Meisterwerke beschränken, was auch schön anzusehen ist, oder eine wie der FRÜHE DÜRER, letztes Jahr in Nürnberg, sehr interessant und aufschlußreich. Hier im Städel hat Kurator Jochen Sander stattdessen versucht, alle Facetten des Lebenswerkes, in ihrer Verschränkung an den Wänden wiederzugeben. Es ist ihm gelungen.
So sehen wir den gelernten Maler und Goldschmied, der 1471 in Nürnberg geboren wurde – der Vater war aus Ungarn eingewandert – als Tafelmaler mit seinen gefeierten Porträts und den innovativen prächtigen Altären, den Meister des Holzschnitts und Revolutionär des Kupferstichs, der ebenfalls Vorlagen für andere Techniken machte, für Glas-, Buch- und Wandmalereien, Skulpturen, Porzellan und Schmuck. Daneben verfolgte er die Wissenschaftsdebatten seiner Zeit. Er erforschte Natur und Mensch, auch wie sich dessen Proportionen zeichnerisch genau wiedergeben lassen und schrieb über seine Erkenntnisse und Erfahrungen Lehrbücher. Er machte sich auf den Weg nach Nordwesten, die Niederlande und in den Süden, nach Südtirol und vor allem Venedig, zum einen, um von dortigen Künstlern zu lernen, aber auch, um sich und seine Werke bekanntzumachen und Märkte zu gewinnen.
Niemals wurde bei einer Dürerausstellung seine Frau und seine Mutter Barbara – sein erstes offiziellen Bild, ihr Porträt aus Nürnberg hängt auch hier,hier abgebildet – so gewürdigt als diejenigen, die unermüdlich seine Werke unter die Leute brachten und so auch jedes Jahr bei der Frankfurter Messe Dürerwerke präsent waren und verkauft wurden. Später übernahmen diese Funktion auch Handlungsreisende in ferne Städte und Länder. Die Frankfurter Ausstellung zeigt am Beispiel Dürers auch, wie sich ein Künstler im Spätmittelalter/Neuzeit selbst zu vermarkten lernte: da mußte zuerst ein Markenzeichen her, Dürers berühmte ineinander gestellte Initialen, ein echtes 'Copyright', mit dem er seine Bilder adelte. Längst hatte er zudem in Nürnberg eine Werkstatt, die seine Entwürfe verarbeitete oder seine „Renner“ kopierte. Er starb schon 1528 im Alter von nur 57 Jahren - wahrscheinlich an einer Malaria-Erkrankung.
Es stimmt also, was sich Jochen Sander wünschte: „Die umfassende Präsentation im Städel zeigt Dürers Kunst im Kontext ihrer Zeit und unterscheidet sich darin deutlich von vergleichbaren Ausstellungen der Vergangenheit. Sinne künstlerischen Innovationen, seine theoretischen Forschungen und nicht zuletzt sein Gespickt in der Vermarktung und Inszenierung seines Schaffens machten Dürer schon zu Lebzeiten zu einem der einflußreichsten europäischen Künstler. Diesen 'ganzen' Dürer wollen wir in unserer Ausstellung zeigen.“
Und nebenbei hat das Städel für diese Ausstellung durchaus vom großen Altdeutschen gelernt. Denn neben Plakaten, Interviews, Radio- und Fernsehsendungen, konnte man nach der Eröffnung jeden Tag im Hessischen Rundfunk Städel Chef Max Hollein über seine ausgewählten Lieblingsdürer sprechen hören. Und zwar inhaltlich und sehr kompetent und sympathisch dazu. Es gab im Radio immer wieder auch weitere Ausstellungsberichte. Das verdankt sich einer Kooperation beider Häuser, was für die Hörer viel bringt..Die Führungsdichte und das Rahmenprogramm im Städel sind ebenfalls erwähnenswert.
Auf den rund 1000 Quadratmetern in den zwei Stockwerken des Städelanbaus, dem sogenannten Peichlbau – Gustav Peichl und Hans Hollein, Vater des Städeldirektors, sind beide berühmte Wiener Architekten, die beide in Frankfurt bauten, Hans Hollein das MMK, Museum für Moderne Kunst – sind sie nun versammelt, die 280 Arbeiten mit Tafel- und Leinwandbildern, Handzeichnungen, Blätter mit unterschiedlichen druckgraphischen Techniken – nein, weder die BETENDEN HÄNDE, noch DER HASE aus der Albertina in Wien sind reisefähig - , sowie von Albrecht Dürer verfaßte und illustrierte Bücher, die in eigenen Vitrinen aufgeschlagen eine nicht so bekannte Seite von ihm zeigen. Fortsetzung folgt.
Bis 2.Februar 2014
Katalog:
Dürer. Kunst-Künstler-Kontext, , hrsg. von Jochen Sander, Prestel Verlag 2013
Eine fulminante Ausstellung braucht auch einen fulminanten Katalog. Den hat Jochen Sander im Verbund mit vielen Mitstreitern – darunter auch vom ehemaligen Städelmitarbeiter Stephan Kemperdick, jetzt Kustos in der Berliner Gemäldegalerie – geleistet. Und zwar in einer für den Ausstellungsbesucher und Leser besonders günstigen Form. Oft wird in Katalogen in erhofften tiefgehenden Analysen in seitenlangen Essays die Kunstgeschichte befragt und fortgeschrieben und im Katalogteil dann die Werke der Ausstellung nur abgebildet. Das ist hier anders.
Nach einer Einführung von Jochen Sander DÜRER IN FRANKFURT, erfolgen an Dürers Werkbiographie entlang in 17 Kapiteln die Hintergründe und Interpretationen der ausgestellten Arbeiten, die mit fortlaufenden Katalognummern versehen, dann auch direkt im Bild zu sehen sind. Dadurch verbinden sich Text und Abbildung glücklich. Gleich im ersten Kapitel von Karoline Feulner ZU TRADITION UND INNOVATION: DÜRERS GOLDSCHMIEDELEHRE ALS GRUNDLAGE FÜR SEINE DRUCKGRAPHIK, erfreut einen einfach auf den Seiten 29 und 30, wenn rechts die Federzeichnungen eines Heiligen Georg und Heilgen Christophorus zu sehen sind, und man links im farbigen Porträt einer in ihrem Stundenbuch lesenden Frau von Ambrosius Benson Dürers Schmuckvorlage als gewaltigen Anhänger auf der Brust der jungen Dame sehen kann. Für Kunsthistoriker eine Bestätigung, daß die Schmuckzeichnung ausgeführt wurde, wofür meist die Beweise fehlen. Die besondere Zeichenfertigkeit Dürers, das liest man später, geht eben auch auf seine Goldschmiedeausbildung des Entwerfens zurück.
In „Nach mir selbs kunterfet.“ BILDNISSE UND SELBSTBILDNISSE, dem vierten Kapitel, untersucht Stephan Kemperdick die Entwicklung der Porträts und Selbstporträts, eine der auffälligsten Merkmale Dürers, der sich schon mit 13 Jahren mit einem Silberstift zeichnete, bzw. sein Konterfei im Spiegel abzeichnete. Zwar sind die beiden 'großen' Selbstbildnisse, der sogenannte pelzverbrämte Christus aus München von 1500 und der Hübsche aus Madridvon 1498 nicht ausgestellt, aber beim Kataloglesen versteht man, daß es hier um etwas ganz anderes geht. Nämlich zu eruieren, welche Vorbilder der Zeichner, aber auch der Maler Dürer wirklich hatte, der bei Michael Wohlgemut Nürnberg in die Lehre ging Eindeutig niederländisch, faßt Kemperdick zusammen und führt zudem zum beeindruckenden Vaterbildnis aus Florenz, das letztes Jahr in Nürnberg zu sehen war, jetzt nicht nach Frankfurt durfte, dem Pendant der Barbara Dürer, die in Frankfurt hängt, aus, daß dieses wahrscheinlich gar kein Vaterporträt Dürers des Jüngeren sei, sondern ein Selbstbildnis Albrecht des Älteren. Das muß man erst einmal verdauen, denn es ist eine der schönsten Tafeln, „eyckischer als irgendein deutsches Porträt des 15. Jahrhunderts“, wie Kemperdick seinen Kollegen Winkler zitiert.
Schluß. Wir sind erst auf Seite 98, der Katalog umfaßt 400 Seiten und hat neben der Gewichtigkeit auch das entsprechende Gewicht. Das allerdings lohnt!