„ZURÜCK INS LICHT. Vier Künstlerinnen – Ihr Werke, Ihre Wege“ im Jüdischen Museum Frankfurt bis 17. April 2023, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Man glaubt es nicht, wenn man die Lebensdaten dieser vier, von denen drei Frankfurterinnen sind und eine aus Hessen zuzog, anschaut, ihre Lebenswege verfolgt, ihre Kunstwerke betrachtet, daß man noch nie von ihnen gehört hat, obwohl man Zeit seines Lebens hier ansässig und Zeit seines Lebens sich mit Kunst und gerade auch mit Künstlerinnen beschäftigt hat. Was man schon überhaupt nicht versteht, ist, daß eine von ihnen, Ruth Cahn, als einzige nach Frankfurt zurückkehrte, 1961, aber dies damals keine Bedeutung hatte und auch die Jüdische Gemeinde nichts über ihre Rückkehr zu sagen weiß.
Wieviel verpaßte Chancen, denkt man, zu Zeiten, wo doch schon eine neue Generation mit den zuvorigen Gericht hielt. Und, ist der zweite Gedanke, wieviele Menschen gibt es noch, die aus Frankfurt vertrieben oder in die KZ verschleppt und ermordet wurden, die uns heute über ihre Worte, Kunstwerke, Musikompositionen etc. etwas zu sagen hätten, von denen wir keine Ahnung haben. Denn diese vier, die hier ZURÜCK ANS LICHT geholt werden, standen in Frankfurt schon einmal IM LICHT, denn es gibt einen Bericht von einer Dr. Sascha Schwabacher, – ich vermute Kunsthistorikerin -, in einer Publikation „FÜR DIE FRAU. Mitteilungen aus den Interessengebieten der Frau“, wo auf zwei DIN A 3 Seiten über den Atelierbesuch bei allen vier, hier gezeigten Künstlerinnen ausführliche Darstellungen zu lesen sind, die sowohl die Lebensumstände wie auch den Werkcharakter kunsthistorisch einordnen.
Eine fachlich absolut kenntnisreiche Reportage, die nicht in abstrakten Begriffen wolkenreich über den Künstlerinnen schwebt, sondern sich traut, Einschätzungen, Urteile niederzuschreiben, die sich heute keiner und keine mehr trauen würde, wie beispielsweise: „Auch Ruth Cahn lebte längere Zeit in Paris. Auch sie ist eine schlanke, mit Farbsinn gekleidete Dame, die viel von französischer Kultur in sich aufgenommen hat. Die Räume, in denen sie wohnt und arbeitet, sind von subtilem Geschmack...“ Sie sollten nicht nur diese Ausstellung besuchen, sondern auf jeden Fall diese ausliegende Ausstellungszeitung mitnehmen, deren Hauptteil aus dieser Reportage besteht. Dr. Sascha Schwabacher? Wer ist sie, habe ich mich gefragt. Was ist mit ihr passiert. Hat sie hoffentlich überlebt?! Nein, wissen Sie sofort, wenn Sie den Namen googeln und landen bei
https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/31788-sascha-schwabacher/
und lesen die Verschleppungs- und Todesdaten sowohl die von Sascha Schwabacher sowie die ihres Transportes
Geboren 29. 07. 1875
Transport XII/1, nr. 853 (19. 08. 1942, Frankfurt am Main -> Theresienstadt)
Ermordet 05. 05. 1943 Theresienstadt
Also ist auch die Autorin des Artikels, der diese Ausstellung möglich machte, ermordet worden. Doch hat das für mich etwas Tröstliches, daß wir Heutigen von den vier verschollenen, verschwundenen Künstlerinnen nur deshalb wissen, weil Sascha Schwabacher so detailliert über diese vier Frauen, jüdische Künstlerinnen geschrieben hat und das Jüdische Museum ihren Artikel zum Anlaß dieser Ausstellung nahm. Mit ihr wird auch sie geehrt.
Und bevor in der nächsten Zeit mehr über jede der vier Künstlerinnen berichtet wird, hier kurz die Lebensdaten, jetzt in der Abfolge der Darstellung in der Zeitung, unserem Titelfoto:
ERNA PINNER, 1890 Frankfurt – 1987 London
Schon in den Zwanzigern als Autorin, Zeichnerin und Illustratorin bekannt. Aber auch als Verkörperung der „Neuen Frau“ mit Bubikopf, unternehmungslustig, also auch reisefreudig. Sie war mit Kasimir Edschmid liiert und reiste mit ihm durch die Welt und war dabei produktiv. Allein emigrierte sie 1935 nach London und war sehr erfolgreich mit der Illustration von naturwissenschaftlichen Büchern. Sie selbst veröffentlichte 32 Bücher!
RUTH CAHN, 1875 Frankfurt – 1966 Frankfurt
Sie aus wohlsituiertem Haus erfuhr eine Malerinnenausbildung in Paris und Barcelona. 1919 hat sie ihre erste Ausstellung in Frankfurt, wo sie Aquarelle zeigt und später eine Leidenschaft für wildwuchernde exotische Pflanzen entwickelt, was direkt zum Fauvismus führt; ihre erste Einzelausstellung hat sie 1924 in Barcelona, was 1928 in einer Soloschau in Paris noch getoppt wird, wo sie mit Pablo Picasso, Henri Matisse und Marie Laurencin bekannt war. Auch sie kann 1935 fliehen und geht mit ihrem Bruder für 20 Jahre nach Chile. Das ist gleichzeitig das Ende ihres künstlerischen Schaffens. Sie kommt nach Europa zurück, ab 1961 in Frankfurt.
ROSY LILIENFELD, 1896 Frankfurt – 1942 Auschwitz
Wenn man ihre Schwarz-Weiß-Blätter betrachtet, sieht man Expressionismus pur. Man hält es für Holzschnitte, aber es handelt sich um Tusche au dem Papier. Sie ist die einzige der Vier, die sich intensiv mit jüdischer Religion, besser; jüdische rMystik beschäftigt und diese in ihrer Kunst zum Ausdruck brachte. Sie kam aus gut situiertem haus, blieb ledig – überhaupt ist bei allen vier Künstlerinnen der private Bereich ausgespart, weiß man nichts oder hatten sie keine Partner? Sie versuchte, 1939 über Holland zu fliehen, wurde verhaftet und nach Auschwitz deportiert.
AMALIE SECKBACH, geborene Buch, 1970 Hungen – 1944 Theresienstadt
Sie ist von den Lebenssituationen her die ungewöhnlichste Künstlerin, die zudem erst spät selbst künstlerisch tätig wird. Erst sammelt sie asiatische Kunst und wird erst nach 1922, dem Tod des Mannes, eines in Frankfurt bekannten Architekten, selbst Künstlerin. Und auch da ist ihr Weg speziell. Ohne Ausbildung beginnt sie mit Skulpturen, vgl. ihre Büste, kommt danach zur Malerei, nachdem sie einen Umweg über die Zeichnung nimmt. 1942 wird sie nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Daß und wie sie unter den dortigen Bedingungen weiterhin Kunst schuf, ist eine unglaubliche Geschichte, die wie alles andere in den nächsten Artikeln eine Rolle spielt.
Fotos:
©Redaktion
Info:
Katalog: Eva Sabrina Atlan, Mirjam Wenzel (Hrsg.): „Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke . Ihre Wege“, Kerber Verlag 2022 (196 S.), ISBN 978 3 7356 0856 7