Eine Kabinettausstellung im Städel Frankfurt
Corinne Elsesser
Frankfurt am Main (weltexpresso) - Victor Man malt dunkeltonige Bilder, in ein geheimnisvolles Licht getaucht, dem Betrachter den Zugang erschwerend. Auf die in Ölfarben auf Holz oder Leinwand gemalten Bilder muss man sich einlassen, sie sind nur schwer zu erkunden und doch nie ganz aufzuschlüsseln.
Eine bis zum 4. Februar nächsten Jahres laufende Kabinettausstellung im Frankfurter Städelmuseum stellt einen Ausschnitt aus dem malerischen Werk des 1974 in Rumänien geborenen Künstlers vor. Bereits 2014 war eine Gesamtschau seines Werks bestehend aus Zeichnungen, Ölgemälden, Fotografien und Installationen in der KunstHalle der Deutschen Bank in Berlin anlässlich seiner Ehrung als "Künstler des Jahres" zu sehen. Nach einer ersten Ausstellung 2003 im Israel Museum in Jerusalem gestaltete er auf der 52. Biennale di Venezia 2007 den rumänischen Pavillon. Im gleichen Jahr nahm ihn die New Yorker Galerie Gladstone in ihre Sammlung auf, es folgten internationale Ausstellungen, 2015 erneut auf der 56. Biennale di Venezia. Inzwischen betreibt Victor Man neben einem Atelier in seiner Geburtsstadt Cluj ein zweites in New York.
Das Städelmuseum konzentriert sich auf Portraits und in dieser Hinsicht kann die Frankfurter Ausstellung als Fortsetzung der Berliner Schau gelten. Eine Serie, an der der Künstler seit 2013 arbeitet, steht im Mittelpunkt. Unter dem Titel "The Chandler" sind nun acht bislang fertiggestellte Gemälde zu sehen, das neueste vom September 2023.
Doch sind das wirklich Portraits, meist von Freunden oder Verwandten? Sind sie nicht vielmehr objektivierte Bilder von Menschen in einer bestimmten Umgebung? Portraits im Kontext? "Die Linien des Lebens", wie die Ausstellung im Untertitel heisst, könnten auf Beziehungslinien seiner Freunde verweisen, auf Lebenslinien oder auf bedeutsame Stränge im Leben des Künstlers. Das Zitat stammt aus einem Gedicht von Friedrich Hölderlin, "An Zimmern" von 1812: "Die Linien des Lebens sind verschieden. Wie Wege sind, und wie der Berge Gränzen…" und verweist auf die Tiefgängigkeit der Bezüge, die Victor Man in seinen Bildern aufruft. So führt der Rundgang durch die Ausstellung auch zur Literatur, zur Philosophie und zur Kunstgeschichte.
Die Ausstellungsräume innerhalb der Abteilung Alter Meister sind abgedunkelt. Hier, neben Barthel Beham, Hans Holbein oder Albrecht Dürer wollte Victor Man seine Arbeiten zeigen. Das spärliche Licht lässt die tiefen Braun-, Beige- und Grüntöne undurchdringlicher wirken und die in Leuchtfarben aufgetragenen Akzente stärker hervortreten.
Das "Mädchen mit lachender Katze" von 2021 blickt vor sich hin und hält eine Katze im Arm. Der Moment der Zärtlichkeit, wenn ein Kind mit einer Katze spielt wird unterlaufen, betrachtet man das Gesicht der Katze genauer. Lacht sie überhaupt? Oder tritt da nicht unvermittelt das Raubtier zutage? Der Blick des Mädchens wirkt ruhig, in Gedanken versunken, in sich gekehrt, doch seine roten Haare leuchten, ein Schlaglicht lässt sie fluoreszierend wirken. In Verbindung mit dem komplementären Türkisgrün ihres Kleides erinnert die Farbkomposition an Bilder des Expressionismus. Auch Karl Schmidt-Rottluff oder Ernst Ludwig Kirchner benutzten unvermischte Pigmentfarben, um ihre Gemälde zum Leuchten zu bringen.
In "Girl with Goya’s Skull (Memorable Equinox)" von 2021 nimmt Victor Man ebenfalls Bezug auf die Kunstgeschichte. Es ist eine umgekehrte Aktdarstellung, in der eine Frau von einem Schemel herabsinkt und ihr Kopf auf dem Boden ruht, während die Arme dahinter zusammenlaufen. Eine erotische Geste, die sich, wie im Titel angedeutet, in einem Gemälde von Francisco de Goya findet. Goya hat das gleiche Motiv 1797 zweimal gemalt, sein Modell Maja, den Kopf auf ein Kissen gebettet auf einem Bett ausgestreckt liegend in schillernd hellblauem Seidenkleid und noch einmal ohne das Kleid als Akt: "La Maja desnuda" (Museo del Prato, Madrid). Victor Man ersetzt nun das bequeme Bett durch einen kantigen unkomfortablen Schemel. Er betont das Geschlecht seines Modells, lässt aber den Körper undifferenziert, fahl in seiner Farbigkeit, hölzern. Ein Schädel in ihrer Armbeuge - aus dem Titel ist zu erfahren, dass es der Schädel Goyas ist - scheint dagegen golden zu leuchten. Glückseligkeit spiegelt sich in ihrem Gesicht, ganz nah dem Totenschädel, als seien das Kehrseiten einer Medaille. Beide haben keine zeitliche Ausdehnung, der Tod nicht, das Glück nicht und auch nicht der Schmerz. Ein Vanitasaspekt kommt hinzu, ein memento mori, dass grösstes Glück nicht ewig währt und alles Irdische vergänglich ist. Die Malweise des Aktes erinnert wiederum an den schweizerischen Malers Balthus, dessen Figuren ebenso beziehungslos zueinander stehen, ähnlich hölzern wirken und immer erotische Momente so unvermittelt aufblitzen lassen, dass sie einem ästhetischen Schock gleichkommen.
Ein weiteres grossformatiges Bild zeigt eine Modellsituation im Atelier. Eine junge Frau sitzt auf einem Stuhl vor einem grossen Fenster und schaut gedankenversunken zur Seite. Zieht man den Titel hinzu, so scheint sie uns nach unserer Kenntnis der Literatur zu fragen: "Connaissez-vous des Esseintes?". Victor Man führt ins Jahr 1884, als der Roman "À rebours" ("Gegen den Strich") von Joris-Karl Huysmans erschien, in dem der junge Adlige Jean Floressas des Esseintes sich auf die Suche nach einem tieferen Sinn im Leben begibt. Hinter der Dame im Atelier bilden Blätter und Blüten einer Kastanie ein eindrucksvolles Muster. Draussen im Hof scheint es schon dunkel zu sein und die Kastanienblüten könnten von einer Laterne angestrahlt werden. Ein Moment zwischen Tag und Nacht, zwischen Wachen und Träumen, in dem man der Realität des Alltags entfliehen kann? Verführerisch leitet die junge Frau unseren Blick.
Die kleine Tochter "Rózsa Victoria" portaitiert der Künstler 2019 als quirliges, auf einem Korbstuhl herumzappelndes Kind ganz wirklichkeitsnah. Zwar lässt sich im abgetönten Beige des Kindergesichts noch die grünliche Untermalung ausmachen, doch spiegelt es die Unvoreingenommenheit und Unbedachtheit kindlichen Daseins ganz ohne tiefgründigen Verweis. Nur die kleine Perlenkette, die am Jäckchen befestigt ist, leuchtet aus den erdigen Tönen hervor wie Perlmutt.
Im "Selbstportrait als Schmerzensmann" von 2021 schaut uns der Künstler an und eben doch nicht. Seine Augen scheinen schwarz wie dunkle Höhlen und weisen Pupillen erst bei näherer Betrachtung als schwarz auf schwarzem Grund auf. Neonrotes Licht streift das Gesicht, nicht aber als natürlicher Lichteinfall, sondern als Akzentuierung. Der Hintergrund in hellerem, die Kleidung in sehr dunklem Grün. Ein Leiden wird in den Gesichtszügen ablesbar. Der immer schmerzvolle Schaffensprozess des Künstlers? Doch der im Titel angedeutete Vergleich mit Christus als Schmerzensmann? Das rückte die schöpferische Tätigkeit des Künstlers ins Blickfeld. Eher ein Verweis auf die mittelalterliche Kunst, auf Albrecht Dürer, der sich 1500 selbst in der Anmutung des Salvators portraitierte (Selbstbildnis im Pelzrock, Alte Pinakothek, München).
In dem kleinen Bild "Girl in Love with a Wound" von 2021 gewinnen die Farben Smaragdgrün und Nachtblau ein besonderes Schimmern, als befinde sich die Person, deren Gesicht nur zur Hälfte zu sehen ist, unter Wasser oder in ihren Gedanken und Sehnsüchten in ein geheimnisvoll gemustertes seidenes Kissen versunken. In einem tiefblauen Streifen am unteren Rand des Bildes ist ein winziger Arm zu erkennen, vielleicht auch ein Kopf. Ist da ein Schwimmer zu sehen, der rückwärts krault und nach hinten schaut? Ihr Nachsinnen und ihre Wunde bleiben Geheimnis.
Vollständig zu sehen ist die 2013 begonnene Serie "The Chandler", in der es um eine immer gleiche Frauengestalt geht, die aufrecht auf einem Stuhl sitzt, die Beine schräg angewinkelt, eine helle Seidenbluse, eine Weste und eine gelbes Halstuch tragend, ihre rechte Hand unter dem Oberschenkel versteckt. Auffällig ist, dass die Portraits im Grunde keine sind, denn die Leinwand endet, wo der Kopf ansetzen würde. Und sichtbar wird jetzt auf ihrem Schoss liegend ein abgetrennter Kopf. "Chandler" waren im Mittelalter zuständig für die Kerzen in wohlhabenden Häusern, wozu auch das Kürzen der Dochte gehörte, um Russentwicklung einzudämmen.
Ein erster Entwurf als Aquarell von 2013, mit dem Victor Man das Projekt begonnen hat, ist in zarten Farben gehalten, in schnellen Pinselstrichen skizziert, Figur und abgetrennter Kopf sichtbar, doch gibt es keinen Stuhl, auf dem die Figur sitzen würde (The Chandler, 2013). Ein grosses Format in Öl auf Leinwand, ebenfalls von 2013, bietet einigen Aufschluss. Schemenhaft sind im Dunkel des Hintergrundes drei Hirsche auf einem ovalen Feld auszumachen und aus dem im Schoss liegenden Kopf wachsen nun Hörner. Der Künstler spielt auf den Roman "Orlando" von Virginia Woolf an, dessen Erstausgabe 1928 das Wappen eines gehörnten Hirschkopfes trug. In der Eingangsszene wird beschrieben, wie der junge Adlige mit den Köpfen der Feinde seiner Vorfahren spielt. So erschliessen sich die Bilder als Variationen der Romanfigur, in unsere Wirklichkeit versetzt, anspielend auf deren Verwandlung nach 400 Jahren in eine Frau. Ausser in kleinen Details, darunter einmal ein Verweis auf den Maler Paul Gauguin (The Chandler with Gauguin’s Evil Spirit, 2014), variiert die Darstellung nur an dem im Schoss liegenden Kopf, der, hat man die ganze Serie nun vor Augen, von Bild zu Bild eine Rotation zu vollziehen scheint, ohne dass je sein Gesicht ganz zu sehen wäre.
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Info:
Victor Man. Die Linien des Lebens. Städelmuseum, Frankfurt; bis zum 4. Februar 2024. Der Katalog kostet 32 Euro.