Serie: Kollwitz. Ausstellung im Städel Frankfurt, 20. März bis 9. Juni , Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – So interessant es ist, die Biographie weiter zu verfolgen, der Katalog zur Ausstellung macht das übrigens ausgezeichnet, in dem er die künstlerische Entwicklung eng lebensgeschichtlich verortet, worauf wir zurückkommen – muß man nach dem Besuch der Ausstellung einfach sofort auf ihre über 100 Selbstbildnisse zu sprechen kommen. Nein, nicht alle 100 sind hier zu sehen, aber die vorgenommene Auswahl zeigt schon deren doppelte Funktion.
Abgesehen davon, daß man selten so uneitle, unverstellte, geradezu wahrhaftige Selbstporträts sieht, sind sie Teil ihres künstlerischen Lernprozesses. An sich selbst, das zeigen viele Studien, probiert sie Haltungen wie auch Ausdrucksformen aus sowie technische Verfahren. Sie vereint ihr Lernen gleich mit Tat, setzt Ideen künstlerisch um, insofern ist sie eigentlich eine lebenslang Lernende, die beides gleichzeitig schafft: die Inhalte, überwiegend Frauen, Frauen mit Kindern, Frauen in Not, immer zu verbinden mit der formalen Bewältigung des Mediums.
Schon bei ihren Selbstbildnissen fällt die Nahsicht auf, sie geht sehr dicht an ihr Gesicht heran, zwar geht es immer wieder auch um Haltungen, wo sie den Ellenbogen umspielt, wenn sie ihn aufstützt, aber eindringlicher ist ihre Mimik, die so selbstvergessen wie klar ist. Schaut man sich diese Selbstbildnisse an, wird sie auf einmal schön. Ein so klares Gesicht. Ein direkter Blick. Schon ihr Bildnis als Käthe Schmidt um 1890 vereint Melancholie mit ausgesprochener Selbstsicherheit, einfach ein selbstverständliches Dasein. Da haben die Eltern sehr viel sehr richtig gemacht, denkt man, denn in jungen Jahren so selbstbestimmt zu sein, seinen Weg, eben auch seinen künstlerischen klar zu sehen und ihn zu verfolgen, kommt nicht von alleine.
Herrlich das Selbstbildnis mit aufgestütztem Kopf, 1889-1891, Feder und Pinsel in Sepia auf Büttenpapier, oben als Titel, das sie schlecht gelaunt zeigt und Titelbild des Kataloges wird, was uns gefällt. Irgendetwas geht ihr gegen den Strich, das drückt jeder Zentimeter des Porträts aus, die Augen verquollen, die Haare wirre, der Kopf kann sich nicht alleine halten, sondern braucht die Hand als Stütze, das ist eine Momentaufnahme, in der die Sekunde des Ausdrucks gleichzeitig die ganze Welt ist. Denn das Gesicht ist der Spiegel der Seele. Unverstellt.
Völlig anders dagegen 13 Jahre später ein poliertes Gesicht, eine selbstsichere, ja tief entspannte, gleichmütige Miene, skeptisch der Blick, der Kopf ruht auf einem kräftigen Hals, das ganze Porträt wirkt, als ob gleich eine Bronzebüste aus dem Bild herausträte, daher der sprachliche Ausdruck poliert, der sich nicht auf den Gesichtsausdruck, sondern auf das Plastische, Glatte, Glänzende bezieht.
Und dann zwei Jahre später wieder eine völlig andere Technik und eine andere Selbstdarstellung. Diese Frau hat etwas von dem unzufriedenen Mädchen von einst, aber auch die Daseinsselbstverständlichkeit einer in sich ruhenden Frau, die es nicht nötig hat, sich anders darzustellen, als ihr zu Mute ist. Das Besondere daran ist auch die Technik, Strichätzung und Vernis mou mit Durchdruck auf Kupferdruckpapier.
Und wiederum 36 Jahre später, rund um 1938, eine Kreidelithografie, die sie – was selten ist – im Profil zeigt und nicht auf das Gesicht bezogen, sondern ihre Silhouette. Sie sieht alt aus, eine Greisin, sie wirkt deprimiert, zusammengedrückt, aber das, was einen umhaut, ist, daß man zwar weiß, daß man Papier vor sich hat, aber eine Skulptur zu sehen glaubt. Und zwar eine von Barlach. Sie hat ihn bewundert und seine Behandlung durch die Nazis massiv kritisiert, daß sie sich aber mit eigener Hand zu einer Barlachfigur gestaltet, ist phänomenal.
Sagen wir noch gleich, daß die Ausstellung eine Auswahl aus einem Gesamtwerk von Tausenden von Zeichnungen ist, an die 300 Druckgrafiken umfaßt und etwa 40 Plastiken, auf die wir noch gar nicht zu sprechen kamen. Demnächst mehr.
Fotos:
©Redaktion
Info:
Kollwitz.Ausstellung im Städel vom 20. März bis 9. Juni 2024. Information über Öffnungszeiten etc.
www.staedelmuseum.de
Katalog: Kollwitz, hrsg. von Regina Freyberger, Städel Museum, Frankfurt am Main, HatjeCantz 2024
ISBN 978 3 947879 27 4 Museumsausgabe
ISBN 978 3 7757 5583 2 Buchhandelsausgabe
„Mein Vater beobachtete meine Arbeit nicht mehr mit so fraglosem Glauben an mein Vorwärtskommen. Er hatte viel rascher einen Abschluss meiner Studienzeit erwartet, Ausstellungen und Erfolge. Außerdem war er, wie gesagt, sehr skeptisch gegen die Tatsache eingestellt, dass ich zwei Berufe vereinigen wollte, den künstlerischen und das bürgerliche Leben in der Ehe. Mein Vater sagte mir kurz vor der Eheschließung: „Du hast nun gewählt. Beides wirst du schwerlich vereinigen können. So sei das, was du gewählt hast, ganz!“
Am 13. Juni 1891 heiratet Käthe Schmidt Karl Kollwitz und heißt fortan Käthe Kollwitz. Sie geht nach Berlin. Ein Jahr später kommt Sohn Hans auf die Welt, 1896 folgt Peter.
Künstlerische Selbstfindung