Die große Illusion.Veristische Skulpturen und ihre Techniken ab Oktober im Liebieghaus in Frankfurt am Main, Teil 2
Hubertus von Bramnitz
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im Mittelpunkt dieser ungewöhnlichen Konfrontation von Antike zur Jetztzeit steht die Frage, welche technischen Mittel verwendet wurden, um eine möglichst realitätsnahe Wirkung bei plastischen Bildwerken zu erzielen. So gliedert sich die Ausstellung nach den technischen Verfahren, den verschiedenen handwerklichen Mitteln und verwendeten Realien.
„Mit unserer bewussten Fokussierung auf die technischen Aspekte und die handwerklichen Methoden der Bildhauer zur Erzeugung veristischer Werke eröffnet die Präsentation einen neuen und höchst spannenden Blick auf ein bislang nur wenig erforschtes Kapitel in der Kunstgeschichte der Skulptur“, sagt Dr. Stefan Roller, Kurator der Ausstellung und Leiter der Mittelaltersammlung des Liebieghauses.
Die Sonderausstellung beginnt in den Räumen der Antikensammlung mit der Präsentation einer mit 71 Zentimetern ungewöhnlich hohen, beweglichen Gliederpuppe: Während der aus Holz geschnitzte Unterleib des Christuskindes (Ursulinenkloster, Landshut) vermutlich noch aus dem 16. Jahrhundert stammt, entstand der Oberkörper in der Barockzeit. Der äußert lebendig wirkende Kopf wurde mit Augen aus weißem Glas, einer aufgeschmolzenen dunklen Iris sowie Echthaar versehen.
Die Fülle der gewählten Materialien und die Jahrtausende übergreifenden Traditionen zeigen sich in dieser Ausstellungssektion durch die Gegenüberstellung der Skulptur Algerische Jüdin (um 1862, Van Gogh Museum, Amsterdam) des französischen Bildhauers Charles-Henri-Joseph Cordier (1827–1905), die Materialien wie Bronze, Onyx, Emaille und Amethyst kombiniert, mit der etwa 260 Jahre älteren, aus farbigem Stein gearbeiteten Büste einer Schwarzafrikanerin (Museo del Prado, Madrid) des französischen Künstlers Nicolas Cordier (1567–1612). Diese Werke stehen wiederum im Kontext sumerischer und ägyptischer Skulpturen der Sammlung des Liebieghauses, wobei ein Bezug zu den mit eingesetzten Augen versehenen griechischen und römischen Marmor- und Bronzewerken der Antike deutlich wird. Der 2011 entstandene, verblüffend echt wirkende Frauenakt Ariel II (Privatbesitz, New York), eine aus bemalter Bronze geschaffene Skulptur des US-amerikanischen Bildhauers John De Andrea (*1941), stellt in dieser Zusammenstellung im ersten Ausstellungsbereich den Bezug zur Gegenwart her.
Im Sammlungsbereich des Mittelalters steht die oftmals sehr aufwendige Bemalung der Skulpturen im Fokus. Eine Imitation und Illusion von menschlicher Haut zu schaffen – ob nun auf Holz, Stein, Marmor oder Bronze – zählt zu den ersten veristischen Techniken überhaupt. Die immense Bedeutung der Farbfassung für eine möglichst realistische Wirkung von Skulpturen verdeutlichen eindrückliche Beispiele wie ein spätmittelalterlicher, drastisch bemalter Christuskopf aus Kalkstein (Champagne, Anfang des 16. Jahrhunderts; Louvre, Paris), eine lebensgroße Beweinungsgruppe (niederländisch, Walnussholz, um 1500; Liebieghaus Skulpturensammlung) und der aus Zedernholz geschaffene Ecce Homo (1679, Museo de Escultura, Valladolid) des spanischen Barockkünstlers Pedro de Mena (1628–1688).
Mit naturwissenschaftlichen Materialanalysen und praktischen Versuchen wurde eigens für die Sonderausstellung die ursprüngliche Farbfassung einer Büste der heiligen Barbara (Liebieghaus Skulpturensammlung) des Bildschnitzers Michel Erhart (um 1440/45–nach 1522) sowohl in technischer als auch optischer Hinsicht minutiös rekonstruiert. Nicht nur die erstaunlich echt anmutende Imitation von Haut konnte dabei nachvollzogen werden, auch die verschiedenen Applikationen und die starke Farbigkeit wurden wieder hergestellt. Damit schließt die Ausstellung „Die große Illusion“ thematisch an frühere Präsentationen des Liebieghauses wie „Bunte Götter“ (2008/2009), „Niclaus Gerhaert. Der Bildhauer des Mittelalters“ (2011/2012) oder jüngst „Zurück zur Klassik“ (2013) an, die wesentliche Beiträge zur Erforschung der Polychromie antiker und mittelalterlicher Skulpturen lieferten. Das Original und die Rekonstruktion sind in der Präsentation gemeinsam zu sehen. Fortsetzung folgt.
INFO:
Die große Illusion.Veristische Skulpturen und ihre Techniken
1. Oktober 2014 bis 1. März 2015
Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt am Main
Kurator: Stefan Roller (Leiter der Mittelaltersammlung, Liebieghaus Skulpturensammlung)
Architektur: Bach Dolder Architekten, Darmstadt
Katalog: Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog im Hirmer Verlag, herausgegeben von Stefan Roller, mit Beiträgen von Vinzenz Brinkmann, Maraike Bückling, Stefan Roller und Harald Theiss. Dt. Ausgabe, ca. 260 Seiten, ca. 240 Farbabbildungen, Museumsausgabe 34,90 Euro, Buchhandelsausgabe ca. 44,90 Euro.
Weitere Publikation: Zur Ausstellung erscheint ein Begleitheft, 7,50 Euro.
Audiotour: Durch die Ausstellung führt eine Audioguide-Tour, deutsch und englisch, 4 Euro.
Öffentliche Führung durch die Ausstellung: donnerstags 18.00 Uhr, samstags 16.00 Uhr und sonntags 15.00 Uhr, die Teilnahmezahl ist begrenzt, Tickets sind ab zwei Stunden vor Beginn an der Kasse erhältlich, 5 Euro.
Rahmenprogramm: Höhepunkte sind u. a. Vorträge im Rahmen der Reihe „Aus erster Hand“: Donnerstag, 11. September 2014, 18.30 Uhr, Faszination Verismus. Eine Vorschau auf die Ausstellung „Die große Illusion“, Vortrag von Dr. Stefan Roller, Leiter der Mittelaltersammlung des Liebieghauses; Donnerstag, 6. November 2014, 19.00 Uhr, Dunkles Mittelalter? – Die Farbrekonstruktion einer spätgotischen Skulptur, Vortrag von Dipl.-Rest. Harald Theiss, Leiter der Abteilung Restaurierung. Die Vorträge sind im Eintrittspreis enthalten, eine Voranmeldung ist erforderlich: 069-605098-200, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.
Weitere Programmangebote unter www.liebieghaus.de.
Sonderführungen auf Anfrage: +49(0)69-605098-200, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.
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