Zwei zentrale Bausteine der Digitalen Erweiterung des Städel Frankfurt gehen am 15. März online, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Typisch. Schon seit letzter Woche ist die Digitale Sammlung für Journalisten einsehbar, damit diese für Leser davon berichten, die dann ab Sonntag selbst 'digital schlendern' können. Seit letzter Woche also,...aber erst in letzter Minute kommt unsereiner dazu. Nach 18 Uhr bei einer Institution an einem Freitagabend den Zugangscode zu erbitten, ist schon allerhand.
Das wird ab Sonntag kein Problem sein, wenn dieses digitale Schlendern allgemein möglich ist. Und jetzt muß man das Städel einfach rühmen, es kommt eine Antwort – um diese Uhrzeit. Leider klappt der Zugang trotzdem nicht. Aber auf einmal sind wir drinnen und beginnen...
Klar, daß es uns gleich zu den Alten Meistern verschlägt. Eines der schönsten Bilder, wirklich schön, ist die DAME IN ROT, so war sie uns bekannt, denn es gibt auch die im großen Italienersaal gegenüber hängende DAME IN GRÜN. Aber während wir noch überlegen, was wir nun wollen, läuft das Programm weiter. Die Dame ist aus dem Blick. Darum wollten wir zurückgehen, aber das klappte nicht, also die Suchfunktion genommen: DAME IN ROT. Gibt es nicht. Also noch einmal von vorne gestartet und kaum erschien diese Dame auf dem Bildschirm, rasch den Curser draufgehalten und jetzt tat sich uns das Bild mit all den Möglichkeiten, was wir von ihm wissen wollen, auf. Das Schöne dabei ist, daß wir jetzt alle Ruhe der Welt haben. Als das eben so im Fluß war, eben das Schlendern, da hatten die auf dem Bildschirm eine größere Schrittgeschwindigkeit, als unser Auge und Hirn brauchte, um zu wissen, was wir überhaupt wollen.
Das war beim zweiten Mal anders und schon haben wir BILDNIS EINER DAME MIT SCHOSSHÜNDCHEN, wie der Titel nämlich offiziell lautet. Es wurde von 1537-1540 gemalt und früher im Städel als Pontormo geführt, dieser wunderbare Maler des Manierismus, der es fertigbrachte, nachdem die Hochrenaissance den Menschen perfekt in seinen Maßen und seiner Gestalt darstellen konnte, das alles rasch zu vergessen und ihn krumm und verdreht und so irgendwie schräg in die Gegend zu stellen, daß es das Herz erfreut. Aber nein, das Bild hier ist zwar auch manieristisch angehaucht, aber doch eher im Sinne von manieriertem Gesichtsausdruck der so feinen Dame. Denn sie sitzt so was von ordentlich auf ihrem Stuhl, repräsentativ und nix mit verdreht.
Das war auch der Grund, warum Kunsthistoriker an der Zuschreibung an Pontormo so immer ihre Zweifel hatten. Es war erst in den 90ern des vorherigen Jahrhunderts, als mit Agnolo Bronzino der wichtigste Schüler Pontormos mit ins Spiel kam. Denn er hat – vergleiche seine Porträts in der Nationalgalerie London – so etwas Glattes, sehr Kunstfertiges und absolut Hoheitsvolles in die perfekt gemalten Bilder gebracht. Und so heißt es heute eben in der Zuschreibung, das Bild sei von beiden. Alles Bisherige war nser eigener Text, weil wir mit dem Bild einmal sehr vertraut waren, was aber schon so seine 15 Jahre her ist. Was sagt uns nun der TEXT ZUM WERK, der hier als Kast auftaucht auf dem Schirm. Aha: „gehört zu den Hauptwerken der Bildkunst des italienischen Manierismus.“
Aber was ist Manierismus? Ja, für uns Kunsthistoriker geradezu eine beleidigende Frage. Sicher auch für viele Städelgänger und Kunstkenner. Aber das digitale Schlendern verstehen wir auch als die Verführung für Menschen, die bisher mit Museumsbesuchen noch fremdeln. Da würden wir uns jetzt also einen Link wünschen, der MANIERISMUS erklärt. Aber vielleicht stoßen wir noch auf eine solche Funktion beim Schlendern. Ein direkter Link auf jeden Falle ergibt sich bei MANIERISMUS nicht.
Richtig wird dann vom Einfluß des Schülers, der hier sicher korrekter als MITARBEITER bezeichnet wird, auf Pontormo gesprochen, dem dessen Kunst Eindruck machte. Das klingt so, als ob das Gemälde, wie früher zugesschrieben, doch von Pontormo alleine gemalt worden sei, der in Gedanken nur Bronzino im Kopf hatte. Aber nein, so ist das nicht, tatsächlich hat Bronzino ganze Partien gemalt, die mir vor vielen Jahren auch noch gegenwärtig waren. Aber jetzt den schönen dicken Bestandskatalog herauszuholen und mit dem Katalog das Digitale Schlendern erschlagen, das wollen wir auch nicht.
Alles andere ist goldrichtig. Denn jetzt wird das Bild interpretiert und vom Selbstbewußtsein und dem gesellschaftlichen Anspruch der vermutlich zu einer führenden Florentiner Familie gehörenden jungen Frau gesprochen und von der kühnen Bilderfindung. Das kann man sich beim längeren Hineinschauen ins Bild selber gut erklären, wieso einem solche Ausdrücke wie Hoheitsvoll in den Sinn kamen. Das ist nicht nur der Gesichtsausdruck, sondern die schräge Haltung, die hervorgerufen wird, weil der Sessel, auf dem die schöne rote Dame mit den geplüschten Ärmeln sitzt, uns nicht frontal geboten wird, sondern so von der Seite geschnitten, so daß wir als erstes die Armlehne als Querriegel im Bild vor uns sehen, auf der ihr linker Arm ruht. Das schafft Abstand und da außerdem wir da unten sind und ihr Gesicht da oben, ergibt sich eine weitere Distanz, die der Text sehr schön ausdrückt: „Der Betrachter wird durch die parallel zum Bildrand platzierte Armlehne und die raffinierte Lichtführung auf Figur und Architektur in gehörigem Abstand gehalten.“
Der nächste Kasten hat die Überschrift INFORMATIONEN ZUM WERK. Das können Sie ab Sonntag selber schauen, wichtig ist dabei auch das Maß des Gemäldes. Denn mit 89.8 x 70.5 x 2.6 Zentimeter ist es kein kleines Gemälde, sondern ein repräsentatives Gegenüber. Ein weiterer Kasten gilt ZUGEHÖRIGKEIT DES WERKES. Dort kann man lesen, in welche Abteilung dieses Bild hineingehört: ALTE MEISTER 1300 bis 1800 – Italien, Frankreich, Spanien, England, die Inventarnummer, ob es ausgestellt ist oder im Depot, aha, der Eigentümer ist noch einmal extra mit Städel Museum benannt, was unser einem ja nach wie vor nur das Städel ist.
Und nun kommt etwas Spannendes. „Erworben 1882“. Das ist lange her. Damals galt die Aufmerksamkeit Raffael und der Renaissance. Eigentlich hatte der Manierismus damals noch keine guten Karten. Und jetzt interessiert uns natürlich, von wem erworben. Das nennt man Provenienzforschung, die durch den Raub so viele Bilder durch die Nazis zu einem Schlüsselwort wurde. Aber, um herauszubekommen, woher dies Bild kam – das haben wir nach 15 Jahren auch einfach vergessen – müßten wir jetzt wieder den Katalog bemühen.
Ach, die Kästen gehen noch weiter. Unter Werkinhalt kommt Francesca Salviati Medici (Familie). Aha, so heißt die Dame, die wir mit die DAME IN ROT sowohl anonymisieren wie glorifizieren. Noch etwas Interessantes folgt: Ausstellungsgeschichte seit Erwerb. Neben dem gegenwärtigen Platz im Städel geht es dabei darum, wohin das Gemälde wann ausgeliehen wurde. Aha, BRONZINO hieß dies wunderbare Ausstellung in Florenz im Jahr 2010/2011. Aber daß dies gleich zweimal da steht, ist sicher unbeabsichtigt. Danach kommt die Pontormo, Bronzino und Medici-Ausstellung von Philadelphia über den Jahreswechsel 2004/2005. Daran können wir uns genauso erinnern, wie an die der National Gallery of Art in Washington, wo es um Leonardos Frauenbildnis ging und andere weibliche Porträts der Renaissance gezeigt wurden.
Puh, hier sind wir am Schluß und wollten doch eigentlich durch die Digitale Sammlung schlendern und nicht bequem vor einem einzigen Bild sitzen bleiben. Aber das Wunderbare an diesem neuen Programm ist, daß man es trotzdem darf. Trotzdem bei einem hängenbleiben und dies genau verfolgen darf. Die anderen Bilder und vor allem die Möglichkeiten des Schlenderns kommen auch noch dran. Für Sie ab Sonntag und für uns, wann es gerade paßt.
Hat uns gefallen, eben auch die Erinnerungen, wie sehr uns das Bild schon einmal beschäftigt hatte. Danke, Städel, fällt einem dazu nur ein und : alles Gute zum 200sten Geburtstag und eine schöne Geburtstagsfeier am Sonntag, 15. März 2015.
P.S. Halt, wir waren gar nicht fertig. Merken wie erst jetzt. Hier ist der Audioguide, den wir einzuschalten vergaßen. Und hier wird nun auch gesagt, daß das Bild in Paris erworben wurde. Wir hören von der Städeladministration und dem Kunstverein. Das ist derselbe, der heute noch am Römerberg zu Hause ist. Und nun geht es mit den Informationen weiter, die zeigen, wie falsch wir lagen. Von wegen billig. Wie wir den Kaufpreis eingeschätzt hatten. Tief in die Taschen mußten sie greifen, die damaligen Städelabgesandten in Paris. Aber es hat sich gelohnt, denn es ist ein Spitzenwerk und schon lange nicht mehr für Museen zu bezahlen.
Und merken wir jetzt weiter – wir sind auch nicht auf die vielen Vergleichsmöglichkeiten eingegangen, die Sie haben, wenn sie auf die neben der Abbildung der DAME IN ROT vorhandenen Linien zu anderen Bildern und Stichworten gehen, wie: STIMMUNG. Dann öffnet sich ERHABENHEIT, RUHE, STARRE, ERNST , alles richtige Vokabeln und als Vergleichsbild dient Diego Velázques Bildnis des Kardinals. Das ist zwar hundert Jahre später gemalt und ein anderes Sujet. Aber hier als Vergleich der STIMMUNG interessant. Sie können auch Bildelemente oder die Wirkung untersuchen. Es gibt viel zu stöbern. Legen Sie los!
www.digitalesammlung.staedelmuseum.de