Serie: FRANKFURT LIEST EIN BUCH: Mirjam Pressler, „Grüße und Küsse an alle“ vom 13. bis 26. April, Teil 18

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im Nachhinein ärgerten wir uns, daß wir nicht gleich beim ersten Mal Barbara Rubert, die engagiert und sachkundig durch die Sammlung Heyman führte, am vergangenen Sonntag folgten, denn da waren Mirjam Pressler und Gerti Elias dabei und die letztere hätte Tränen in den Augen gehabt.

 

Diese Tränen kann man auch heute vergießen, denn in den Restbeständen des Sammlers Julius Heymann im Historischen Museum – rund 80 Prozent ist verschollen, die restlichen sind, gerecht, aber unsinnig, aufgeteilt auf vier Frankfurter Museen – kann man erahnen, welche Kunstleidenschaft und auch welcher Qualitätsanspruch diesen kultivierten Frankfurter getrieben haben, eine respektable Kunstsammlung aus eigenen Kräften zusammengetragen, die er schon zu Lebzeiten der Bevölkerung öffnete und sodann sogar der Stadt Frankfurt vermachte. Die sich undankbar zeigte, sehr undankbar und das in historischer Folge.

 

Der Reihe nach, denn der normale Frankfurter kennt den wohlhabenden Bankier Julius Heyman kaum, obwohl eine klitzekleine Straße im Nordend, die vom Baumweg abzweigt und zur Palmstraße führt, heute nach ihm (wieder) benannt ist. Gewohnt hat er der 1863 Geborene mit seinen Eltern ab 1872 in der Palmstraße 16, um die Ecke im Sandweg die Synagoge. Julius Heyman gehörte geradewegs den Heranwachsenden an, die sich von den strenggläubigen Vorderen gelöst hatten und als Vertreter der Aufklärung und der Moderne einen anderen Lebensweg einschlugen. Daß dem Vielgereisten und gut Ausgebildeten – das Bankiergeschäft in der Gründerzeit hatte schon früh viel eingebracht - das gelingen konnte, liegt auch daran, daß sein Vater schon 1894 starb und Julius von da an, die schon erworbenen Kunstgegenstände – viele Bilder, insbesondere von Künstlern der nahen Umgebung, Möbel, Skulpturen, Fayencen, etc. - in das Konzept eines Museums integrieren konnte, zu dem er sein Wohnhaus ausgebaute.

 

Daß zudem seit 1900 sein zeitgenössisches Interessen sich auf die Kunst der Gotik und Renaissance ausdehnte und er entsprechende Kunstwerke und Möbel erwarb, machte sein Haus, sein Privatmuseum zu einem aufsehenerregenden Beispiel, wie man als ästhetisch anspruchsvoller Großbürger das kulturelle Gedächtnis mittels Kunstgegenständen in das Heute integriert. Nicht umsonst stand in der Einladung zu dieser Führung, daß die Depotanordnung mit Objekten aus der Sammlung die Zeit lebendig werden läßt, in der auch Alice und Michael Frank – die Großeltern der Anne Frank - in Frankfurt gelebt hatten. Alles, was man aus Mirjam Presslers Buch weiß, ist, daß auch diese Kunst gesammelt hatten, aber weder das Geld noch das Interesse hatten, dies so fundamental zu tun, wie es Heyman der Welt vormachte.

 

Natürlich schaut man sich im Sammlungsraum erst einmal die Objekte an, staunt über die Größe und auch Schönheit der Fayencen, Objekte, die seit der Abtrennung der sogenannten Angewandten Kunst als Kunsthandwerk und Kunstgewerbe von den Gemälden und Skulpturen, der sozusagen 'richtigen' Kunst', die im deutschsprachigen Raum ein Ergebnis des 19./20. Jahrhunderts ist. Zu Beginn begrüßt einen gleich eine Bleistiftzeichnung vom Hausherrn, von Julius Heymann, 1863-1925, die Jakob Nussbaum 1922 fertigte und wo man einen älteren erschöpften Herrn sieht und nicht glauben mag, daß dies das einzige erhaltene Bildnis dessen ist, der seinen gesamten Besitz der Stadt Frankfurt vermachte, mit der Maßgabe, daß alles bliebe wie es ist und seine Lebensgefährtin dem Museum als Kuratorin vorstehe.

 

Jakob Nussbaum, der Liebermannschüler und Maler aus dem Hessischen, war auch ein persönlicher Freund von Heyman und dieser kaufte ihm die 17 Kriegszeichnungen von 1916/17 genauso ab, wie Gemälde, von denen nur noch wenig hier hängt, das Allermeiste ist verschollen.

 

Und so finden wir auf einmal, daß noch interessanter als die Gegenstände, die vor uns hinter Glas und gut erklärt stehen, die Fotografien sind, die zeigen, was dieses Privatmuseum einmal war. Auch wenn man selbst heute in solchen Räumen, für die der Ausdruck horror vacui treffend ist, nicht wohnen möchte, so beeindruckt die GOTISCHE BIBLIOTHEK z.B., dem sich das RENAISSANCEZIMMER anschließt, das der gleichen Überfülle wegen erst einmal vergleichbar aussieht, bis man die einzelnen Bilder und Möbel vom Stil her identifiziert, was auch für den WOHNRAUM um 1500 gilt. Es ist im besten Sinne Kulturgeschichte, die Julius Heyman gesammelt hat und für die Nachgeborenen zur Anschauung zusammengetragen hatte, nämlich, wie kultiviert man früher lebte – wenn es einem finanziell gut ging!

 

Daß sein Kunstsinn und seine aufklärerische, soziale Gesinnung allerdings auf deutsche Barbarei traf, hätte sich dieser Julius Heyman - der sicher wie die meisten jüdischen Deutschen treu deutsch-national war und entsprechend wählte – nie vorstellen können. Zwar nahm die Stadt Frankfurt am 19.1. 1926 sein Erbe im Wert von rund einer Million Reichsmark an, das als Abteilung des Städtischen Historischen Museums für mindestens 100 Jahre die Sammlung in seinem ebenfalls vermachten Haus belassen sollte; die Stadt benannte auch den Teil der Palmstraße, wo das Haus stand, nach dem Stifter, ließ auch erst einmal sein Museum zu verringerten Öffnungszeiten bestehen, aber ab 1938 begann die Rückbenennung der Straße, der Verkauf seines Hauses, die Plünderung seines Besitzes, dessen Verteilung in Frankfurter Museen, zum größten Teil aber über Verkäufe verstreut in die ganze Welt.

 

Selten kann man an einem Beispiel die Ungeheuerlichkeiten des nationalsozialistischen Systems gegenüber jüdischen Mitbürgern so genau nachverfolgen, wie hier bei Julius Heyman. Das liegt daran, daß er selbst als Philanthrop für Frankfurt und die Frankfurter diese Kunstschätze zusammengetragen hatte. Die anderen, die nicht rechtzeitig natürlich gestorben waren und auch die, die nicht über solche Schätze verfügten, deren Wohnungen schlicht von den NS-Stellen und den Mitbewohnern geplündert wurden, die ausgeraubt und in die KZ zur ihrer Vergasung geschickt wurden, derer gedenken wir hier auch. Das Historische Museum und die Stadt Frankfurt, auch das Institut für Stadtgeschichte haben noch eine Menge zu tun, die Unrechtszeit aufzuarbeiten und Roß und Reiter zu nennen. Hier wurde wenigstens damit angefangen.

 

 

Info:

Wir waren zur dritten Führung durch Barbara Rubert im Rahmen des Lesefestes am Sonntag, 26. April um 14 Uhr dabei; sicher wird es weitere Führungen im Historischen Museum geben. Sie können sich aber auch alleine mit Hilfe eines kleinen roten Buches - und auch ohne! - zurechtfinden.

 

 

Mirjam Pressler/Gerti Elias „Grüße und Küsse an alle“

Die Geschichte der Familie von Anne Frank

Fischer Taschenbuch Verlag

432 Seiten. Kartoniert.

10,99

ISBN 978-3-596-18410-1