Die ehemalige Leineweberstadt kommt in Bewegung

 

Hanswerner Kruse

 

Fulda (Weltexpresso) - Drei Monate lang wollen eine Opernregisseurin und eine Tanz-Choreografin viele Menschen des Städtchens und deren erzählte Erfahrungen miteinander verweben, um ihre Geschichten theatralisch in Szene zu setzen.

 

Am letzten Wochenende eröffneten Dina Keller-Metje und Annika Keidel bei Kaffee und Streuselkuchen ihre Residenz in einem zentral gelegenen Lädchen. Dem Dutzend Besucher, dazu einigen lokalen Partnern und Kolleginnen aus ähnlichen Projekten, erläuterten sie ihr Vorhaben. Bisher machten sie in wenigen Tagen einige Straßeninterviews und nahmen mit verschiedenen Einrichtungen Kontakt auf. Choreografin Keidel erarbeitete bereits in einer Kita mit Tanzen und Erzählen erste Elemente eines Kindermärchens. In den Herbstferien wollen die beiden Theater- und Tanzworkshops für Kids anbieten.

 

Dabei geht es darum, performative Elemente als Handwerkszeug zu nutzen, um beispielsweise mit Jugendlichen die Stadt im darstellenden Spiel zu erobern oder mit Kindern Ideen wie „Web Dir die Welt, wie sie dir gefällt“ eine Form zu geben. Aber auch die Senioren aus dem gegenüberliegenden Heim und viele Vereine sollen angesprochen, zum Erzählen ermuntert und miteinander verwoben werden.

 

Das Weben ist für die Künstlerinnen eine stadttypische Metapher - darum heißt ihr Lädchen auch Kulturweberei. Die beiden Frauen wollen junge und alte Menschen miteinander in Bewegung bringen. Denn Weben kommt vom althochdeutschen weban und bedeutete hin und her bewegen. Oft sagen sie im Gespräch mit den Besuchern oder später mit unserer Zeitung: „Nein, wir wissen noch nicht, was bei dem Projekt herauskommt.“ Aber natürlich sind sie sich aufgrund ihrer Erfahrungen mit kultureller Bildung sicher: Am Ende werden aus alten und neuen Geschichten aller Beteiligten szenische Darstellungen.

 

Die Kulturweberei ist nur eins von vier zeitlich begrenzten Modellprojekten, die derzeit vom Verein Flux zur kulturellen Bildung im ländlichen Raum organisiert und betreut werden. Das Land Hessen finanziert diese Aktivitäten. Flux arbeitet schon sehr lange erfolgreich daran, Theater und Schulen in Hessen miteinander zu verknüpfen. Das neue Projekt der Theater-Residenzen ist über den lokalen Bezug hinaus auf mehreren Ebenen interessant: Wie kann Kunst, insbesondere Theater dazu beitragen, urbane Prozesse zu beeinflussen, aber daraus auch selbst wieder neue Impulse zu bekommen? Was bleibt an kultureller Bildung, wenn die Residenzen wieder aufgelöst werden?

 

Regisseurin Keller-Metje lacht, als es im Gespräch mit unserer Zeitung um den erweiterten Kunstbegriff des legendären Künstlers Joseph Beuys (1921 - 1986) geht: Der hatte ja die Vorstellung entwickelt, jeder Mensch sei ein Künstler, wenn er - in seinem gesellschaftlichen Umfeld entsprechend seinen Möglichkeiten - verändernd an der „sozialen Plastik“ mitwirke. Beuys war Mitbegründer der Fluxus-Bewegung, die sich gegen die abgeschottete und elitäre Kunst wandte und fließende Übergängen von der Kunst zum Leben schuf. In diesem Sinne arbeitet Flux durchaus in der Tradition dieser Kunstbewegung der 1960er-Jahre.

Am 13. Oktober präsentiert Flux am hessischen Landestheater in Marburg ein ganztägiges „Schaufenster“, in dem die Vielfalt der Aktivitäten des Vereins vorgestellt und grundlegende Fragen zur kulturellen Bildung diskutiert werden.

www.theaterundschule.net

 

Info:

Fluxus

Fluxus oder Flux ist abgeleitet vom lateinischen flux / fluere = fließend, vergänglich

 

Foto:

Dina Keller-Metje (links) und Annika Keidel vor den kleinen Häuschen, in denen Schlitzer Besucher die Botschaft versteckt haben, warum ihnen ein Ort wichtig ist, © Hanswerner Kruse