Serie: Jugendstil. Die große Utopie ab 16. Oktober im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Teil 1
Lona Berlin
Hamburg (Weltexpresso) - Die Attraktivität des Jugendstil als Ausstellungsthema ist ungebrochen. Allerdings verlaufen die Ausstellungen meist wellenartig. Im Rückblick von heute her ist der als JUGENDSTIL gekennzeichnete künstlerische Aufbruch die letzte Stilepoche, die überhaupt eine gemeinsame Ausdruckskraft und – eben – einen Stil fand.
Mit der Ausstellung „Jugendstil. Die große Utopie“, begleitet durch die Neupräsentation der Sammlung Jugendstil, zeichnet das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) eine Epoche nach, die weit mehr hervorbrachte als verspieltes Dekor. Der Jugendstil definiert sich über Reformansätze, Visionen und Utopien, die auf eine Erneuerung der Gesellschaft ausgerichtet sind.
Die Sonderausstellung beleuchtet diese kulturhistorischen Hintergründe und Entwicklungen und schlägt den Bogen von Karl Marx‘ „Kapital“ bis zu Peter Behrens‘ Salonflügel mit Zitaten aus Friedrich Nietzsches „Zarathustra“. Sie zeigt Reformkleider, ein Solarbad für Sonnenhungrige, Fotografien von nackten Freiluft-Sportlern oder Loïe Fullers berühmte Lichttänze.
Die Künste greifen die umwälzenden Veränderungen im privaten und gesellschaftlichen Leben des modernen Menschen auf, entwerfen neue Lebensmodelle und experimentieren mit technischen Neuerungen. Gustav Klimt, Edvard Munch und Alfons Mucha spiegeln die vielfältigen Projektionen auf die Frau. Ferdinand Hodler, Paula Modersohn-Becker studieren das Kind. Immer wieder ist die Natur Inspirationsquelle, besonders für die angewandten Künste.
Der Jugendstil markiert auch eine Zäsur für die Kunstgewerbemuseen, die bisher zur Anschauung ausschließlich historische Vorbilder zeigen. In dieser Zeit beginnt man, auch zeitgenössische Kunst zu sammeln. Die Neueinrichtung der heute so bedeutenden Jugendstil-Sammlung des MKG orientiert sich an der ersten Präsentation, die Museumsgründer Justus Brinckmann 1900 mit seinen Ankäufen auf der Pariser Weltausstellung einrichtete. Sie zeichnet zudem mit verschiedenen Möbeln und Raumensembles u.a. von Henry van de Velde, Richard Riemerschmid, Charles Rennie Mackintosh oder Carlo Bugatti ein Bild vom Spektrum der ästhetischen Konzepte und Formsprachen am Beginn des 20. Jahrhunderts nach. Das Projekt zeigt insgesamt über 350 Werke, darunter Malerei, Skulptur, Druckgrafik, Fotografie, Zeichnung, Keramik, Glaskunst, Buchkunst, Mode, Textilkunst, Plakate, historische Filme, naturwissenschaftliche und medizinhistorische Apparaturen und Modelle.
Hintergrund
Wie wollen wir leben? Das fragen sich die Zeitgenossen um 1900 angesichts umwälzender Entwicklungen und Erfindungen. Elektrizität, Evolutionstheorie, Psychoanalyse, Röntgenstrahlen und andere Errungenschaften verändern das soziale und private Leben grundlegend, lösen Euphorie und Angst zugleich aus. Die Künste werden zum Mittel der Weltverbesserung, der Jugendstil zum Ausdruck einer mutigen Reformbewegung von Künstlern quer durch Europa. Sie fordern den verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen und Arbeitskraft, streben nach selbstbestimmtem Arbeiten als Lebenssinn. Das Individuum wird in seinen Befindlichkeiten ernst genommen. Geschlechterrollen brechen auf. Die Kritik an der Entfremdung des Menschen von sich selbst in der modernen Industriegesellschaft befördert eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit. Das Kind wird zum Symbol der Unschuld, die Suche nach dem Unberührten führt in die Ferne, in die Natur. Fortsetzung folgt.
Info:
Ausstellung vom 16. Oktober bis 7. Februar 2016 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Künstler:
Emile Bernard, Edward Burne-Jones, Peter Behrens, Carlo Bugatti, Mariano Fortuny, Loïe Fuller, Emile Gallé, Paul Gauguin, Karl Gräser, Josef Hoffmann, Gustav Klimt, Fernand Khnopff, René Lalique, Elena Luksch-Makowsky, Charles R. Mackintosh, Madame D`Ora, Louis Majorelle, Paula Modersohn-Becker, William Morris, Alfons Mucha, Richard Riemerschmid, Dante Gabriel Rossetti, Louis C. Tiffany, Henry van de Velde und viele andere.
Katalog zur Ausstellung
Zur Ausstellung erscheint der Katalog „Jugendstil. Die große Utopie“, herausgegeben von Sabine Schulze, Claudia Banz und Leonie Beiersdorf, mit Beiträgen von Nora von Achenbach, Claudia Banz, Leonie Beiersdorf, Jürgen Döring, Thomas Gilbhard, Simon Klingler, Angelika Riley, Esther Ruelfs, Sabine Schulze und Sven Schumacher. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2015, 208 Seiten, über 200 farbige Abbildungen, 19,80 Euro