William Forsythe gewährt im MMK1 einen konzentrierten Blick in seine dynamische Kunstform, Teil 2

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gleich zu Anfang, bei Eintritt in die Eingangshalle, findet sich als erster Zugang die Videowand von 'City of Abstracts' (2000), die nach wenigen Momenten dazu anregt, noch einmal mitzutun, selbst beizusteuern, etwas einzuspeisen fürs Resultat auf der sich beständig wandelnden Videowand (sofern Bewegung stattfindet).

 

Wer eintritt, wird umgehend selbst zur tanzenden Form, eine Software leitet den Körper tänzerisch zur Höchstform; sie biegt, beugt, windet, verdrillt (so scheint es), dreht um die Achse, eine sonst eher plumpe Form bekommt ihr anderes Ego. Weitere Eintretende gesellen sich hinzu und schon ist eine nicht vorauszusehende Choreographie in Progress. BesucherInnen gelangen in die kunstschaffende Rolle. Wenn der Andrang groß ist, wird umso lebhafter etwas mit der Installation versucht. Das Werk ist ein offenes Aktionskunstwerk.

 

Pendel und Ring sind zwei der ältesten Gebilde, die Menschen zur Perfektion trieben, sie sind eingesetzt in ''Nowhere and Everywhere at the same Time', 2015 (zwischen schwingenden Pendeln navigieren BesucherInnen) und in 'The Fact of Matter', 2009 (ein sich streckender Raum der 200 Ringe an Seilen ist ohne Berührung des Bodens zu durchqueren). 'Bitte nutzen Sie ausschließlich die Ringe, um den Raum zu durchqueren', wird gefordert. Das Ausdauerlimit kann ausgelotet werden auch mit: 'A Volume in which it is not Possible for Certain Actions to Arise', 2015 (hier ist ein Raum von 70 cm Höhe zu durchqueren, was nicht ohne die Tanzhaltung des wie zum Brett gewinkelten Körpers, der nur noch auf den Unterschenkeln lagert, gehen dürfte). Der schlundige 'Raum', den man hier schaudernd wahrnimmt, erinnert an den leidenden Ursus der großen Filmära, als dieser sich aus beklemmenden Lagen gleichwohl immer zu befreien vermochte. Die grenzgängigen Werke laden zu (Mut-)Proben ein.

 

 

Ohne Gegensatz ist keine Kunst - und auch kein Leben

 

Im Unterschied zum muskeltreibenden und verzehrenden Werk findet sich auch ein ganz anderes mit: 'Additive Inverse', 2007. Die offizielle Beschreibung des Hauses erklärt (unter dem wichtigen Hinweis: 'Wenn sie den Raum betreten, bewegen Sie sich so, dass keine Luftbewegung entsteht'): 'Das choreographische Objekt verwischt die Grenzen von Skulptur, Zeichnung und Film: Drei Videobeamer projizieren je einen Kreis in ein mit Nebel gefülltes Becken. Durch die exakte Überlagerung der drei Kreise entsteht eine minimalistische Zeichnung, die bei der kleinsten Bewegung des Nebels zu einem dreidimensionalen Körper zerfließt'. Der Raum kann also auch ein Raum jenseits der erprobten Vorstellung von Raum sein, ein ätherischer, bei der geringsten Bewegung der Umstehenden sich wandelnder. Der Umgang mit dem Werk streckt die Zeit.

 

In 'Aufwand', wie erklärt wird, findet sich eine 'door incredibly hard to open'. Zugegeben, beim ersten Gang durch die Ausstellung habe ich sie glatt übersehen. Der Raum huldigt Marcel Duchamp, indem er die unter schwersten Umständen hineinzugehen Versuchenden miteinbezieht.

 

Länger nachvollzogen werden sollten die Bewegungen der eindrucksvollen Videoinstallation in einer Klause von einem Raum, in den über die kleine Treppe schon am Beginn in Ebene 1 gelangt werden kann: 'Stellenstellen Films'. Choreographisch bewegen sich zwei Tänzer ineinander verwoben, verschlungen, wie im Fadenknäuel des Auf- und Abwickelns. Die Arbeit erscheint minimal strukturiert, spielt sich sehr langsam ab, schubweise. Zeit und Raum erscheinen wie auf ein Minimum an Bewegung abgebildet.

 

'Lection from Improvisation Technologies', 1994 und 'Solo', 1997 sind Zentralwerke von Forsythe, gelten zu Recht als Meilenstein. Erklärt wird: 'Graphische Animationen zeichnen die Bewegungsabläufe des Körpers im Raum nach und machen das ansonsten unsichtbare Formenvokabular, die Geometrie des Tanzes sichtbar'.- 'Solo...' gibt eine Tanzprobe Forsythe's in 'ungemein hohem Tempo' wieder, 'Lection...' vermittelt den Außenstehenden auf einzigartige Weise etwas über die keineswegs schlichte Arbeit von auf Geometrie beruhenden Bewegungen des Tanzes.

 

Es ist zu empfehlen, sich für die Ausstellung Zeit zu lassen, um auch die mit dem Eigenanteil des Künstlers in Beziehung gesetzten - auf diese Gewähr nehmenden - Stücke zu begutachten. Das bewegt Gedanken, formt sie an der Idee des Tanzes und macht den Besuch der Ausstellung zum lebendigen Gang.

 

 

Trailer:

http://mmk-frankfurt.de/de/ueber-uns/mmk-filme/

 

Info:

William Forsythe, The Fact of Matter, Museum für Moderne Kunst MMK1, 60311 Frankfurt am Main, Domstraße 10, 17. Oktober 2015 bis 31. Januar 2016, Tel. 069/212 30447,