STURM FRAUEN. Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910-1932, Schirn Frankfurt, Teil 1

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie wir vom Frankfurter Hochschullehrer Benjamin Ortmeyer wissen, biegen die Nazis alles, was im Ursprung freiheitlich war, braun um und kehren es ins Gegenteil, um eine krude rechte 'Weltanschauung' daraus zu zimmern, so auch das Motiv des Sturms. Das brauchen sie, um ihre niedrigen Regungen und Auswürfe abzuladen.

 

Der Sturm aber hat im Ursprung, in der Nicht-Verbogenheit, eine freiheitliche Natur, die ihren Ausdruck auch in der Kunst finden kann, nämlich dann, wenn etwas an der Zeit ist und nicht mehr warten will. Und dieser Zeitpunkt war die Stunde der STURM-Frauen der Avantgarde im Berlin der Jahre zwischen 1910 und 1932. Mit den Nazis kam dann der Gegen-Sturm, der ihren Weg, ihre Entwicklung, brach. Dem freiheitlichen STURM lauert zu jeder Zeit ein widersacherischer, ein elementar zerstörerischer um die Ecke herum auf.

 

Zum Förderer und Vermittler für die Frauen der Avantgarde wurde Herwarth Walden, ein Umgetriebener in der Bedeutung des neuen medialen Anspruchs der Moderne, er war ein Begünstiger und Verbinder im hohen Auftrag der Kunst. Auch war er ununterbrochen der unermüdliche Ausstellungsmacher. Er schuf ein Imperium mit: STURM-Galerie, STURM-Akademie, STURM-Abenden, STURM-Bühne, STURM-Bällen, STURM-Kabarett und STURM-Plattformen für die Künstlerinnen der Avantgarde. Ohne ihn zum alleinigen Beweger hochstilisieren zu wollen - die Macherinnen der STURM-Bewegung waren doch die Künstlerfrauen der Avantgarde selbst, die sich im STURM-Begriff konstituierten -: Walden war ein begnadeter, nicht nur vornehmlich auf das Selbst bedachter Motivator, er war Anreger und Schutzherr, wie sie die Kreation der Individuen nicht oft hergibt. Er begünstigte sachlich, menschlich und wohlbegründet die Wege der STURM-Frauen.

 

Im Begleittext der Ausstellung heißt es: 'Der Schriftsteller und Komponist Herwarth Walden (1878-1941) stellte nicht nur Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Kokoschka und Marc Chagall, die Künstler des Blauen Reiter und die italienischen Futuristen aus, sondern förderte vorurteilslos, engagiert und strategisch weit über 30 Malerinnen und Bildhauerinnen.'

 

Bestechend an dem aufgeblätterten Panorama der Kunst ist die transnationale Seelenlage der Akteurinnen, die schon bereits in Europa lebten; die Aufbruchstimmung, die mit einer befreienden gesellschaftlichen Verheißung verbunden war; sowie die selbst- und kunstsichere Formgebung, die den Arbeiten innewohnt.

 

 

Eine zeitgenössische Anleihe beim STURM

 

Ihren Vorgängerinnen an die Füße geheftet sind die Performance-Künstlerinnen von Pussy Riot, deren an dieser Stelle auch gedacht werden sollte. Die Tradition der öffentlichen Performance ist eine urrussische, sie ist auch in der Ausstellung vertreten. Pussy Riot sind jugendliche Frauen, die - im heutigen Russland - aufgrund grassierender rückwärtsgewandter Persönlichkeitsmuster in den Griff des Antiintellektualismus und des antimodernen Nichtkunstverständnisses geraten sind und kujoniert werden, wie man preußisch sagt. Auch diese Gruppe wurde zum ausbrechenden STURM, der unmittelbar überwältigte und ein junges und unruhiges Publikum faszinierte. Es ist traurig, daß ein in Kunstdingen so verdienstvolles altes Land in der gesellschaftlichen Praxis auf kunstfeindliche Abwege gekommen ist.

 

Der Begleittext zur Ausstellung blendet zurück: 'Mit rund 280 Kunstwerken werden erstmalig insgesamt 18 STURM-Künstlerinnen des Expressionismus, des Kubismus, des Futurismus, des Konstruktivismus und der neuen Sachlichkeit umfassend vorgestellt'.

'Der Sturm war Programm, richtete sich gegen gedankliche Schranken, alles Etablierte und gegen die Bürgerlichkeit des Wilhelminismus...'.

 

 

Ist das Weibliche im Unterschied zum Männlichen ein Thema für die Rezeption?

 

Begibt sich der begutachtende Mann aufs Glatteis, wenn er eine Ausstellung durchgeht, in der allein Werke von Frauen versammelt sind? - Vielleicht schon, aber womöglich auch nicht unbedingt. Die ausgestellten Arbeiten sind auf dem Level der Höhe der Form der damaligen Zeit. Man begreift, daß die Frauen schnell gelernt haben - indem sie ein wenig auch nachholen mußten, was ihnen verweigert wurde -, was ihnen allen aber vollkommen gelang. Es nicht das eindeutig und herausragend Weibliche der Kunst zu besichtigen, sei es nun eine gewollte oder unbewußte Absicht. Kunstrezeption beginnt mit dem unmittelbar sinnlich anheftenden Blick, aber aktiv bedurfte sie immer eines unbestochenen Blicks in die Welt, auf das System der Gesellschaft und in die Lagen der einzelnen Menschen, so auch durch die STURM-Macherinnen. Kunst entspringt, auch wenn sie die Wahrheit in sinnlicher Form (nach G.W.F Hegel) ist, einem objektiv-sachlichen Impuls. Kunst fordert gelegentlich provokant heraus, führt dann zuweilen zum wütenden Protest gegen das Wahre, das die Kunst dem Betrachter vorhält. Sie durchbricht gewohnte Wahrnehmung und eröffnet andere, neue.

 

 

Der Versuch

 

Ein erster Reflex gegen Ende des anfänglichen Durchgangs ließ einen Versuch entstehen: es blitzte die Idee auf, in einem schnellen letzten Durchgang drei Werke auszumachen, die am unmittelbarsten ansprächen, ohne dabei zu sehr nachdenken oder 'räsonieren' zu wollen, wie es bei Kant heißt. Es ergaben sich drei Werke, die spontan als gleichsam herausstechend empfunden wurden.

 

Erstens: 'Komposition Nr. 9' (1914-1916) von Hilla von Rebay (1890-1967). Sie zeigt die motivisch schnell 'gepinselte' Situation des feurigen Durcheinanders, in Linie und Farbe, völlig im Kreuz und Quer, man darf assoziieren: Obelix, Asterix und die Römer haben sich heillos verkeilt, liegen besinnungslos im Clinch. Zweitens: 'Landschaft (Bild I)',1914 von Jacoba van Heemskerck (1876-1923), sehr ruhig und ruhend in der Wirkung auf das Gemüt, mit Bergen, Bäumen, Häusern; über die ländlichen Motive des Tals verlaufen wie zum Schutz mehrere deckende Streifen, die wohl andere Bergkuppen andeuten. Drittens: 'Der Lumpensammler',1917 von Marianne von Werefkin (1860-1938); zwei Berge richten sich im oberen Teil einander zu, wie als ob sie sich ergänzen wollten, im Sinne des Ying und Yang, zwei Lumpensammler bewegen sich im Vordergrund.

 

Zu Hause angekommen und die drei Aufnahmen in Ruhe besehen, ergab sich, daß die drei Bilder tatsächlich These, Antithese und Synthese repräsentierten, sie sind Ying- und Yang-getragen, Gender und Transgender sind beteiligt, werden durch die Ausstellung einander vermittelt, was vielfach in der Ausstellung ähnlich zu belegen wäre. Die Ausstellung lässt nichts aus oder Grundlegendes bzw. Zwischenwertiges vermissen. Wahr bleibt aber, dass es sich um künstlerische Formen handelt und nicht um Illustrationen diskursiver, durch Sätze gebildeter Einsichten irgendwelcher Art.

 

 

Foto: die angeführten Bilder © Schirn Frankfurt

Info:

Schirn Kunsthalle Frankfurt, 'STURM-Frauen: Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910-1932, 30. Okt. 2015 – 7. Febr. 2016, Frankfurt Römerberg, Tel. 069/2998820